6. Jahrgang 2009,
Heft 2: Universitäre Forschung stellt sich vor
Hans-Werner Wahl, Frank Oswald & Oliver Schilling:
Abteilung für Psychologische Alternsforschung, Psychologisches Institut der Universität Heidelberg
Zur Geschichte der Abteilung
Die Abteilung für Psychologische Alternsforschung (APA) am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg besteht seit Februar 2006. Sie ist aus der Abteilung für soziale und ökologische Gerontologie des Deutschen Zentrums für Alternsforschung an der Universität Heidelberg hervorgegangen, das bis 2005 bestand. Diese Abteilung war seit 1997 tätig, d.h. ihre Arbeit hat sich etwa im Laufe eines Jahrzehnts entfaltet.
Grundlegende Zielsetzungen
Orientiert an einer Lebensspannen-Perspektive konzentriert sich die Arbeit der APA auf die Untersuchung von Kontexten für eine gute Entwicklung im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Insbesondere geht es darum, wie psychologische Prozesse (z.B. Anpassung an chronische Funktionseinbußen) und klassische Indikatoren von gutem Altern (wie Wohlbefinden versus Depressivität) mit unterschiedlichen Ökologien in Wechselwirkung stehen. Der Begriff Ökologie wird hier sehr umfassend verstanden. Alternsrelevante Ökologien können auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein: unterschiedliche Wohnformen (Privathaushalt, stationäre Einrichtungen), außerhäusliche Aktionsräume, Technikumwelten, aber auch – umfassender – kommunale Umwelten oder sogar – gesellschaftlich-historisch gesehen – unterschiedliche Kohortenerfahrungen. Stets geht es um die Frage, welche Entwicklungsoptionen derartige Ökologien für alternde Menschen besitzen, ob und wie sie diese nutzen und zu welchen Effekten die Auseinandersetzung mit bestimmten Ökologien führt.
Die APA ist in das Lehrangebot in der Psychologie und der Gerontologie eingebunden und an dem seit 2007 bestehende Bachelor-Studiengang in Psychologie mit bedeutsamen Komponenten beteiligt. Auch wird die Alterns- und Lebenslaufperspektive in der ab 2010 beginnenden Master-Ausbildung in Psychologie einen hohen Stellenwert haben. Angesichts der bisherigen Vernachlässigung der Alternsforschung in der Psychologie halten wir diese Entwicklung auch im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals der Heidelberger Psychologenausbildung für wertvoll (Wahl et al. 2008).
Forschungsschwerpunkte
Psychologische Adaptationsdynamiken im mittleren und höheren Erwachsenenalter
Wohlbefindensparameter für das mittlere bis hohe Alter werden von uns sowohl mit primär- als auch sekundäranalytischen Strategien erarbeitet. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die interdisziplinäre Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) mit nunmehr drei Messzeitpunkten über einen Zeitraum von 12 Jahren, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Gerontologie (Prof. Dr. A. Kruse), der Abteilung für Gerontopsychiatrie (Prof. Dr. J. Schröder), dem Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie (Prof. Dr. A. Riehl-Emde), der Zahnmedizinischen Klinik der Universität Heidelberg (Dr. A. Hassel) sowie dem Deutschen Krebsforschungszentrum (Prof. Dr. M. Essig) und dem Institut für Gerontologie der Technischen Universität Dortmund (Dr. M. Schmitt) durchgeführt wird. Der Abschlussbericht wird in Kürze online auf der Homepage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorliegen, Im Rahmen von ILSE werden Menschen aus zwei Alterskohorten (mit Geburtsjahren 1930–32 und 1950–52) über lange Zeit (längsschnittlich) untersucht. Psychologische Dynamiken beim Übergang vom mittleren ins höhere und zukünftig auch ins sehr hohe Erwachsenenalter werden dadurch beschreibbar (z.B. Schmitt et al. 2006).
Ein Schwerpunkt der von der EU (5. Rahmenprogramm) geförderten Studie ENABLE-AGE (»Enhancing Autonomy and Health-related Abilities in Old Age: The Role of the Home Environment«) betrifft auch das sehr hohe Alter. Die dort einbezogenen Hochaltrigen (heute › 85 J.) untersuchen wir heute weiter im Rahmen des von der DFG geförderten Projekt »Longitudinal Analysis of Subjective Well-being in Very Old Age: The Role of Health, the Home Environment and Anxiety in the Face of Proximity to Death« anhand von weiteren zwei Messzeitpunkten, letztlich mit der Intention einer Weiterführung für die gesamte verbleibende Lebensdauer aller Studienteilnehmer. Neuartig an dieser Studie ist die Schwerpunktsetzung: Sie betrifft Angst, Todesangst und Hypochondrie in Bezug auf Indikatoren zum Wohlbefinden und zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Kontinuierliche DFG-Förderung seit Mitte der 1990er Jahre erhalten auch die Studien der APA zu psychischen Anpassungsprozessen im Bereich sensorischer Beeinträchtigungen während des Alterns (z.B. Schilling u. Wahl 2006, Wahl et al. 1999, 2004, Wahl, Schilling u. Becker 2007). Gerade abgeschlossen wurde die Datenerhebung der DFG-Studie »Zur Entwicklungsrelevanz von Seh- und Höreinbußen im Alter: Bedeutung sozial-räumlicher und psychischer Ressourcen«. Erste Ergebnisse unterstreichen die hohe Bedeutsamkeit kognitiver Ressourcen für die außerhäusliche Autonomie bei sehbehinderten Über–75-Jährigen im Vergleich zu Hörbehinderten und zu Sensorisch-Nicht-Beeinträchtigten.
Mithilfe des Wilhelm-Woort-Preises für Alternsforschung wurde, in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Klinische Psychologie (Dr. A. Kämmerer) am Psychologischen Institut und der Augenklinik (Dr. F. Holz, Dr. K. Rohrschneider) der Universität Heidelberg, mit der Entwicklung eines psychosozialen Beratungsprogramms (»self-management«) im Hinblick auf die psychosozialen Folgen von schwerwiegenden Augenerkrankungen im Alter, insbesondere bei altersabhängiger Makuladegeneration, begonnen (Wahl et al. 2006).
Sekundäranalytisch wurden mehrere Arbeiten zum Wohlbefinden vom mittleren bis ins hohe und sehr hohe Alter vorgelegt, wobei die Rolle des Alters von den Kohorteneinflüssen anhand der Daten des sozio-ökonomischen Panels differenziert wurden (z.B. Schilling 2005).
Darüber hinaus haben wir uns auch auf der Grundlage einer von der Bertelsmann-Stiftung unterstützten Expertise sowie sekundäranalytischer Auswertungen ausführlich mit der psychischen Anpassung von Singles im mittleren und höheren Lebensalter auseinandergesetzt (Baas et al. 2008).
Psychologische Aspekte von räumlich-sozialen Kontexten für ein gutes Altern
Projekte der APA zielen darauf, die Dynamiken des Umgangs mit dem Wohnen im Alter empirisch besser zu verstehen. Als prototypisch zu nennen ist hier das bereits erwähnte Projekt ENABLE-AGE, in dem es darum ging, bei alleinlebenden Hochaltrigen in verschiedenen europäischen Ländern (Deutschland, Großbritannien, Lettland, Schweden, Ungarn) sowohl objektive als auch subjektiv-personale Beziehungen zum Wohnen anhand von Indikatoren bzw. Messinstrumenten abzubilden und die Ergebnisse mit Lebensqualitäts-Indikatoren (Selbstständigkeit, Wohlbefinden vs. Depression) zu verknüpfen (Oswald et al. 2007).
In weiteren Arbeiten haben wir uns ferner beschäftigt und beschäftigen wir uns weiter mit der Rolle von Wohnbedeutungen, Nachbarschaftsbeziehungen, neuen Formen des Wohnens im Alter und der (methodischen) Frage der wechselseitigen Konstruktschärfung bei unterschiedlichen empirischen Zugängen zum Wohnerleben und zur Wohnbedeutung (Oswald u. Wahl 2005, Oswald et al. 2006, Wahl, Mollenkopf et al. 2007).
Auch die Rolle außerhäuslicher Aktionsräume für ein gutes Altern beschäftigt die APA bereits seit geraumer Zeit im Rahmen von fragebogengestützten Mobilitätsforschungsprojekten mit Beobachtungszeiträumen von bis zu zehn Jahren (Hieber et al. 2006). Derzeit arbeiten wir zusammen mit einer israelischen Forschergruppe (Dr. N. Shoval) daran, die außerhäuslichen Mobilitätsmuster bzw. die diesbezügliche Veränderungen bei älteren Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (mild cognitive impairment, MCI) und leichten Demenzerkrankungen besser zu verstehen. Dieses von der DFG im Rahmen der Deutsch-Israelischen Projektkoordination (DIP) geförderte Projekt beinhaltet interdisziplinäre Synergien (Zusammenarbeit von Psychologie, Geografie, Gerontologie, Sozialarbeit und Ethik).
Beiträge zur angewandten Psychologie des Alterns
Evidenzbasiert wollen wir an der kontroversen Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes neuer Technologien bei kognitiv beeinträchtigten Älteren teilnehmen. Beispielhaft seien hier drei Projekte genannt:
In dem von der Robert Bosch Stiftung geförderten Projekt »Bewertung neuer Technologien durch Bewohner und Personal im institutionellen Kontext und Prüfung der Übertragbarkeit ins häusliche Wohnen« (BETAGT) geht es darum, ein Instrument zur Evaluation von Technologien wie Internetzugang, computergestützter Pflegedokumentation, Sensortechnologie (z.B. zur Sturzprophylaxe) und digitalisierter Zugangskontrolle zu entwickeln und diese einer ersten Anwendung zu unterziehen.
In einem weiteren Projekt sollen wesentliche Aspekte der Lebensqualität aus Sicht der Bewohner und des Personals erfasst werden, um sie im Pflegealltag zu nutzen. Gleichzeitig sollen aber auch Forschungsdaten generiert werden, die helfen, den komplexen Bereich der Lebensqualität in stationären Ökologien für Ältere besser zu verstehen und zu differenzieren.
Im Rahmen von ILSE haben wir schließlich auch differenzierte Daten zur Mediennutzung, speziell zur Internetnutzung von Älteren (on- versus offliner), erhoben und ausgewertet (Doh et al. 2008). Derartige Befunde können dazu genutzt werden, die Partizipation von Älteren an den sog. Neuen Medien zu unterstützen (Vermeidung von »digital divide«) sowie die Heterogenität der Mediennutzung auch bei Älteren (wie auch in anderen Altersgruppen unserer Gesellschaft) und die Rolle von Medien für die Lebensqualität im Alter besser zu verstehen.
Literatur
Baas S, Schmitt M, Wahl HW (2008) Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalter: Sozialwissenschaftliche und psychologische Befunde. Stuttgart (Kohlhammer).
Doh M, Wahl HW, Schmitt M (2008) Medienverhalten der 1930/32-Geborenen unter besonderer Berücksichtigung der Internetnutzung: Befunde der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters. Spiel 24 (Sonderheft »Alter und Medien. Alte Menschen in der Mediengesellschaft«) 35–66.
Hieber A, Mollenkopf H, Kloé U, Wahl HW (2006) Kontinuität und Veränderung in der alltäglichen Mobilität älterer Menschen. Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung. Köln (TÜV Media GmbH).
Oswald F, Schilling O, Wahl HW, Fänge A, Sixsmith J, Iwarsson S (2006) Homeward bound: Introducing a four domain model of perceived housing in very old age. Journal of Environmental Psychology 26: 187–201.
Oswald F, Wahl HW (2005) Dimensions of the meaning of home in later life. In: Rowles GD, Chaudhury H (Hg) Home and identity in later life. International perspectives. New York (Springer) 21–46.
Oswald F, Wahl HW, Schilling O, Nygren C, Fänge A, Sixsmith A, Sixsmith J, Széman Z, Tomsone S, Iwarsson S (2007) Relationships between housing and healthy aging in very old age. The Gerontologist 47: 96–107.
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Schmitt M, Oswald F, Jopp D, Wahl HW, Brenner H (2006) The impact of internal and external resources on health, competence and well-being: Longitudinal findings from the ILSE. In: Wahl HW, Brenner H, Mollenkopf H, Rothenbacher D, Rott C (Hg) The many faces of health, competence and well-being in old age: Integrating epidemiological, psychological and social perspectives. Dordrecht, NL (Springer) 199–209.
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Wahl HW, Mollenkopf H, Oswald F, Claus C (2007) Environmental aspects of quality of life in old age: Conceptual and empirical issues. In: Mollenkopf H, Walker A (Hg) Quality of life in old age – international and multidisciplinary perspectives. Dordrecht, NL (Springer) 101–122.
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Wahl HW, Schilling O, Oswald F, Heyl V (1999) Psychosocial consequences of age-related visual impairment: Comparison with mobility-impaired older adults and long-term outcome. Journal of Gerontology: Psychological Sciences 54B: P304-P316.