6. Jahrgang 2009,

Heft 4: Eine Institution stellt sich vor

Peter Bäurle:

ViaNova: Privatstation mit dem Schwerpunkt 50+

Die psychotherapeutische Klinik Aadorf im Thurgau liegt zehn Kilometer von der Kantonshauptstadt Frauenfeld entfernt in einem ländlichen Gebiet. Der erste Blick auf die Gebäude lässt nicht erkennen, dass es sich um eine psychotherapeutische Klinik handelt. Wenn man dorthin kommt, hat man vielmehr den Eindruck, sich in einem gehobenen Wohnquartier zu befinden.
   Die Station ViaNova ist eine offene Psychotherapiestation. Das Altersspektrum der Patientinnen und Patienten reicht von 20 bis 80 Jahren und umfasst damit drei bis vier Generationen. Etwa 70% der Patienten sind aber über 50 Jahre alt. Zur Behandlung werden Menschen mit Depressionen, Angsterkrankungen, Somatisierungsstörungen, Traumafolgen, Zwangserkrankungen und Burn-Out-Syndromen aufgenommen. Sie sollten über eine ausreichende Introspektionsfähigkeit verfügen und weder selbst- noch fremdgefährdend sein.
   Die Station hat 14 Betten und befindet sich in einem stattlichen Privathaus mit einer großzügigen Gartenanlage. Die zehn Einzel- und zwei Doppelzimmer sind mit Dusche und Toilette ausgestattet. Das Essen wird vor Ort frisch zubereitet. Den Patienten stehen Sauna, Whirlpool und Außenschwimmbad zur Verfügung.
   Grundsätzlich wird vor jedem Eintritt ein unverbindliches Informationsgespräch durchgeführt, um einerseits die Indikation zu prüfen und andererseits den Patienten Informationen über die Therapie und über die Klinik zu geben. Das familiäre Ambiente der Station erleichtert es den Patienten sehr, sich auf diese Informationsgespräche einzulassen.
   Auf der Station ViaNova haben die Entspannungsverfahren einen hohen Stellenwert, um dem Stresserleben, unter dem die meisten psychisch Kranken stehen, entgegen zu wirken. Neben den übenden Verfahren spielt für den Stressabbau auch die Umgebung eine wichtige Rolle. Die Einzel- und Doppelzimmer tragen dazu bei, dass sich die Patientinnen und Patienten nicht untereinander stören. Für das psychische Wohlbefinden ist eine angenehme Umgebung Voraussetzung insbesondere bei Patienten, die unter den Folgen von Traumata leiden oder ein Burn-Out-Syndrom haben. Bei der Auswahl der Patienten achten wir außerdem darauf, dass die Schweregrade ihrer Erkrankung nicht zu sehr differieren und dass so nicht einzelne Patienten ihre Mitpatienten durch ihr Verhalten belasten.
   Auf der Station arbeiten drei PsychologInnen, ein Assistenzarzt und ein Chefarzt. Das Pflegeteam besteht aus vier Pflegefachfrauen. Vier SpezialtherapeutInnen sind außerdem für Einzel- und Gruppentherapien zuständig. Die TherapeutInnen haben unterschiedliche fachliche und methodische Schwerpunkte, sodass es möglich ist, Patienten je nach vorliegender Problematik mit unterschiedlichen Therapieformen individuell zu behandeln. Alle TherapeutInnen verfügen über eine mehrjährige Berufserfahrung und eine abgeschlossene psychotherapeutische Ausbildung.
   Unsere therapeutische Grundhaltung ist die der Empathie, was für uns bedeutet, vorurteilslos zugänglich zu sein für das, was Patienten empfinden. Neben Einzeltherapien, die in der Regel dreimal wöchentlich stattfinden, werden Gestaltungs- und Bewegungstherapien in Gruppen und im Einzelsetting durchgeführt. Yoga, Feldenkrais, progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, Achtsamkeitsübungen, Psychoedukation, freies Gestalten sowie Nordic walking wird außerdem angeboten. Wichtig sind natürlich die psychotherapeutischen Verfahren, von denen bei uns je nach individueller Problemstellung Verhaltenstherapie, systemische Therapie, tiefenpsychologisch fundierte Therapie, Gestalttherapie oder Hypnose zur Anwendung kommen. Die Patienten profitieren aber auch von den komplementärmedizinischen Angeboten, wie von der Traditionellen Chinesischen Medizin mit Akupunktur sowie von Kräutertees, Phytotherapie und Massagen. Nach einer Beratung können die Patienten selbst auswählen, welche komplementären Verfahren bei ihnen angewandt werden sollen. Diese Wahlmöglichkeiten und der damit einhergehende Entscheidungsspielraum tragen wesentlich zur Zufriedenheit mit der Therapie bei. Humor ist ein weiteres wichtiges Element, das Entspannung ermöglicht und hilft, Beschämungen über die eigene psychische Erkrankung zu überwinden. Wichtig ist in der Therapie außerdem, den Körper nicht zu vernachlässigen, da sich psychische Störungen meist auch in körperlichen Symptomen wie Verspannungen und Schmerzen manifestieren.
   Dreimal pro Woche essen die Patienten gemeinsam mit dem Chefarzt. Diese Begegnungen am Esstisch außerhalb des klassischen Settings tragen dazu bei, Normalität zu erleben und den Selbstwert wieder zu stärken, der oft durch die Notwendigkeit eines Klinikaufenthalts beschädigt wurde. Aber auch die Gemeinschaft untereinander bietet dazu Chancen, wenn die Patientinnen und Patienten beispielsweise abends am Feuer sitzen. Dort können sie sich austauschen und auch neue Freundschaften schließen.
   Geraten Menschen, wenn sie sich in einer derartig beschützten Umgebung befinden, nicht in die Gefahr, mit dem Alltagsleben zu Hause nicht mehr zurechtzukommen? Um einer solchen Gefahr zu begegnen, sind in der Regel Wochenendurlaube vorgesehen, durch die der Bezug nach Hause wieder hergestellt wird. Die Belastungsurlaube am Wochenende sollen so früh wie möglich den Transfer der neuen Erfahrungen in den Alltag außerhalb des geschützten Klinikmilieus ermöglichen. Patienten können sich mit ihren Erfahrungen, die sie in der Klinik erworben haben, im häuslichen Umfeld neu orientieren, Feedback einholen und versuchen, ihr Umfeld danach zu gestalten.
   Meist können während des Klinikaufenthaltes akute Probleme weitgehend gelöst werden. Oft ist aber auch noch nach dem stationären Aufenthalt eine weitere ambulante Therapie indiziert, die nach Möglichkeit durch Psychiater und Psychotherapeuten weitergeführt wird, die vor der stationären Behandlung die Therapie begonnen hatten.
   Anliegen der Klinik ist auch, dass die Mitarbeiter in einer stressarmen Atmosphäre tätig sein können. Nur die Therapeuten, die selbst Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, sind wirklich geeignet, den Patienten auch Ruhe und Gelassenheit zu vermitteln. Es ist Teil unserer professionellen Arbeit, mittels Supervision und Intervision regelmäßig unser therapeutisches Vorgehen zu reflektieren.
   Entgegen anfänglicher Bedenken wird die große Altersspanne der Patienten in der Station durchweg positiv erlebt. Das Verbindende der seelischen Krisen ist weit stärker als das Trennende des Altersunterschieds. Insbesondere von den Älteren wird die Anwesenheit jüngerer Patientinnen und Patienten sehr geschätzt. Umgekehrt profitieren jüngere im Dialog mit älteren Patienten von deren Erfahrungen und deren Wertschätzung. Therapeutisch bietet unsere altersgemischte Station die Möglichkeit, Konflikte oder Idealisierungen, die aus generationenübergreifenden Übertragungssituationen entstehen, zu bearbeiten.
   Auf der Station ViaNova wird deutlich, dass die neue Generation der Älteren, die sog. Babyboomer und 68er, bereits begonnen hat, das Bild vom Alter zu verändern. Der Wunsch nach Psychotherapie und Komplementärmedizin ist bei den Menschen dieser Generation deutlich ausgeprägt und die Ansprüche an Unterbringung und Verpflegung sind hoch. Ebenso wie die älteren Menschen, die heute in Behandlung kommen, haben sich auch die Ursachen ihrer Erkrankungen verändert. Berufliche Belastungen, Partnerschaftskonflikte und die Kombination aus beiden Krankheitsursachen spielen eine große Rolle.
   Es ist unser Ziel, uns mit dieser Station auf die Bedürfnisse der »neuen jungen Alten« einzustellen und mit entsprechenden therapeutischen Angeboten auf deren spezifische Themen und Probleme einzugehen. Deshalb orientieren wir unser Konzept 50+ an den Bedürfnissen dieser Patientinnen und Patienten und beziehen sie durch Befragungen in die weitere Konzeptentwicklung ein.