Praxisbezogene Falldarstellungen zum Themenheft “Gewohnheit, Ritual und Zwang”

Thomas Niedermeier & Angelika Neumann:

Stationäre verhaltensmedizinische Behandlung von Zwängen bei älteren Patienten - ein Fallbeispiel (Abstract)

Es wird die stationäre psychosomatische Behandlung eines 70-jährigen Patienten mit einer Zwangsstörung nach einem verhaltenstherapeutischen Therapiekonzept beschrieben. Besondere Beachtung findet dabei die Adaption der Therapiestrategien auf ältere Patienten. Die besonderen Aspekte zum Erscheinungsbild des Zwangs und zur Therapiemotivation werden diskutiert und die verhaltenstherapeutischen Strategien der Reaktionsverhinderung von Zwangshandlungen, der Exposition mit spannungserzeugenden Gedankenzwängen und der kognitiven Umstrukturierung dysfunktionaler Denkweisen werden erläutert.

Jan Wojnar:

Gewohnheit, Ritual und Zwang im Leben Demenzkranker (Abstract)

Störungen der Gedächtnisfunktionen und der Denkvorgänge führen bei Demenzkranken zu einem zunehmenden Verlust des Zeitempfindens. Die kausalen Zusammenhänge zwischen einzelnen Ereignissen werden nicht mehr erkannt. Das eigene Leben wird nicht als ein Kontinuum wahrgenommen, sondern zerfällt in einzelne, zufällige Augenblicke, was mit einer existentiellen Verunsicherung verbunden ist. In der Anfangsphase der Erkrankung bieten eine gleich bleibende Tagesstruktur, die Beschränkung des Bewegungsraums und die Pflege von Gewohnheiten Sicherheit und Halt. Menschen mit einer mittelschweren und schweren Demenz brauchen dagegen die Geborgenheit und den Schutz der Gruppe und sind auf Rituale angewiesen, die den angeborenen Handlungsmustern entstammen und dadurch intuitiv verstanden werden.

Johannes Kipp:

Zur Polarität von Ordnung und Vermüllung - Psychodynamik des Sammelzwangs im Alter (Abstract)

Ältere Patienten, die extrem sammeln und bis zur Vermüllung horten, werden in die psychiatrische Klinik meist nach körperlichen Erkrankungen oder auf Innitiative ihrer sozialen Umwelt aufgenommen. Häufig geht das Horten mit sozialem Rückzug und extremer Vernachlässigung (Diogenes Syndrom) einher. Wir unterscheiden verschiedene Formen pathologischen Sammelverhaltens. Bei gleichzeitigem Bestehen einer Demenz ist die Mortalität erschreckend hoch. Horten im höheren Lebensalter ohne gleichzeitige schwere körperliche oder psychische Erkrankung rechnen wir dem Zwangsspektrum zu. In einem Literaturüberblick wird auf die unterschiedlichen Formen und Verläufe aufmerksam gemacht.

Andrea Weigelt:

Die Funktion von Ritualen bei behinderten alten Menschen - am Beispiel einer erblindeten Frau (Abstract)

Rituale stellen für behinderte Menschen eine Hilfe dar, mit denen sie oft die Schwierigkeiten, die sich aus ihrer Behinderung ergeben, kompensieren und so den Anforderungen des täglichen Lebens begegnen können. Ritualisierte Handlungen stärken das Gefühl der eigenen Existenz, sie bieten Halt und Orientierung. Am Beispiel einer älteren, blinden Patientin soll verdeutlicht werden, dass Rituale im Alter in gleicher Weise eine stützende und auch eine behindernde Funktion haben können.

Ulrich Wichmann-Jentzen:

Geburtstag feiern in der betreuenden Institution (Abstract)

Gerade für ältere Menschen, die durch psychische Krankheit oder durch Schicksalschläge vereinsamt sind, ist das Feiern des Geburtstags in einer Bezugsgruppe von besonderer Wichtigkeit. Sie bekommen dort so eine neue Heimat, die es ihnen ermöglicht, unterstützende Sozialkontakte aufrechtzuerhalten. Freiräume für die individuelle Gestaltung von Geburtstagsfeiern in einem institutionellen Rahmen fördern die emotionale Beheimatung, führen aber auch zu Konflikten, so dass die Pflege der Geburtstagskultur zu einer anspruchsvollen Betreuungsaufgabe wird.

npatient behavioral treatment of obsessions in elderly patients - a case report (English Abstract)

The inpatient psychosomatic treatment of a 70-year-old patient with obsessive-compulsive disorder according to a behavioral therapy concept is described. Special attention is paid to the adaptation of therapy strategies to older patients. The particular aspects concerning the manifestation of obsessive-compulsive disorder and the motivation for therapy are discussed, and the behavioral therapy strategies of response prevention of obsessive-compulsive behavior, exposure to tension-producing thought compulsions, and cognitive restructuring of dysfunctional thought patterns are explained.

Habit, ritual, and compulsion in the lives of dementia patients (English Abstract)

Disturbances of memory functions and thought processes lead to an increasing loss of the sense of time in dementia patients. The causal connections between individual events are no longer recognized. One's own life is not perceived as a continuum, but disintegrates into individual, random moments, which is associated with existential uncertainty. In the initial phase of the disease, a consistent daily structure, the restriction of movement and the cultivation of habits offer security and support. People with moderate and severe dementia, on the other hand, need the security and protection of the group and depend on rituals that stem from innate patterns of action and are thus understood intuitively.

On the polarity of order and clutter - psychodynamics of the compulsion to collect in old age (English Abstract)

Elderly patients who collect extremely and hoard to the point of littering are usually admitted to psychiatric clinics after physical illness or on the initiative of their social environment. Hoarding is often accompanied by social withdrawal and extreme neglect (Diogenes syndrome). We distinguish different forms of pathological hoarding behavior. In the presence of concomitant dementia, mortality is alarmingly high. We classify hoarding in old age without concurrent severe physical or mental illness as belonging to the compulsive spectrum. A review of the literature draws attention to the different forms and courses.


The function of rituals in handicapped elderly people - using the example of a blind woman (English Abstract)

Rituals are a help for disabled people, often compensating for the difficulties resulting from their disability and thus enabling them to cope with the demands of daily life. Ritualized actions strengthen the feeling of one's own existence, they offer support and orientation. Using the example of an elderly, blind patient, it will be made clear that rituals in old age can have both a supporting and a hindering function.


Celebrating birthdays in the caring institution (English Abstract)

Especially for elderly people who are isolated by mental illness or by strokes of fate, celebrating their birthday in a reference group is of special importance. There they get a new home, which enables them to maintain supportive social contacts. Freedom for the individual organization of birthday celebrations in an institutional setting promotes emotional homecoming, but also leads to conflicts, so that the cultivation of birthday culture becomes a demanding care task.