7. Jahrgang 2010,
Heft 4: Eine Institution stellt sich vor
Christa Matter:
Die Arbeit der Alzheimer-Gesellschaften in Deutschland
Die Geschichte der Alzheimer-Selbsthilfe
Noch vor 20 Jahren waren Begriffe wie Demenz oder Alzheimer-Krankheit fast ausschließlich in Fachkreisen bekannt. Selbst viele Ärzte sprachen von HOPS – einem hirnorganischen Psychosyndrom oder unterlagen einem weit verbreiteten negativen Altersstereotyp: alt gleichbedeutend mit senil.
Es gab zu diesem Zeitpunkt kaum Informationen über das Krankheitsbild, geschweige denn Beratungs-, Hilfs- und oder Entlastungsangebote für Angehörige und Betroffene. Nur sehr langsam rückte die Alzheimer-Krankheit in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und man erkannte die Notwendigkeit der Selbsthilfe auch für Demenzkranke und ihre Angehörigen. So schlossen sich in den 80er Jahren an einzelnen Orten in Deutschland Angehörige von Demenzkranken, begleitet von fachlichen Helfern, zu Selbsthilfegruppen zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen und die Situation für die Betroffenen zu verbessern. Die Selbsthilfegruppen von Angehörigen Demenzkranker sind aus einem selbstbestimmten Engagement der von der Krankheit Demenz »mitbetroffenen« Angehörigen entstanden. Es handelt sich um regelmäßige Zusammenkünfte, die u.a. den Zweck haben, die eigene Lebenssituation zu thematisieren sowie Entlastung und Unterstützung anzubieten. Diese gegenseitige Unterstützung, das Lernen voneinander und die Solidarität führen also die Betroffenen zusammen und erleichtern ihr tägliches Leben.
Durch den besseren medizinischen Kenntnisstand heutzutage und die verstärkten Anstrengungen in Richtung einer möglichst frühen Diagnose wird die Selbsthilfe auch für die Kranken selbst inzwischen immer wichtiger. Auch sie brauchen ein Forum, um sich unabhängig von ihren Familien gegenseitig zu stützen.
Von der Selbsthilfegruppe zum Verein
Die ersten Alzheimer-Selbsthilfegruppen von Angehörigen in Deutschland entstanden in den späten achtziger Jahren, die erste örtliche Alzheimer-Gesellschaft wurde 1986 in München von Angehörigen und Professionellen gegründet. Ihr folgte im Frühjahr 1989 die Gründung der Alzheimer-Gesellschaft Berlin e.V. Im Dezember 1989 gründete sich der Dachverband, die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
Heute gibt es in Deutschland etwa 600 Selbsthilfegruppen in diesem Bereich. 122 regionale Alzheimer-Gesellschaften und Landesverbände sind Mitglied in der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Die regionale Verteilung der Selbsthilfegruppen ist sehr unterschiedlich. In größeren Städten gibt es mehr Selbsthilfegruppen als auf dem Land. Insbesondere in den neuen Bundesländern gibt es noch viele »weiße Flecken« auf der Landkarte.
Die Arbeit der Alzheimer-Gesellschaften in Deutschland
Die Arbeit der ersten Alzheimer-Gesellschaften begann organisatorisch und insbesondere räumlich unter bescheidenen Bedingungen. Oft wurde die Arbeit zunächst rein ehrenamtlich von Angehörigen geleistet, die private Telefonnummer wurde zur »Beratungsnummer« für Ratsuchende. Erst nach und nach gab es vereinzelt hauptamtliche Mitarbeiter und ab Mitte bzw. Ende der neunziger Jahre auch eigene Geschäftsstellen. Noch immer ist die Arbeit der Alzheimer-Gesellschaften von dem Miteinander der Mitglieder, den ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern und den – soweit vorhanden – hauptamtlichen MitarbeiterInnen in den Geschäftsstellen geprägt.
Erst seit kurzer Zeit engagieren sich in Deutschland auch Menschen, die von der Krankheit selbst betroffen sind. Sie sprechen in Veranstaltungen und in den Medien für sich. In München wurde in diesem Jahr die erste Betroffene in den Vorstand der Gesellschaft gewählt.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft und ihre Mitgliedsgesellschaften sind Selbsthilfeorganisationen, die sich bundesweit für die Verbesserung der Situation der Demenzkranken und ihrer Familien einsetzen.
Ziele und Aufgaben
Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft und ihre Mitgliedsgesellschaften sind Selbsthilfeorganisationen, die sich bundesweit für die Verbesserung der Situation der Demenzkranken und ihrer Familien einsetzen. Wichtige Ziele der Arbeit der Alzheimer-Gesellschaften waren von Anfang an bis heute:
das Verständnis und die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung für die von der Alzheimer-Krankheit und anderen fortschreitenden Demenzerkrankungen Betroffenen zu fördern,
die Möglichkeiten der Krankheitsbewältigung der Betroffenen zu verbessern,
die Entlastung für pflegende Angehörige zu schaffen und ihr Selbsthilfepotenzial zu stärken sowie neue Betreuungs- und Unterbringungsformen zu etablieren,
gesundheits- und sozialpolitische Initiativen anzuregen,
die Betreuenden zu entlasten, indem Fachinformationen, emotionale Unterstützung und öffentliche Hilfen angeboten werden,
ärztliche, pflegerische, psychologische und soziale Hilfen im ambulanten, teilstationären und stationären Bereich zu unterstützen und
die wissenschaftliche Forschung über Demenzerkrankungen und Versorgungsmöglichkeiten zu fördern.
Von besonderer Bedeutung sind die Förderung der Zusammenarbeit von Fachleuten und Laien sowie die Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten. Viel wurde erreicht in den letzten 20 Jahren. Die Alzheimer-Gesellschaften sind in der Öffentlichkeit präsent und werden gehört .
Den Schwerpunkt der Arbeit der Alzheimer-Gesellschaften bildet nach wie vor die kostenlose telefonische und persönliche Beratung insbesondere für Angehörige von Demenzkranken und Betroffene, aber auch für andere Interessierte. Sie informieren über das Krankheitsbild Demenz, über den Umgang mit der Erkrankung sowie über entlastende und unterstützende Angebote. Ausgehend von der Idee der Selbsthilfe unterstützen und initiieren Alzheimer-Gesellschaften Selbsthilfegruppen für Angehörige und Betroffene.
Die Alzheimer-Gesellschaften vernetzen sich auch und bilden regionale Kooperationen z.B. mit gerontopsychiatrischen Tagesstätten, Gedächtnissprechstunden, regionalen Verbundbereichen der Altenarbeit und Selbsthilfekontaktstellen. Der Bundesverband ist auch international vernetzt durch seine Mitgliedschaft bei Alzheimer Europe und Alzheimer Disease International.
Alzheimer-Gesellschaften bieten für Angehörige und für die verschiedenen mit Demenzkranken befassten Berufsgruppen regelmäßige Informationsveranstaltungen und Tagungen an. Jedes Jahr zum Welt-Alzheimertag am 21.September werden unter einem gemeinsamen Motto in der ganzen Welt Veranstaltungen durchgeführt, die über die Krankheit informieren. Dabei wird natürlich auf die besonders schwierige Lage der Angehörigen aufmerksam gemacht.
Auch politisch nehmen Alzheimer-Gesellschaften Einfluss. Ein Beispiel dafür ist die Reform der Pflegeversicherung und deren Folgegesetze, die Verbesserungen für Demenzkranke sowie Entlastungshilfen für die Angehörigen brachten.
Die Angebote der Alzheimer-Gesellschaften im Überblick
Beratung (kostenlos, vertraulich, weltanschaulich neutral),
Angehörigengruppen,
Niedrigschwellige Betreuungsangebote, wie z.B. HelferInnenkreise, Betreuungsgruppen für Demenzkranke, Tanzcafés,
Urlaubsangebote,
Informationsveranstaltungen und Fachtagungen,
Schulungen für pflegende Angehörige,
Fortbildungen für Pflegekräfte,
die Herausgabe von Vereinszeitschriften, dem Alzheimer Info des Bundesverbandes und von regionalen Ratgeberbroschüren wie Ratgeber zu Fragen der Pflegeversicherung, zur stationären Versorgung und zum Aufbau von Betreuungsgruppen usw.
Informationsangebote im Internet und
Öffentlichkeitsarbeit
Alzheimer-Gesellschaften beraten und informieren nicht nur über die Alzheimer-Krankheit, sondern auch über andere Demenzformen. Ihre Mitarbeiter müssen sich also z.B. auch Wissen über frontotemporale Demenzen, Lewy-Körper-Demenz, Demenzsymptome bei Parkinson oder Downsyndrom aneignen. Immer häufiger wenden sich auch die Erkrankten selbst an die Alzheimer-Gesellschaften.
Die Aufklärungsarbeit der Alzheimer-Gesellschaften richtet sich verstärkt auf Zielgruppen wie Jugendliche und Migranten. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit den Kommunen (Projekte »Demenzfreundliche Kommunen« und »Allein leben mit Demenz«). Ein weiteres wichtiges Thema ist die Versorgung Demenzkranker im Allgemein- und Akutkrankenhaus.
Somit wird von den Alzheimer-Gesellschaften zunehmend mehr Detail- und Fachwissen gefordert. Die Beratungs- und Vermittlungsarbeit ist also durch Kompetenz und Aktualität geprägt, um einen sehr guten Informationsservice zu gewährleisten.
Wünsche für die Zukunft
In Deutschland leben zurzeit etwa 1,2 Millionen Demenzkranke. Zwei Drittel der Erkrankten werden zu Hause von ihren Angehörigen betreut und gepflegt. Für deren Beratung und Unterstützung benötigen die Alzheimer-Gesellschaften mehr Personal- und Sachmittel.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft stellt darüber hinaus folgende gesundheitspolitischen Forderungen:
Pflegeversicherung: Angemessene Berücksichtigung der Demenzkranken im Pflegeversicherungsgesetz (insbesondere die stärkere Berücksichtigung der Notwendigkeit von Beaufsichtigung und Betreuung bei der Einstufung).
Unterstützung der pflegenden Angehörigen und der Selbsthilfe: Aufbau eines bundesweiten Netzes von Anlaufstellen bzw. Selbsthilfegruppen für Angehörige von Demenzkranken innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Medizinische Diagnose und Behandlung: Sicherstellung der Frühdiagnostik bei Demenzerkrankungen sowie Behandlung mit Antidementiva.
Stationäre Altenhilfe: Kurzfristige Umsetzung demenzbezogener struktureller Veränderungen (insbesondere Qualifizierung des Personals, angemessener Personalschlüssel und nichtmedikamentöse Therapien).
Informationen über Anlaufstellen und Ansprechpartner in Deutschland gibt es am Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft 01803- 17 10 17 (9 Cent pro Minute). Darüber hinaus hat die Deutsche Alzheimer Gesellschaft eine Vielzahl von hilfreichen Ratgebern herausgegeben (z.B. zur Pflegeversicherung, zu rechtlichen und finanziellen Fragen und zum Umgang mit Demenzkranken), die über die Geschäftsstelle zu beziehen sind unter www.deutsche-alzheimer.de