7. Jahrgang 2010,
Heft 3: Eine Institution stellt sich vor
Birgit Teichmann und Konrad Beyreuther:
Das Netzwerk AlternsfoRschung (NAR) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Zur Geschichte des NAR
Aufgrund der hohen wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Alternsforschung hat die Universität Heidelberg im Jahre 2006 das Netzwerk AlternsfoRschung (NAR) gegründet. Kooperationspartner sind:
Universität Heidelberg mit ihren beiden medizinischen Fakultäten Heidelberg und Mannheim,
Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ),
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim (ZI),
Universität Mannheim und
Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demografischer Wandel (MEA)
Die Kooperationspartner haben die Forschungsaktivitäten folgender drei Bereiche im NAR gebündelt:
Biologische Grundlagenforschung und medizinische Alternsforschung,
Geistes-, sozial- und verhaltenswissenschaftliche Alternsforschung,
Medizinische und sozio-ökonomische Interventionspunkte.
Das NAR erhält einen jährlichen Etat vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg. Daraus werden eine Professur für Alternsforschung, Personalstellen der Abteilung für Psychologische Alternsforschung und der zentrale Bereich des NAR finanziert. In diesem sind neben dem Direktor und der Wissenschaftlichen Managerin fünf weitere Mitarbeiter tätig.
Das NAR-Kolleg wird durch Mittel der Klaus Tschira-Stiftung Gemeinnützige GmbH, das Graduiertenkolleg Demenz wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert. Des Weiteren stellt die Baden-Württemberg-Stiftung Mittel für drei Nachwuchsgruppen, die dem NAR angehören, sowie für Forschungsprojekte der biomedizinischen Grundlagenforschung zur Verfügung. Forschungsgruppen, die dem NAR angehören, werden durch deren Institution und eigene Drittmittel ausgestattet und finanziert.
Zielsetzungen
Das Netzwerk Alternsforschung möchte interdisziplinär die verschiedenen Aspekte des Alterns untersuchen, da das Altern den Menschen in seiner Gesamtheit betrifft. Schon der Heidelberger Mediziner und Klinikdirektor Ludolf Krehl (1861–1937) – Begründer der Psychosomatischen Medizin in Deutschland – forderte vor etwa hundert Jahren, den kranken Menschen als ganze Persönlichkeit mit Körper, Geist und Seele zu therapieren. Seine Sicht über Krankheiten ist für uns Mahnung und Herausforderung zugleich: »Krankheiten als solche gibt es nicht, wir kennen nur kranke Menschen« (zit. nach Curtius 1961).
Das NAR ist mit seinem ganzheitlichen, systemischen Ansatz und seiner Interdisziplinarität einmalig in Europa. Nirgendwo sonst ist es gelungen, geisteswissenschaftliche, naturwissenschaftliche, biomedizinische und ökonomische Aspekte der Alternsforschung in einer Institution zusammenzufassen. Eine ganzheitliche Alternsforschung mit der notwendigen Breite und Tiefe braucht neue Wege des Wissenstransfers mit einer Verbindung zwischen den Fächern, aber auch zwischen Theorie und Praxis. Ein wesentliches Element dieser im NAR gelebten Interdisziplinarität sind die regelmäßig abgehaltenen NAR-Retreats, in denen für alle Mitglieder in verständlicher Form über den aktuellen Forschungsstand berichtet wird. Für alle im NAR vertretenen Forschungsrichtungen hat die Bewahrung der Gehirnfunktion eine zentrale Bedeutung für ein erfolgreiches Altern.
Wir vom Netzerk AlternsfoRschung der Universität Heidelberg teilen die Sicht Senecas – eines der großen römischen Philosophen aus dem ersten Jahrhundert vor Christus – über das Alter. In einem Brief an Lucilius (Epistulae morales XXVI) beschreibt er ein Streitgespräch, das der Geist mit ihm, Seneca, über das Alter führt: »Mein Geist fühlt sich frei vom Verfall des Alters, mit der mein Körper zu ringen hat. Nur meine Schwächen und die Werkzeuge meiner Schwächen sind alt geworden. Mein Geist ist frisch und freut sich, dass er nicht mehr viel mit dem Körper zu schaffen hat. Er hat sich eines großen Teils seiner Bürde erledigt. Er frohlockt und beginnt mit mir ein Streitgespräch über das Alter. Das, sagt er, sei seine Blütezeit. Glauben wir ihm, gönnen wir ihm den Genuss seines Glückes« (Seneca nach Fink 2007).
Neueste Arbeiten aus dem Institut für Alternsforschung in Newcastle (England) zur gesundheitlichen Selbsteinschätzung von Über-85-Jährigen zeigen (Collerton et al. 2009), dass etwa 77% von ihnen das ebenso empfinden wie Seneca und in Selbsteinschätzung ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut im Vergleich mit anderen bezeichnen. In dem gerade erschienenen Buch Training bei Demenz zu unserer gleichlautenden Tagung am 08. Dezember 2008 (Schwenk u. Hauer 2009) werden Wege aufgezeigt, wie in Zukunft diese Zahl von 77% noch gesteigert und ein Gedächtnisverlust gelindert werden könnte.
Nachwuchsförderung
Einen Schwerpunkt sieht das NAR in der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern. Diese werden zum einen fachspezifisch, wie die etwa zwanzig Doktoranden des von der Baden-Württemberg-Stiftung finanzierten Verbundprojektes »Molekulare und biomedizinische Grundlagen von Alterungsvorgängen», oder aber fächerübergreifend ausgebildet. Hier ist an erster Stelle das NAR-Kolleg zu nennen. Das fachliche Spektrum, das die jungen Wissenschaftler des NAR-Kollegs vertreten, reicht von Biologie, Psychologie, Gerontologie, Sportwissenschaft bis zur Musikwissenschaft. Manche von ihnen werden in der Wissenschaft bleiben und mit neuen Ideen Forschungsprojekte starten, andere werden vielleicht ihre Neigung zur Öffentlichkeitsarbeit und Translation von Forschung in die Praxis entdecken und andere Wege einschlagen. Neben der wissenschaftlichen Betreuung erhalten die Kollegiaten professionelle Hilfestellung durch einen Wissenschaftsjournalisten bei der Präsentation ihrer Daten in der Öffentlichkeit. Diese Ausbildung erlaubt ihnen, als Übersetzer und Vermittler zwischen den Disziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu fungieren.
Im März 2010 startete das NAR gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung das interdisziplinäre Graduiertenkolleg Demenz, für das zahlreiche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und damit auch verschiedenartige wissenschaftliche Disziplinen relevant sind. Eine Qualifizierung auf dem Gebiet der Demenz muss die verschiedenartigsten Forschungs- und Lehrinhalte – sowohl biologisch-medizinische als auch pflegerische, palliative, soziologische, ökonomische und gesellschaftspolitische – umfassen, die alle im Graduiertenkolleg Demenz vertreten sind. Wenn solche Fragestellungen Berücksichtigung bei der Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs finden, ist ein Vorgehen notwendig, durch das die heute noch bestehenden Defizite in der Vermittlung demenzbezogener Inhalte geschlossen werden. Die Forschungsergebnisse sollen praxisrelevant sein und zur Theorieentwicklung sowie zur Verbesserung von Versorgungsqualität und Versorgungsstrukturen beitragen. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Kollegiaten exzellent auf eine anschließende Tätigkeit in Wissenschaft, Praxis und Lehre vorzubereiten.
Öffentlichkeitsarbeit
Wissenschaftliche Themen einer breiten Bevölkerung in verständlicher Art und Weise zu vermitteln, ist ein weiteres Hauptanliegen des NAR. Speziell hierfür wurde eine Seminarreihe gegründet, das NAR-Seminar, das alle zwei bis drei Monate in der Neuen Universität Heidelberg stattfindet und zu dem Interessierte herzlich eingeladen sind. Jedes Seminar ist einem Thema gewidmet, das aus der Sichtweise verschiedener Disziplinen dargestellt wird. Eine Zusammenfassung der bisher behandelten und geplanten Themen gibt es auf unserer Internetseite (www.nar.uni-heidelberg.de). Dort kann man sich auch über die einzelnen Vorträge in Form von Videofilmen informieren und Interviews mit den Vortragenden lesen.
Alternsforschung und Tod
Ziel unserer Alternsforschung und der Translation unserer Ergebnisse ist es nicht, den Tod besiegen zu wollen, sondern dazu beizutragen, dass ein beschwerdefreies, sinnerfülltes und eigenverantwortliches Leben bis zum Tod möglich wird. »Wenn wir den Tod abschaffen«, führt der Philosoph Hans Jonas in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung (Jonas 1979) aus, »müssen wir auch die Fortpflanzung abschaffen, denn die letztere ist des Lebens Antwort auf den ersteren, und so hätten wir eine Welt von Alter ohne Jugend und von schon bekannten Individuen ohne die Überraschung solcher, die nie zuvor waren«. Seneca bemerkt in seinem Brief an Lucilius zum Tod, dass es schließlich »eine großartige Sache ist, den Tod zu lernen«, ja, dass man ständig an den Tod denken müsse. »Wer das sagt«, so schließt der Brief, »fordert zugleich dazu auf, an die Freiheit zu denken. Denn wer zu sterben gelernt hat, hat verlernt, Sklave zu sein.« Dies gilt für alle Generationen und unterstreicht die Bedeutung der im NAR praktizierten Interdisziplinarität.
Literatur
Collerton J et al. (2009) Health and disease in 85 year olds: baseline findings from the Newcastle 85+ cohort study. BMJ 399:b4904.
Curtius F (1961) Das Individualitätsprinzip im Denken Ludolf Krehls, In: Münchner Medizinische Wochenschrift 103: 2494–2497.
Jonas H (1979) Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt (Suhrkamp).
Schwenk M, Hauer K (2009) Körperliches Training bei Demenz. In: LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg (Hg) (2009) Training bei Demenz. Stuttgart 12–37.
Seneca LA Epistula XXVI. In: Fink G (Hg) (2007) Briefe an Lucilius/Epistulae Morales ad Lucilium (Sammlung Tusculum). Düsseldorf (Artemis & Winkler).