Angelika Trilling und Johannes Kipp: Editorial zum Themenheft
“Kunst-, Musik- und Tanztherapie im Alter”
»Was wollt Ihr von uns Alten denn noch?!«
Das Bedürfnis nach Schönheit und Kreativität schlummert in jedem von uns. Wird es geweckt und passiv oder besser noch aktiv befriedigt, wirkt es entspannend, anregend und bereichernd, es verhilft zur Harmonie und Glücksmomenten und ist als solches ein probates Mittel bei vielerlei psychischem und physischem Leiden. Was liegt also näher, gezielt auch psychisch erkrankten Menschen im Alter den Zugang zu kreativem Tun zu ermöglichen?
Lassen sich aber damit alle Patienten gleichermaßen erreichen? Als Vermutung sei geäußert, dass es eher die Frauen sind, und hier wiederum diejenigen mit einem eher bildungsbürgerlichen, mittelschichtsorientierten Hintergrund, die sich spontan zu Tanz, Musik und künsterischem Gestalten hingezogen fühlen. Gibt es also eine Diskriminierung der Männer und der eher bildungsfernen Frauen, wenn es um die Anwendung der heilenden Hilfen der Kreativtherapien geht? Die Abwehr, die aus der Überschrift spricht, hört man des öfteren, wenn man Patienten der Gerontopsychiatrie die Teilnahme an Musik-, Mal- oder Tanztherapie vorschlägt. Vielleicht haben sie zuletzt in der Schule gezeichnet und nur bis zur Eheschließung das Tanzbein geschwungen. Musik ist ihnen möglicherweise nur noch als Klangteppich aus dem Radio vertraut, bis ihnen auch dieser zu viel wurde. Dennoch gelingt es mit den »Kreativtherapien« - so die leicht sperrige zusammenfassende Bezeichnung - oft viel besser, einen Zugang zu älteren Menschen zu finden, als mit einer rein sprachlichen Psychotherapie.
Obwohl in den psychiatrischen Kliniken und in vielen Altenpflegeeinrichtungen inzwischen ausgebildete Therapeuten für Musik-, Kunst-, Tanz- und Bewegungstherapie arbeiten, scheint ihre Tätigkeit für die Außenstehenden - zu denen bereits der verordnende Arzt oder der Heimleiter zählen - eigentümlich diffus. Man weiß und sieht die wohltuende, heilende Wirkung ihrer Angebote, vermag sie indes kaum präzise zu benennen, geschweigedenn zu quantifizieren.
Und auch die praktizierenden Kreativtherapeuten selbst scheinen sich oft schwer zu tun, die Erfolge, die sie ganz offensichtlich mit ihrer Arbeit erzielen, außerhalb ihres Fachgebietes transparent zu machen. Viele von ihnen sind auf eher verschlungenen Wegen, beispielsweise über die eigene künsterische Tätigkeit, zur Kunsttherapie gekommen und eher zufällig in der Gerontopsychiatrie gelandet. Oft führen sie ein Doppelleben zwischen eigener Kunstproduktion und der Anleitung anderer zum künstlerischen Tun.
Bei der Lektüre dieses Heftes macht man die Erfahrung, dass die Vorstellungen über Krankheiten, über Therapie und über Heilungsprozesse bei den Therapeutinnen und Therapeuten der verschiedenen Berufsgruppen so unterschiedlich sind wie die Sprache, in der sie darüber berichten. Für die Zusammenarbeit ist es allerdings unabdingbar, dass die unterschiedlichen Disziplinen einander zuhören und voneinander lernen - dies möchten wir aber mit diesem PiA-Heft unterstützen.
Die Varianten der Kreativtherapien sind vielfältig. Notwendigerweise mussten wir unsere Auswahl auf wenige Autoren zur Kunst-, Musik- und Tanztherapie beschränken, wohl wissend, dass sich Kreativität in weit mehr Lebenstätigkeiten als in diesen Therapien äußern kann. Unter dem eher kreativfeindlich wirkenden Sammelbegriff der »Tagesstruktur« finden sich - häufig von Ergotherapeuten, Pflegekräften oder Sozialpädagogen angeleitet - Aktivitäten wie Theaterspielen, Schönheitspflege oder Kochkurse, also Angebote, die vielleicht in einem weiteren PiA-Heft dargestellt werden können.
Angelika Trilling und Johannes Kipp