Meinolf Peters & Ursula Koch-Straube: Editorial zum Themenheft
“Beratung”

Beratung Älterer - ein Ausflug in die deutsche Beratungslandschaft

Vor einiger Zeit besuchte ich (M.P.) eine Beratungsstelle für ältere Menschen und ihre Angehörigen, um einen Tag lang mit dem Team zu arbeiten. Die Beratungsstelle gilt seit vielen Jahren als vorbildlich, sie leistet bis heute eine beeindruckende Arbeit und vertritt ein modernes, psychosoziales und integriertes Behandlungskonzept, dessen Umsetzung von engagierten Mitarbeiterinnen getragen wird.
   Wie aber sind die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen beschaffen, die schließlich darüber entscheiden, ob ein solches Konzept sich tatsächlich entfalten kann und die Adressaten erreicht. Dass es darum nicht zum Besten bestellt ist, erahnt man bereits, wenn man die Beratungsstelle aufsucht. Ich brauchte lange, um sie im Hinterhof zu finden; zweimal musste ich Passanten fragen, bis ich endlich das Türschild entdeckte. Nun kann man zunächst hervorheben, dass es durchaus als Vorteil gesehen werden kann, dass die Beratungsstelle außerhalb des öffentlich-politischen Raumes liegt, also außerhalb einer Örtlichkeit, die vielleicht mit Macht und Kontrolle assoziiert würde, was für einen offenen Beratungsprozess durchaus hinderlich sein könnte. Doch was signalisiert eine Lage, die es schwer macht, die Einrichtung überhaupt ausfindig zu machen? Gut, dadurch mag eine gewisse Form von Anonymität gegeben sein, die den Zugang erleichtert, mir scheint aber doch eine andere Botschaft enthalten, die sich unübersehbar offenbart, wenn man das Haus betritt. Es handelt sich um ein enges, verwinkeltes Fachwerkhaus, und wenn man es betritt, führt eine enge, steile Treppe in den ersten Stock, in dem die Beratungsstelle liegt. Welch ein Hohn, wenn man über ein wenig Einfühlungsvermögen verfügt und nur etwas über altengerechte Wohnraumgestaltung weiß, ja man braucht eigentlich kein besonderes Fachwissen, um einen solchen Zugang für unzumutbar zu halten. Wie mögen sich ältere Menschen fühlen, wenn sie sich die Treppe hinaufquälen?
   Ruth Großmaß (2002) hat sich mit der Bedeutung von Beratungsräumen und -settings befasst, einer häufig vernachlässigten Dimension von Beratung. Beratung, die in alltäglichen Lebenskontexten stattfindet, also etwa über den Gartenzaun hinweg mit dem Nachbarn, der von seinen Sorgen berichtet, oder unter Patienten im Wartezimmer des Arztes, die sich über ihre gesundheitlichen Probleme austauschen, bedarf keiner gesonderten Räume. Professionelle Beratung aber benötigt eigene, geschützte, aber auch einladende und Wertschätzung ausstrahlende Räume.
   Welche Botschaft aber geht von dieser Enge aus, was wird dadurch über die Wertschätzung und über die gesellschaftliche Stellung älterer Menschen ausgesagt, wenn es sie in den Hinterhof verschlägt und sie Kopf und Kragen riskieren müssen, um den Ort zu erreichen, an dem sie notwendige Hilfen erhalten können. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle kämpfen seit Jahren gegen immer wieder neue Kürzungen und gehen bis an ihre Grenzen und oft genug darüber hinaus, um ihr hochwertiges Angebot aufrechterhalten zu können.
   Der kleine Ausflug in die deutsche Beratungswirklichkeit führt also sogleich zur Ernüchterung und lässt erahnen, auf welche Widerstände eine Veränderung der Beratungswirklichkeit stoßen kann.
   Beratung als eine Form der persönlichen Hilfe zählt zum Katalog präventiver und rehabilitativer Maßnahmen, die verhindern sollen, dass die im Alter zunehmenden gesundheitlichen und sozialen Risiken in manifeste Probleme münden (Karl 2004). Sie ist sowohl im Methodenarsenal der Altenhilfe, die im Bundessozialhilfegesetz als Pflichtaufgabe den Kommunen vorgeschrieben ist, wie im Pflegeversicherungsgesetz verankert. Doch hält die soziale Wirklichkeit dem damit formulierten Anspruch stand? Wird Beratung in dem Umfang durchgeführt, wie es hier gefordert wird? Und entspricht die Beratung älterer Menschen modernen Standards psychosozialer Beratung? Eine Untersuchung der Beratungswirklichkeit der Universität Kassel (Bracker 1982), vor mehr als 25 Jahren durchgeführt, offenbarte erschreckende Defizite. Die Beratung fand überwiegend unter völlig unzureichenden personellen, materiellen und räumlichen Bedingungen statt. Seitdem ist viel Zeit vergangen, und Alter ist inzwischen zu einem der dominanten öffentlichen Diskursthemen avanciert. Doch wie sieht die Beratungswirklichkeit älterer Menschen heute, 25 Jahre später, tatsächlich aus? Hat sie sich gewandelt und professionalisiert, oder ist sie ein Stiefkind in der psychosozialen Versorgungslandschaft geblieben? Die oben geschilderte kleine Erfahrung mag zur Vorsicht mahnen.
   Die folgenden Beiträge sollen einige Schlaglichter auf die heutige Beratungswirklichkeit älterer Menschen werfen. Dabei wird sich zeigen, dass die Beratung älterer Menschen nicht überall im Hinterhof stecken geblieben ist, sie ist zumindest in manchen Bereichen vielfältiger, innovativer und qualitativ anspruchsvoller geworden, und das neue Pflege-Weiterentwicklungsgesetz gibt Anlass zur Hoffnung auf weitere Besserung, wie Trilling in ihrem Beitrag heraushebt. Wir möchten in diesem Heft Probleme sichtbar machen, aber ebenso positive Beispiele hervorheben, um zu zeigen, dass sich etwas bewegt.

Meinolf Peters (Marburg) und Ursula Koch-Straube (Darmstadt)

Literatur

Bracker M (1982) Empirische Ergebnisse der Untersuchung über Altenberatung für die Praxis. In: Bracker M, von Hackewitz W, Pressel I, Radebold H (Hg) Aspekte heutiger Altenberatung. Hannover (Vincentz) 3–31.
Karl F (2004) Beratung für alte Menschen. In: Nestmann F, Engel F, Siekendiek U (Hg) Das Handbuch der Beratung. Band I. Tübingen (dgvt) 281–291.
Großmaß R (2002). Gestaltung von Beratungsräumen als professionelle Kompetenz. In: Nestmann F, Engel F (Hg) Die Zukunft der Beratung. Tübingen (dgvt) 187–201.