5. Jahrgang 2008,
Heft 1: Eine Institution stellt sich vor
Hartwig von Kutzschenbach:
Ambulante Betreuung und Begleitung psychisch kranker älterer Menschen und ihrer Angehörigen durch den Sozialpsychiatrischen Dienst für alte Menschen (SOFA), Nürtingen
Der Sozialpsychiatrische Dienst für alte Menschen wurde zunächst als Modellprojekt durch das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit von Oktober 1985 bis Dezember 1989 gefördert. Träger des Dienstes war und ist der Landkreis Esslingen, die verwaltungsmäßige Zuordnung erfolgte von 1985 bis 1996 zum Krankenhausdezernat; seit 1996 liegt die Zuständigkeit beim Sozialdezernat.
Während der Modellzeit umfasste das Versorgungsgebiet den Altkreis Nürtingen mit rund 180.000 Einwohnern. Seit 1990 wurde das Versorgungsgebiet stufenweise auf den gesamten Landkreis Esslingen mit heute 510.000 Einwohnern ausgeweitet.
Der Dienst hat acht Stellen, die mit elf Personen besetzt sind. Das Team besteht aus zwei Altenpflegerinnen und zwei Altenpflegern, einer Krankenschwester, drei Sozialpädagoginnen, einem Psychiater, einer Verwaltungsangestellten als zentrale Anlaufstelle und einem Diplom-Pädagogen als Leiter des Dienstes.
Die Zielsetzung der Arbeit des Dienstes bezieht sich auf die folgenden drei Bereiche:
Bestmögliche Patientenversorgung, vor allem der Schwer- und Schwerstkranken.
Entlastung und Unterstützung von Angehörigen.
Kompetenzerweiterung der professionellen und freiwilligen Helfer.
Weitere Ziele sind die Vernetzung der Hilfen für Patienten und Angehörige sowie der möglichst niedrigschwellige Zugang zu den Angeboten. Das SOFA sollte Teil der Regelversorgung werden. SOFA hat folgende Aufgaben:
Abklärung der Versorgungssituation von Patienten. Dabei sollen medizinisch- psychiatrische, pflegerische und/oder soziale Intervention selbst übernommen oder vermittelt werden,
Beratung der Angehörigen in Zusammenarbeit mit den professionellen und/oder teilprofessionellen Helfern sowie deren Fort- und Weiterbildung,
Gremienarbeit und
Motorfunktion für die gerontopsychiatrische Entwicklung im Landkreis.
Die Tätigkeiten der Mitarbeiter von SOFA umfassen folgende Bereiche:
Durchführung einer umfassenden medizinische, pflegerischen und sozialen Diagnostik und Einschätzung der Patienten (gerontopsychiatrisches Assessment) sowie deren begleitende Betreuung durch Hausbesuche.
Begleitung von Angehörigen durch Einzelberatung und Angebote von Angehörigengruppen. Diese Angehörigengruppen sind offene Gruppen, die sich einmal monatlich für 1 1/2 bis 2 Stunden treffen. Insgesamt existieren 13 solcher Gruppen unter Mitwirkung von SOFA.
Fortbildung und fachbezogenen Beratung, z. B. in Form von Fallbesprechungen mit anderen Helfern. Dieses Angebot wird Mitarbeitern von ambulanten und (teil-)stationären Einrichtungen gemacht.
Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen in Bezug auf die Patienten und Angehörigen, sowie eine intensive Öffentlichkeitsarbeit sind weitere Tätigkeitsschwerpunkte.
Intern legen wir einen besonderen Schwerpunkt auf die multiprofessionelle Zusammenarbeit im Team. Wenn die Integration unterschiedlicher, beruflicher und persönlicher Wahrnehmungen und Einschätzungen in Bezug auf Patienten und Angehörigen gelingt, hat dies unmittelbar positive Auswirkungen auf den Patienten und sein versorgendes Umfeld. Auch aus diesem Grund werden die Erstkontakte bei Patienten in der Regel von zwei Mitarbeitern, möglichst mit unterschiedlichen Professionen, durchgeführt. Ein umfassendes multiprofessionelles Assessment dieser Art verhindert die Notwendigkeit von langwierigen »Nachklärungen« zu einem späteren Zeitpunkt. Eine patientenund tätigkeitsbezogene Dokumentation wird durchgeführt.
Seit 2004 ist SOFA Teil des Gerontopsychiatrischen Zentrums Nürtingen. Das gerontopsychiatrische Zentrum besteht aus folgenden Bausteinen:
Sozialpsychiatrischer Dienst für alte Menschen.
(Geronto-)psychiatrische Institutsambulanz (integriert in SOFA, mit der zusätzlichen Möglichkeit der vorstationären Indikationsabklärung).
Memoryklinik (Gedächtnissprechstunde) in Einzelfällen.
Tagesklinik für ältere Menschen mit zurzeit 12 Plätzen.
Gerontopsychiatrische Motorfunktion (Kooperation, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit).
Einfügen Tabelle 1
Die Schwerpunkte von SOFA im Bereich Psychiatrie sind
Ambulante gerontopsychiatrische Abklärung und Einschätzung.
Casemanagement bei Patienten, bei denen komplexe Betreuungs- und Versorgungslagen zu klären sind und entsprechende Hilfen und Maßnahmen eingeleitet werden müssen.
Betreuung von sog. »Hardcore«-Patienten, d.h. von Patienten, die aufgrund der Schwere der Erkrankung bzw. der Begleitsymptome (Suizidalität, Unruhe, Aggressivität, Verwahrlosung) nicht weiterverwiesen werden können.
Angehörigenberatung
Vorstationäre Indikationsabklärung zusammen mit der Institutsambulanz
Die Vorgehensweise von SOFA ist in der Tabelle 2 beschrieben. Zugangsvoraussetzung sind lediglich folgende drei Kriterien:
Älter als 60 Jahre (oder unter 60 Jahren bei Vorliegen einer Demenzerkrankung),
Wohnort im Landkreis Esslingen (Patient oder Angehöriger) und
Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung oder eine psychische Krise.
Einfügen Tabelle 2:
Der Kontakt wird entweder durch den Patienten selbst oder durch Dritte aufgenommen und die Anmeldung erfolgt telefonisch oder schriftlich. Dann wird ein Erstkontakt mit dem Patienten vereinbart. Obwohl die Nutzung von SOFA freiwillig ist, gibt es kaum Patienten, die einen Kontakt ablehnen.
Nach dem gerontopsychiatrischen Assessment kommt es dann entweder zu einem Abschluss der Intervention, wenn die Abklärung erbracht hat, dass keine weitere Hilfe erforderlich ist. Es erfolgt in jedem Fall eine Rückmeldung an den Zuweiser.
Sollte der Patient oder SOFA zu dem Schluss kommen, dass weitere Hilfen erforderlich sind, gilt es, die Ziele zu definieren und zu überlegen, welche der folgenden Bereiche zu optimieren sind:
Versorgungslücken,
soziales Netz,
»technische Hilfen« und
persönliche Begleitung.
Diesen Prozess bezeichnet man auch als Casemanagement. Die notwendigen Hilfen werden entweder durch SOFA selbst erbracht oder durch SOFA vermittelt. Sollten diese Hilfen ausreichend sein, endet die Betreuung hier.
Bei einer besonderen Schwierigkeit der Situation, der Notwendigkeit eines Kontaktes über einen längeren Zeitraum, um weitere Hilfen veranlassen zu können, oder wegen der Komplexheit der Gesamtsituation betreut SOFA Patienten auch langfristig.
Die Schwerpunkte von SOFA im Bereich der Altenhilfe umfassen folgende Bereiche:
Die Unterstützung und fachliche Begleitung örtlicher Angebote, z. B. im Rahmen von örtlichen Altenhilfeplanungen.
Regionenbezogener Aufbau von Besuchsdiensten bei Demenzkranken und anderen Patienten.
Schulungsreihen für Angehörige (neben der Einzelberatung und den Angehörigengruppen).
Zentrale Fortbildungsveranstaltungen für Nachbarschaftshelferinnen (landkreisweit).
Ausbau von Gruppenangeboten für spezielle Patientengruppen, z. B. depressiverkrankte Frauen, psychisch kranke ältere Männer u. a.
Für das gerontopsychiatrische Zentrum ist zukünftig folgende Arbeitsweise geplant:
Einfügen Tabelle 3
Sollte dieses ambulante Angebot zunächst nicht ausreichen, gibt es die Möglichkeit, die Patienten in der gerontopsychiatrischen Tagesklinik aufzunehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Patienten am Abend und am Wochenende versorgt sind. Erst wenn auch dieses Angebot nicht ausreicht, kommt eine vollstationäre Behandlung in einer der beiden psychiatrischen Abteilungen der Kreiskliniken in Betracht.
Das Angebot wird also personenbezogen nicht institutionenbezogen gemacht. Es gilt der Grundsatz der geringstnötigen Hilfe!