8. Jahrgang 2011,
Heft 3: Eine Institution stellt sich vor
Ellen Albeck (Leiterin der JVA Konstanz):
Strafvollzug an älteren Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Konstanz, Außenstelle Singen
Im Rahmen der differenzierten Gestaltung des Strafvollzugs in Baden-Württemberg wurde 1970 die Außenstelle Singen, damals noch dem Amtsgericht Singen unterstellt, zu einer Einrichtung des Vollzuges an älteren Gefangenen. Es wurde von der Erfahrung und der Überlegung ausgegangen, dass ältere Gefangene in größeren Vollzugseinrichtungen eher an den Rand gedrängt werden und dass ihre altersbedingten Bedürfnisse dort weniger berücksichtigt werden können. Seit 1976 ist die Anstalt in Singen eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Konstanz.
Es ist nicht die Aufgabe, den Vollzug so angenehm und locker wie möglich zu gestalten oder gar eine Vollzugseinrichtung für Privilegierte zu schaffen, sondern mit den Gefangenen zusammen an dem Vollzugsziel zu arbeiten, also sie zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Wir wollen mit ihnen zusammen erreichen, dass förderungswürdige soziale Beziehungen wieder angeknüpft bzw. erhalten werden. Dabei sollen die Gefangenen den Bezug zur Realität des Alltags in Freiheit nicht verlieren.
Ältere Menschen sollen hier nicht über-, aber auch nicht unterfordert werden. Es ist das Bemühen der Bediensteten, den Inhaftierten innerhalb des Hauses, soweit vertretbar, Freiräume zu schaffen und sie den Tagesablauf weitestgehend mitbestimmen zu lassen. Beim Vollzug von längeren Freiheitsstrafen ist es wichtig, ältere Menschen geistig und körperlich mobil und rege zu erhalten. Dies geht nicht ohne ihre Beteiligung und ohne Stärkung ihrer Eigenverantwortlichkeit.
Die Außenstelle Singen ist eine Einrichtung des geschlossenen Vollzuges. Hier werden Freiheitsstrafen an männlichen Gefangenen für alle Landgerichtsbezirke des Landes Baden-Württemberg vollzogen, die zum Zeitpunkt der Verurteilung das 62. Lebensjahr vollendet und Freiheitsstrafen von mehr als 15 Monaten zu verbüßen haben, sofern sie sich für den nach innen offenen Vollzug eignen.
Die Außenstelle Singen verfügt über insgesamt 50 Haftplätze. Davon sind 24 Gemeinschaftshaftplätze. Tendenziell ist der Wunsch nach einer Unterbringung in einem Einzelhaftraum groß, jedoch gibt es durchaus eine Gruppe von Inhaftierten, die aus gesundheitlichen Gründen eine gemeinschaftliche Unterbringung vor allem zur Nachtzeit bevorzugt. Auch Ängste vor dem Alleinsein und die damit verbundene psychische Belastung sind bei diesen Gefangenen von erheblicher Bedeutung.
Gefangene sind bis zur Erreichung des gesetzlichen Rentenalters zur Arbeit verpflichtet. Da die Außenstelle nicht über selbstständige Arbeitsbetriebe verfügt, wurde 1991 eine zweckmäßig gestaltete Arbeitshalle mit maximal 40 Arbeitsplätzen erstellt. Hier kann für kleinere Unternehmen produziert werden. Es werden einfache Montage- und Verpackungsarbeiten ausgeführt, welche von den Gefangenen auch dann bewältigt werden können, wenn körperliche oder gesundheitliche Einschränkungen vorliegen. Die sinnvolle Strukturierung des Alltags ist für Strafgefangene im Allgemeinen, aber insbesondere für ältere Gefangene, die zum großen Teil ein erfülltes Berufsleben bewältigt haben, von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit.
Zur Aufrechterhaltung der Sozialkontakte werden 6-stündige Besuche von Angehörigen und Freunden für jeden Gefangenen ermöglicht. In der Regel werden die Besuche nur optisch überwacht. Es wird Wert darauf gelegt, die Besucher persönlich kennenzulernen. Der Sozialdienst führt frühzeitig mit den Bezugspersonen und Besuchern Gespräche. Diese Kontakte sind sowohl für die Vollzugsplanung als auch für Lockerungs- und Entlassungsvorbereitungen von großer Bedeutung. Inhaftierte, die keine sozialen Bindungen haben, können eine ehrenamtliche Betreuung über den Sozialdienst beantragen. Es stehen mehrere ehrenamtliche Betreuer/-innen zur Verfügung, die regelmäßig geschult und begleitet werden.
Die Hafträume sind von 7.00 Uhr bis 22.00 Uhr geöffnet. Während dieser Zeit können sich die Inhaftierten im Haus frei bewegen. Von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr, im Winter maximal bis zum Einbruch der Dunkelheit, kann der Anstaltshof genutzt werden. Dort befinden sich Ruhebänke, Sitzgruppen, ein Spielfeld und ein kleiner Fischteich. Die Inhaftierten können ihre eigenen Hafträume zuschließen, wenn sie abwesend sind.
In der einmal wöchentlich stattfindenden Anstaltskonferenz werden Entscheidungen getroffen, die den Vollzugsverlauf und die Vollzugsplanung der Inhaftierten bestimmen (z.B. vollzugsöffnende Maßnahmen u.a.). Die Anstaltsleiterin, der Sozialdienst, der Diensteiter sowie ein Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes nehmen an dieser teil. Somit ist gewährleistet, dass alle maßgeblichen Betreuungspersonen und Entscheidungsträger über notwendige Behandlungsmaßnahmen entscheiden.
In zwei Freizeiträumen (Raucher/Nichtraucher) kann gemeinsamen Freizeitbeschäftigungen nachgegangen werden. Eigene Fernsehgeräte sind in den Hafträumen zugelassen. In der Bücherei stehen den Inhaftierten ca. 3.000 Bücher zur Verfügung, die frei zugänglich jederzeit ausgeliehen werden können. Von den Bediensteten und den ehrenamtlichen Mitarbeitern der JVA werden, je nach Interesse, mehrere Sport- und Freizeitgruppen angeleitet. Zudem werden in einer 1999 eingerichteten Lehrküche nach Bedarf Back- und Kochkurse angeboten. Die Inhaftierten können nach Arbeitsende auch in den Fitnessräumen trainieren. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, im Hof Faustball oder ähnliches zu spielen.
Im Rahmen von vollzugsöffnenden Maßnahmen, im Wege der Ausführung bzw. des Begleitausganges in der Gruppe werden verschiedene Aktivitäten wie Wandern, Walking und Stadteinkäufe durchgeführt. Es nehmen maximal 6–8 Gefangene an diesen begleiteten Veranstaltungen teil. Diese Angebote dienen im Langstrafenvollzug als Erprobungsphase für weitere vollzugsöffnende Maßnahmen. Für Gefangene ohne soziale Bindungen stellen sie die einzige Möglichkeit dar, überhaupt vollzugsöffnende Maßnahmen zu erhalten. In anderen Justizvollzugsanstalten des geschlossenen Vollzuges ergeben sich solche Möglichkeiten selten, sie stellen eine Besonderheit unserer Einrichtung dar.
Die Zulassung zu vollzugsöffnenden Maßnahmen richtet sich nach den gesetzlichen Bestimmungen des Justizvollzugsgesetzbuches. Geeignet dafür sind Inhaftierte, die am Vollzugsziel mitarbeiten und bei denen Flucht- und Missbrauchsgefahr ausgeschlossen ist. Die Gefangenen haben die Möglichkeit, Ausgänge mit einer von der Anstalt zugelassenen Bezugsperson im Stadtgebiet zu unternehmen, später können Heimfahrten und Urlaube genehmigt werden, sofern die Maßnahmen beanstandungsfrei durchlaufen wurden.
Ein Vertragsarzt führt wöchentlich eine Sprechstunde durch. Bei Bedarf steht er auch außerhalb dieser Zeit zur Verfügung. Bei Bedarf werden nach der Ausstellung von Überweisungen Facharztausführungen durchgeführt. Ein Krankenpfleger sowie Krankenpflegehelfer unterstützen ihn bei der ärztlichen Tätigkeit im Wechsel. Es gibt kein Krankenrevier und keine Pflegeplätze. Sollte die Notwendigkeit zur Pflege eintreten, muss der Inhaftierte in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden. Wünschenswert wäre es aus unserer Sicht, wenn die Außenstelle Singen um eine Pflegeabteilung erweitert wird. Diskussionen in dieser Richtung finden bereits statt.
Für die Betreuung und Tataufarbeitung der Sexualstraftäter, in Einzelfällen auch für andere Deliktgruppen, steht ein Psychologischer Psychotherapeut (Honorarkraft) stundenweise zur Verfügung. Er bietet Einzelgespräche an. Bei bewährungsweiser Entlassung findet eine Weitervermittlung an Therapeuten außerhalb der Anstalt bzw. in Einrichtungen mit speziellem Behandlungsangebot statt.
Zur Entlassungsvorbereitung gehören die verschiedenen vollzugsöffnenden Maßnahmen, das Herstellen oder Festigen sozialer Beziehungen, die Reintegration der Inhaftierten in die Familie bzw. in das soziale Umfeld sowie die Vermittlung von Therapieangeboten bei Persönlichkeitsstörungen und bestehender Abhängigkeit.
Inhaftierte ohne familiäre Kontakte werden bei der Beschaffung von Wohnraum unterstützt. Bei Bedarf werden sie mit ihrem Einverständnis in eine betreuende Wohneinrichtung (z.B. Seniorenwohnheim) vermittelt. Inhaftierte, für die keine Wohnmöglichkeit gefunden wird, können sich um eine Aufnahme in einem Übergangswohnheim für Haftentlassene bewerben. Inhaftierte werden frühzeitig an der Entlassungsvorbereitung beteiligt. Der Sozialdienst unterstützt sie und ist gegebenenfalls bei der Sicherung der Altersversorgung behilflich.
Insgesamt hat sich die Vollzugsform der Außenstelle Singen über die Jahrzehnte bewährt. Das spezielle Behandlungsangebot für ältere Gefangene ermöglicht zum einen eine auf die Bedürfnisse zugeschnittene Alltagsbewältigung im Rahmen der Haft, zum anderen eine spezielle Entlassungsvorbereitung, die darauf zugeschnitten ist, künftige Straffälligkeit zu vermeiden.