8. Jahrgang 2011, Heft 1: Eine Institution stellt sich vor

Gertrud M. Backes:

Das Zentrum Altern und Gesellschaft der Universität Vechta

Das »Zentrum Altern und Gesellschaft« der Universität Vechta – kurz »ZAG« genannt – wurde am 17. April 2007 offiziell gegründet. Die Einrichtung eines solchen Zentrums zur sozialwissenschaftlichen Alternsforschung war und ist eine hochschulpolitische, wissenschafts- und professionsstrategische Antwort auf die Herausforderungen des Alterns, die sich in einer »Gesellschaft des langen Lebens« mit ihrem tief greifenden sozialen und demografischen Wandel ergibt. In meiner Arbeit als Direktorin des ZAG war es von Anfang an mein Ziel, die Forschungsprofile und -potenziale von thematisch relevanten Fachgebieten miteinander zu verbinden und zu integrieren. Diese Absicht wird verwirklicht durch die Fachgebiete, die aktuell am ZAG vertreten sind und die inhaltliche Vielfalt und Breite der Alternsforschung in Vechta repräsentieren. Die folgende Aufzählung verdeutlicht, dass das ZAG mit der Vielzahl der vertretenen Fachgebiete eine Spitzenstellung in der deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Alternsforschung einnimmt:
   Am ZAG sind aktuell folgende Fachgebiete vertreten:

  • Altern und Gesellschaft (Prof. Dr. Gertrud M. Backes)

  • Altern und Arbeit (Prof. Dr. Frerich Frerichs)

  • Empirische Alternsforschung und Forschungsmethoden (Prof. Dr. Harald Künemund)

  • Ökonomie und demografischer Wandel (Prof. Dr. Uwe Fachinger)

  • Betriebswirtschaftslehre und Dienstleistungsmanagement (Prof. Dr. Susanne Kirchhoff-Kestel)

  • Organisationelle Gerontologie (Prof. Dr. Hildegard Theobald)

  • Psychologische Gerontologie (Prof Dr. Elke Kalbe)

  • Musikgeragogik (Prof. Dr. Theo Hartogh)

  • Philosophische und theologische Grundlagen des sozialen Handelns (Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesse)

  • Erziehungs- und Sozialwissenschaften (Prof. Dr. Yvette Völschow)

Das ZAG stellt sich allen klassischen Aufgaben der Wissenschaft – von der Grundlagen- über die Anwendungsforschung und wissenschaftliche Begleitung von Praxisprojekten bis hin zur öffentlichen Verbreitung des gewonnenen Wissens einschließlich der Lehre in den Studiengängen Gerontologie und Soziale Dienstleistungen der Universität Vechta. In einer modernen Form der Wissenschaftsorganisation werden die Grenzen der einzelnen Fachdisziplinen in einer multi-, inter- und transdisziplinären Forschungsarbeit überschritten, was sowohl den Weg von der Theorie und von der empirischen Forschungsarbeit in die Praxis betrifft, als auch umgekehrt, wenn sich aus Anwendungsbezügen neue empirische Herausforderungen ergeben. Insgesamt möchte die Alter(n)sforschung in Vechta einen wissenschaftlichen Beitrag zur Um- und Neugestaltung der lebenslangen gesellschaftlichen Einbindung von Menschen bis hinein ins höhere und hohe Alter leisten und bei der Entwicklung von darauf abgestimmten lebenslauf- und alter(n)sbezogenen Dienstleistungen mitwirken.

Leitlinien der Forschung

In der Forschung am ZAG werden Themen des Alters (als einer Lebensphase) und des Alterns (als eines lebenslangen Prozesses) aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive behandelt. Alter(n) wird dabei als eine fundamentale Dimension der Sozialstruktur und des sozialen Wandels der Gesellschaft betrachtet. Es wird danach gefragt, wie Menschen über alle Lebensphasen hinweg in die Gesellschaft eingebunden sind, das heißt im biografischen Sinne »vergesellschaftet« werden, und wie die persönlichen Beziehungen und die gesellschaftlichen Verhältnisse sich zwischen den Generationen verändern. Zentrale Aspekte sind dabei die sozialen Unterschiede und Ungleichheiten, die zwischen und innerhalb von Altersgruppen und über den Lebensverlauf hinweg auftreten: Hier ist u.a. der Tatbestand der sozialen Ungleichheit im Alter(n) angesprochen, der nicht nur eine soziale Differenzierung des Alter(n)s nach unterschiedlichen sozialen Schichten, sondern auch nach Geschlecht, regionaler Herkunft oder ethnischer Zugehörigkeit, mit einschließt. Damit verbunden ist auch die sozialpolitisch bedeutsame Problematik, welche Chancen und Risiken die gegenwärtigen und zukünftigen Altengenerationen in Bezug auf ihre Lebenslagen (Einkommen, Wohnen, Gesundheit, soziale Beziehungen, Aktivitäten etc.) haben. Einige ausgewählte Stichworte sollen diese Schwerpunktsetzung skizzieren:

  • Alter(n) – Gesellschaft – Kultur,

  • Lebensläufe – Lebenslagen – Sozialstruktur,

  • Biografie – Identität – Entwicklung,

  • Interaktionen – Soziale Netze – Generationen einer alternden Gesellschaft,

  • Institutionen – Organisationen – Dienstleistungen einer alternden Gesellschaft und

  • soziale Probleme – soziale Arbeit im Lebenslauf.

Alter und Altern werden auch in der Lebenslaufperspektive im Kontext des sozialen und historischen Wandels betrachtet und analysiert. Die folgende Abbildung verdeutlicht die Forschungskonzeption im ZAG, die an der Mikroebene der Individuen, der Mesoebene der Interaktionen und Institutionen und der Makroebene der gesellschaftlichen Teilsysteme (Politik, Ökonomie, Kultur) ansetzt und dabei auch individuelle Biografien und historische Entwicklungsprozesse in den Blick nimmt.

Abbildung 1: Analytische Ebenen der Forschung am ZAG

Bilanz der Forschung

 Wie sehr sich das ZAG bereits im Feld der sozialwissenschaftlichen Alternsforschung etabliert hat, zeigt sich an den bisherigen Aktivitäten und Ergebnissen. Seit 2006 wurden bis heute (Juli 2010) 45 drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte durchgeführt. Seit Gründung des ZAG wurden eine Habilitation, vier Promotionen und eine Ehrenpromotion (Frau Prof. Dr. Ursula Lehr) erfolgreich abgeschlossen, 49 Promotionen und fünf Habilitationen sind derzeit in Arbeit. Das ZAG ist erfolgreich in regionale, nationale und internationale Forschungsnetzwerke eingebunden und weist viele Kooperationspartner auf diesen Ebenen auf. Auch in der Verbreitung ihrer Forschungsergebnisse sind die Mitglieder des ZAG sehr aktiv, dies zeigt sich an einer hohen Anzahl von Veröffentlichungen, Vorträgen, Tagungen/Kongressen, Workshops und Gutachten und dem hohen wissenschaftspolitischen Engagement. Detaillierte Informationen über diese Aktivitäten befinden sich auf der Webseite des ZAG (http://www.zag.uni-vechta.de).

Beispielhafte Projekte

An vier ausgewählten aktuellen Drittmittelprojekten soll gezeigt werden, dass die Forschung am ZAG auf unterschiedlichen politischen Ebenen stattfindet – auf der regionalen Ebene, der Ebene der Bundesländer, der Ebene des Bundes und auf der europäischen Ebene.

Region: »Demografische Entwicklung im Landkreis Vechta: Bestandsaufnahme, Auswirkungen und Handlungsmöglichkeiten«

Auftraggeber: Landkreis Vechta
Laufzeit: 2008–2009
Zielsetzungen:

  • Beschreibung des demografischen Status quo im Landkreis Vechta und Vorausberechnung künftiger Entwicklungen,

  • Identifikation der Auswirkungen des demografischen Wandels im Landkreis Vechta auf zentrale kommunale Handlungsfelder und

  • Entwicklung von Szenarien und Erklärungsmodellen zum demografischen Wandel im Landkreis Vechta zur Ableitung von effizienten und effektiven politischen Maßnahmen.

Leitung: Prof. Dr. Gertrud M. Backes, Prof. Dr. Uwe Fachinger
Projektmitarbeiter: Dr. Ludwig Amrhein

Land: »Niedersächsischer Forschungsverbund ›Gestaltung altersgerechter Lebenswelten‹ (GAL)«

Auftraggeber: Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Laufzeit: 2008–2010
Zielsetzungen:

  • Identifikation, Weiterentwicklung und Evaluation neuer Verfahren der Informations- und Kommunikationstechnik für altersgerechte Lebenswelten und

  • Analyse der ökonomischen, sozialen und psychischen Voraussetzungen und Konsequenzen, der Chancen und der Probleme des Einsatzes assistierender Technologien in privaten Haushalten.

Leitung: Prof. Dr. Harald Künemund, Prof. Dr. Uwe Fachinger
Projektmitarbeiterinnen: Dipl.-Volksw. Birte Erdmann, Dipl.-Geront. Petra-Karin Okken

Bund: »Die Relevanz von Erbschaften für die Alterssicherung«

Auftraggeber: Deutsche Rentenversicherung Bund
Laufzeit: 2009–2010
Zielsetzungen:

  • Wirkung von Erbschaften auf die Ersparnisbildung bzw. den Vermögensaufbau,

  • Wirkung von Erbschaften auf die sozialen Ungleichheiten und

  • Analyse der Erbschaften als eine Ergänzung der individuellen Alterssicherung.

Leitung: Prof. Dr. Harald Künemund, Prof. Dr. Uwe Fachinger, Dr. Claudia Vogel
Projektmitarbeiter: Dipl.-Geront. Knut Tietz, Dipl.-Soz. Thomas Lux

Europäische Union: »Activating Senior Potential in Ageing Europe (ASPA)«
Auftraggeber: Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Laufzeit: 2008–2011
Zielsetzungen:

  • Darstellung des tatsächlichen Umfangs und der Strukturen des aktiven Alterns,

  • Identifikation der Einflussfaktoren, die aktives Altern in Erwerbsarbeit und zivilgesellschaftlichem Engagement mitbestimmen, und

  • Identifikation von Handlungsstrategien, die zur Förderung des Aktivitätspotentials älterer Menschen beitragen können.

Leitung (Deutschland): Prof. Dr. Frerich Frerichs
Projektmitarbeiterin: Dr. Paula Aleksandrowicz