6. Jahrgang 2009,
Heft 1: Eine Institution stellt sich vor
Johanna Gossens:
Das Patienten-Informationszentrum im Klinikum Lüdenscheid
Das Patienteninformationszentrum (PIZ) wurde im Mai 1999 als Kooperationsprojekt zwischen dem Klinikum Lüdenscheid und dem Institut für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke nach einjähriger Vorbereitungszeit aufgebaut. Das PIZ besteht aus einer Präsenzbibliothek und hält neben verständlicher, laiengerechter Literatur, Videos und Broschüren auch Internetplätze vor, die kostenlos zur Suche nach krankheitsbezogenen Informationen genutzt werden können. Zwei erfahrene und weitergebildete Krankenschwestern begleiten die Besucher bei ihrer Informationssuche und sind Ansprechpartner für Fragen zum Umgang mit den Folgen einer Erkrankung im Alltag.
Das Angebot zeichnet sich durch eine besondere Niederschwelligkeit aus, da keine Zugangsvoraussetzungen notwendig sind (wie Einweisung oder Überweisung). Das Zentrum kann spontan durch Patienten oder andere Ratsuchende aufgesucht werden. Es liegt zentral im Eingangsbereich des Klinikums und ist an Werktagen von 10.00–12.00 und 14.00–17.00 Uhr geöffnet.
In der täglichen Arbeit gibt es drei Arbeitsschwerpunkte: Information, Schulung und Beratung. Die Aktivitäten des PIZ sind ein zusätzliches Angebot zur ärztlichen Aufklärung, sie ersetzen diese aber nicht. Die Aufklärung kann nach interdisziplinärer Absprache in einzelnen Modulen erfolgen, z.B. allgemeine Grundlagen der Anatomie oder Physiologie im PIZ, dezidierte Einzelfallbesprechung mit dem fallverantwortlichen Arzt und anschließend Schulungsmaßnahmen und individuelle Alltagsberatung durch Mitarbeiter des PIZ.
Im Bereich Information liegt der Fokus in der Wissensvermittlung zu anatomisch-physiologischen Grundlagen, Wirkfaktoren, Einflussmöglichkeiten, Abläufen im Behandlungsprozess und zu allgemeinen sozialrechtlichen Ansprüchen. Bei speziellen Fragestellungen werden klinikinterne oder regionale Ansprechpartner hinzugezogen. Die Informationsvermittlung zu spezialisierten Angeboten (z.B. Kontinenzberatung, Wundversorgung, Ernährungs- oder Diabetesberatung, Case-Management) ist klinikintern vernetzt. Außerdem wird über das regionale Angebot von Selbsthilfegruppen und über Aktivitäten, die durch Kostenträger finanziert werden (z.B. Rückenschule, Gewichtsreduktion, Entspannung), sowie über Beratungsstellen des Kreises (Familienberatung, Suchtberatung, sozialpsychiatrischer Dienst) informiert. Neben dieser individuellen Begleitung von Besuchern bei ihren Recherchen werden in regelmäßigen Abständen Veranstaltungen zu Themen von allgemeinem Interesse geplant und durchgeführt.
Der Bereich Schulung umfasst die Vermittlung spezieller Techniken oder komplexer Verhaltensweisen, die zum Selbstmanagement bei chronischen Erkrankungen erforderlich sind, z.B. das Erlernen der Technik der subcutanen Selbstinjektion, die Benutzung eines Pens zur Interferontherapie bei malignem Melanom oder bei Hepatitis C, das Anlegen eines Kompressionsverbandes, die korrekte Anwendung eines Dosier-Aerosols oder die Blutdruck-Selbstmessung. Diese Schulungen werden in Einzelsitzungen auf den Stationen oder nach Terminabsprache im Zentrum durchgeführt. Neben dieser individuellen Schulung werden auch komplexe Konzepte für die Pflegenden auf den Stationen entwickelt, z.B. zur Anleitung von Patienten nach Laryngektomie, zur Vorbereitung auf eine Bypassoperation oder vor einer radikalen Prostatektomie. Bei solchen Patienten steht der Gesamtprozess der Behandlung im Vordergrund, sie müssen sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen auseinandersetzen, neues Wissen erwerben, verschiedene Techniken und Handlungsoptionen erlernen und eigene Bewältigungsstrategien entwickeln.
In der Beratung geht es vorrangig um die Gestaltung des Alltags. Das Leben mit einer chronischen Erkrankung ist geprägt durch notwendige kontinuierliche Anpassungsleistungen an die sich verändernden Anforderungen in der Alltagsgestaltung. Beratung ist notwendig, um die Motivation zu unterstützen, Veränderungen im eigenen Leben vorzunehmen. Es geht dabei um die Auseinandersetzung mit den Wünschen und Zielen, die Gestaltung des täglichen Lebens und die Beziehungsgestaltung zu Angehörigen und in sozialen Netzen. In all diesen Feldern können Pflegende Unterstützungsleistungen anbieten, die es den Betroffenen ermöglicht, ihren eigenen, einzigartigen Weg des Lebens mit einer Erkrankung zu finden und zu gestalten.
Zu den theoretischen Grundlagen der Arbeit gehören das Salutogenese-Konzept (Antonovsky 1997), der Empowerment-Ansatz (Herriger 2002) und die Förderung des Selbstmanagements (Lorig 1999). Vorbild unserer Arbeit ist das Mitte der 90er Jahre gegründete, »Patient-Learning-Center« im Beth-Israel-Deaconess-Medical-Center in Boston/USA, das im Rahmen einer vergleichbaren Strukturreform der amerikanischen Krankenhauslandschaft entwickelt wurde.
Durch die alternde Gesellschaft ist ein wachsender Anteil der Bevölkerung damit konfrontiert, das Leben mit einer chronischen Erkrankung bewältigen zu müssen. Deshalb ist auch in Deutschland ein Paradigmenwechsel notwendig. Es geht darum, Patienten in Versorgungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Patienten sind Koproduzenten ihrer Gesundheit. Bei einer solchen Haltung gewinnen objektivierbares Wissen und reflektierte subjektive Bewertungskriterien bezogen auf den eigenen Gesundheitszustand an Bedeutung (SVR-Gutachten 2003, Bd. 1, Z. 60/61). Das Krankenhaus kann als Ort der Gesundheitskommunikation (Ose et al. 2005) gesehen werden, in dem Gesundheitskompetenz entwickelt werden kann. Die Expertise der verschiedenen Berufsgruppen kann sich dabei als Ressource auswirken.
Sowohl die Erstdiagnostik als auch kritische Lebenssituationen einer chronischen Erkrankung sind in der Regel mit einem stationären Aufenthalt verbunden. Die Pflegenden bringen ihre Kompetenzen in der Beziehungsgestaltung, Interaktion und Kommunikation mit Menschen in außergewöhnlichen Lebenssituationen ein. Durch die Fokussierung der Pflege auf die Aktivitäten des täglichen Lebens kann die Diskrepanz zwischen Selbstpflegebedarf und -fähigkeit häufig minimiert werden. Zusammen mit Patienten und Angehörigen kann es so gelingen bei der Entlassung aus dem Krankenhaus, ein tragfähiges, alltagstaugliches Selbstpflegekonzept zu etablieren.
Die Verkürzung der Krankenhausverweildauern in Folge der Einführung des DRG-Systems hat durch den Anstieg von Fallzahlen und des durchschnittlichen Fallschweregrads zu einer immensen Arbeitsverdichtung in der stationären Pflege geführt. Pflegerische Interventionen in Form von Information und Beratung können dem steigenden Bedarf – frühere Entlassungen mit höherem Selbstpflegebedarf – kaum mehr gerecht werden. Patienteninformationszentren als Bestandteil der Klinikstruktur übernehmen und koordinieren Aktivitäten zur Information und Beratung von Betroffenen und ihrer Angehörigen. Sie unterstützen die Eigeninitiative und tragen an den Schnittstellen zwischen den Institutionen des Gesundheitswesens zur Sicherung der Qualität bei.
Seit der Eröffnung werden einige Nutzerdaten erhoben. Im Durchschnitt suchen monatlich ca. 400 Besucher das PIZ auf. Neben Patienten (ca. 60%) nutzen auch ehemalige Patienten, Angehörige und Bürger aus der Region das Zentrum. Es besuchen mehr Frauen (55%) als Männer die Einrichtung. Die Nutzer sind mehrheitlich 40 bis 60 Jahre alt. Die Zufriedenheit der Nutzer ist ausgesprochen hoch (87% Noten 1 oder 2), nahezu alle Besucher würden das PIZ weiterempfehlen. Geschätzt werden besonders die Verständlichkeit der Information, das Einfühlungsvermögen und die Kompetenz der Mitarbeiter sowie die angenehme Atmosphäre, in der die Beratungen stattfinden.
Das PIZ ist mittlerweile eine etablierte Einrichtung der Gesundheitsinformation in der Region und unterhält vielfältige Kontakte zu anderen Anbietern (Familienbildungsstätten, Kreisgesundheitskonferenz, Hilfsmittelversorgern etc.).
Die Idee des PIZ hat in der deutschen Pflegelandschaft großes Interesse geweckt. Es ist mehrfach prämiert worden und hat Vorbildfunktion für den Aufbau weiterer Zentren. Limitierend für die Übernahme des Lüdenscheider Gesamtkonzeptes waren in fast allen Fällen zu geringe Mittel für die Errichtung und die fehlende Refinanzierung von pflegegestützten Edukationsaktivitäten.
Um die bundesweiten Aktivitäten in diesem Bereich zu bündeln und den Austausch unter Einrichtungen zu fördern, wurde 2001 das »Netzwerk Patienten- und Familienedukation in der Pflege e.V.« gegründet.
Literatur
Antonovsky A (1997) Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen (dgvt).
Herriger N (2002) Empowerment in der Sozialen Arbeit. 2. Aufl. Stuttgart (Kohlhammer).
Lorig KR et al. (1999) Evidence Suggesting That a Chronic Disease Self-Management Program Can Improve Health Status While Reducing Hospitalization. Medical Care 37: 5–14.
Ose D, Hurrelmann K, Schaeffer D (2005) Gesundheits- und Patienteninformationszentren an Krankenhäusern. Das Krankenhaus 6: 495–500.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2003) Gutachten 2003. Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität. http://www.svr-gesundheit.de/Gutachten/Gutacht03/kurzf-03.pdf, 24.09.03.