Gruppentherapie und Gruppenarbeit mit älteren Menschen - neuere Entwicklungen

Gruppenpsychotherapie ist die wohl am häufigsten angewandte Methode in der Psychotherapie mit älteren Menschen, deren Vorteile in der Literatur ausführlich beschrieben worden sind (Radebold 1983, Bechtler 2000, Schneider u. Heuft 2001, Kipp u. Peters in diesem Heft). Die von Matthias Hirsch (2004) vertretene Auffassung, nach der in der analytischen Gruppe die Frage nach dem Sein und der Identität besonders eindringlich gestellt wird, dürfte auch, ja vielleicht sogar in besonderer Weise für Ältere gelten. Diese grundlegende Thematik zu bearbeiten, ist nicht die einzige Chance, die Gruppentherapie mit Älteren bietet. Doch diese und andere Vorteile sind schon mehrfach beschrieben worden und werden auch in dem hier vorliegenden Heft zur Sprache kommen. Damit allein wäre jedoch nichts Neues hinzugefügt und eigentlich kein Grund gegeben, das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Was mich veranlasst hat, ein Themenheft zur Gruppentherapie und Gruppenarbeit mit Älteren zusammen zu stellen, ist die immer größer werdende Vielfalt an Ansätzen, Methoden und Verfahren in der therapeutischen Arbeit mit älteren Menschen. Dabei sind die Übergänge von der Gruppentherapie zur Gruppenarbeit, in der pädagogische oder sozialtherapeutische Zielsetzungen im Vordergrund stehen, fließend. Man kann in dieser Entwicklung zweifellos ine professionelle Kreativität erblicken, die immer neue Ansätze hervorbringt,die sich zum Teil erheblich von der Therapiemethode entfernen, von der sie eigentlich ausgegangen sind. Anhänger einer integrativen Psychotherapie könnten darüber erfreut sein, könnten sie aus dieser Entwicklung genau solche integrativen Tendenzen herauslesen. Tatsächlich sind die Grenzen zwischen den Therapieschulen im Bereich der Alterspsychotherapie weniger eng gezogen als anderswo. Dennoch wäre eine solche Interpretation wohl zu gewagt und auch kritisch zu reflektieren. Wie auch immer man dazu stehen mag, stellt sich die Frage nach den Gründen für die auch in diesem Heft nicht zu übersehende Entwicklungstendenz. Mir scheinen zwei, sich allerdings widersprechende Gründe in diesem Zusammenhang von Bedeutung zu sein: Als erstes ist wohl an das zu denken, was uns die Gerontologie immer wieder vor Augen geführt hat, nämlich an die Pluralität des Alters. Dass die Menschen im Alter unterschiedlicher werden, ist eine ihrer fundamentalen Aussagen; dass sich dies auch bei einem psychotherapeutischen Inanspruchnahmeklientel wieder findet, konnten wir empirisch nachweisen (Peters et al. 2000). Wir sind ohne Frage gut beraten, dies in der Psychotherapie zur Kenntnis zu nehmen und uns darauf einzustellen, dass auch die Älteren, die eine Behandlung suchen, sehr unterschiedlich sind. Dies ernst zu nehmen heißt, dass nicht alle von dem gleichen Vorgehen und vermutlich auch nicht von dem gleichen Verfahren werden profitieren können. Vielmehr sollten unterschiedliche Angebote bereitgehalten werden, d. h. der Pluralität des Alters sollte eine ebensolche Pluralität in der Psychotherapie folgen. Genau dies scheint in der Gruppentherapie der Fall zu sein, wie die vielfältigen Angebote erkennen lassen. Einschränkend ist allerdings festzustellen, dass dies wohl nur für den stationären, nicht jedoch für den ambulanten Bereich gilt, in dem wir kaum spezifische Angebote für Ältere finden, jedenfalls dann nicht, wenn wir im Bereich der Psychotherapie bleiben. Doch es gibt andere Einschränkungen, genauer gesagt, Bedenken, die dieser positiven Sicht gegenüber gestellt werden sollten. Könnte nicht die Suche nach immer neuen Varianten aus der Erfahrung resultieren, dass Gruppentherapie mit Älteren in der klinischen Praxis keineswegs so unproblematisch ist, wie es manchmal in der Literatur erscheint? Ist der zu beobachtende Prozess der immer neuen Ausgestaltung nicht auch als Ausdruck der Probleme in der Anwendung der Gruppentherapie bei Älteren zu verstehen, Probleme, die in der Literatur kaum einmal eingehender behandelt werden, geht es hier doch fast ausschließlich um die positiven Aspekte. Wären wir nicht gut beraten, skeptischer und kritischer zu sein und uns etwa von der Tatsache nur spärlich vorliegender Wirksamkeitsnachweise irritieren zu lassen. Mich selbst beschleichen immer wieder Zweifel, ob die von uns so nachdrücklich postulierten Vorteile tatsächlich immer gegeben sind, manches Mal vermag ich sie im klinischen Alltag nicht zu erkennen. Fragt man die Älteren selbst, dann scheinen diese von unseren gut gemeinten Gruppenangeboten keineswegs immer so begeistert zu sein, wie sie es eigentlich unseren Theorien zufolge sein müssten. Wir möchten deshalb mit diesem Heft zum einen die Vielfalt und die dabei zum Ausdruck kommende Kreativität heutzutage praktizierter Ansätze in der Gruppentherapie mit Älteren sichtbar machen; der Schwerpunkt wird auf der Gruppentherapie, weniger der pädagogischen und sozialtherapeutischen Gruppenarbeit liegen. Dabei kommt es uns weniger auf die theoretischen Hintergründe an, die ohnehin oftmals wenig ausgearbeitet sind, sondern mehr auf die praktische Vorgehensweise und die klinischen Implikationen an. Zum anderen möchten wir aber auch zu einer gewissen Nachdenklichkeit anregen und dazu ermutigen, eine kritische Distanz einzunehmen, auch wenn dies dem Mainstream zuwider läuft. Dazu sollte uns unser Verantwortungsbewusstsein veranlassen, um das so nützliche und unverzichtbare Instrument der Gruppentherapie nicht einer impliziten Entwertung preiszugeben, sondern so sorgfältig wie nur möglich zu handhaben und nur dann anzuwenden, wenn wir sicher sein können, dass es dem Wohle des Patienten dient.

Literatur

Bechtler H (2000) Gruppenpsychotherapie mit älteren Menschen. München (Reinhardt). Hirsch M (2004) Gedanken zum Schwinden der Attraktivität analytischer Gruppenpsychotherapie. Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, 40, 164–179. Peters M, Lange C, Radebold H (2000) Psychotherapiemotivation älterer Patienten in der Rehabilitationsklinik – Eine empirische Studie. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 46, 259–273. Radebold H (Hg) (1983) Gruppenpsychotherapie im Alter. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). Schneider G, Heuft G (2001) Gruppenpsychotherapie mit alten Menschen. In: Tschuschke V (Hg) Praxis der Gruppenpsychotherapie. Stuttgart New York (Thieme) 312–318.

Meinolf Peters: Editorial zum Themenheft
“Gruppentherapie”