Susanne Zank: Editorial zum Themenheft
“Pflege und Psychotherapie”

Die Gesundheit älterer Menschen wird erfreulicherweise immer besser. Dieser Befund gilt insbesondere für die Menschen im sogenannten dritten Alter, also zwischen 60 und 80 Jahren. Ein anderes Bild ergibt sich bei den Über-80-Jährigen im vierten Alter und bei den Über-100-Jährigen, die in der Gerontologie zunehmend als abgegrenzte Gruppe wahrgenommen werden. Zwar zielen präventive Anstrengungen darauf ab, die Gesundheit auch im hohen Alter zu erhalten oder wiederherzustellen. Die momentane Realität besteht jedoch in einer deutlichen Zunahme chronischer Erkrankungen wie z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates oder Demenzen jenseits des 80. Lebensjahres. Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen mit zunehmendem Alter häufig zur Pflegebedürftigkeit. So sind 38% der 80–84-Jährigen pflegebedürftig, bei den über 90-jährigen Frauen sind es 65% (Männer 42%). Zwar haben Männer insgesamt eine kürzere Lebenserwartung als Frauen, die hochbetagten Männer stellen jedoch offensichtlich im Sinne des »survival of the fittest« eine besondere Auswahl dar.
   Von den Auswirkungen der Pflegebedürftigkeit unmittelbar betroffen sind zunächst die alten Patienten. Allerdings handelt es sich nicht um ein isoliertes Geschehen, denn die Angehörigen der Patienten werden zu pflegenden Angehörigen oder zu Organisatoren einer professionellen Pflege. Nicht wenige Angehörige durchlaufen eine »unexpected career«, wie amerikanische Kollegen diese Übernahme von Pflegeaufgaben bezeichnen.
   In diesem Heft versuchen wir, einige Aspekte des hochkomplexen Prozess Pflegebedürftigkeit zu fokussieren. Wir beginnen mit einer Übersicht zur Belastung von pflegenden Angehörigen und zu den Möglichkeiten, sie zu entlasten. Hierbei wird gezeigt, dass Pflege eine Herausforderung für die Angehörigen ist, die vielfach als sehr belastend empfunden wird und negative Konsequenzen für die Lebensqualität sowie für die physische und psychische Gesundheit der Pflegenden haben kann. Diese Folgen sind keineswegs zwangsläufig, denn Pflege kann auch als Bereicherung und als Chance zur Persönlichkeitsentwicklung empfunden werden. Insgesamt sind aber wirksame Entlastungsangebote für die Betroffenen notwendig, die es vielfach noch nicht gibt.
   Einen ganz anderen Blickwinkel präsentiert die Übersicht von Katrin Claßen et al. Hier werden neue Technologien vorgestellt und konzeptionelle Grundlagen für den Einsatz von Technik in der Pflege diskutiert.
   Die fallzentrierten Darstellungen werden eröffnet, indem Ingrid Heimbach einen ganz besonderen Patienten vorstellt. Richard Taylor ist ein demenzkranker Psychologieprofessor, der seinen eigenen Krankheitsprozess beobachtet und niedergeschrieben hat. Seine Verzweiflung über seine schwindenden kognitiven Fähigkeiten und die Reaktionen seiner Umwelt werden von ihm sehr anschaulich und berührend geschildert. Die pflegebedürftigen Patienten stehen auch im Mittelpunkt des Artikels von Petra Dykierek. Sie beschreibt die Möglichkeiten und Grenzen interpersoneller Psychotherapie, kognitiver Verhaltenstherapie und deren Erweiterung in der Schematherapie in der Arbeit mit multimorbiden Patienten.Claudia Schacke nimmt die pflegenden Angehörigen in den Blick. In ihrem Fallbeispiel zeigt sich, wie wichtig die individuelle Passung zwischen dem Angebot und den Bedürfnissen der Pflegenden ist.
   Einen neuen Versuch individueller Unterstützung beschreiben Denise Schinköthe und Gabriele Wilz, indem sie eine telefonische verhaltenstherapeutische Intervention vorstellen. Diese Falldarstellung ist Teil eines Forschungsprojektes, in dem diese telefonische Therapieform evaluiert wird. Margareta Halek und Sabine Bartholomeyczik beschäftigen sich mit der professionellen Pflege, die neben den Patienten und pflegenden Angehörigen ein dritter wesentlicher Teil des Pflegeprozesses ist. Die Autorinnen setzen sich mit dem Umgang mit herausforderndem Verhalten auseinander, das insbesondere in der Pflege demenziell Erkrankter eine wesentliche Schwierigkeit darstellt.
   Im Artikel von Ilga Opterbeck et al. wird eine empirische Studie beschrieben, in der pflegende Angehörige nach dem Tod des gepflegten Demenzpatienten befragt wurden. Stellt der Tod eine Erleichterung für die Angehörigen dar – oder gibt es Faktoren, die den Abschied möglicherweise erschweren? Diese Fragen sind wissenschaftlich bisher selten bearbeitet worden. Das Thema Pflege wird abgerundet durch die Vorstellung der Arbeit der Alzheimer-Gesellschaften durch Christa Matter.
   In einem freien Artikel stellt Margret Hahne Erfahrungen mit der multimodalen Therapie in einer psychosomatischen Klinik aus Sicht einer älteren Patientin dar.