8. Jahrgang 2011,
Heft 4: Eine Institution stellt sich vor
Ulrich Schmid-Furstoss, Christine Thomas und Rüdiger Nölle:
Kooperative Leitung und Aufgabenbereiche der Gerontopsychiatrie des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld
Kooperative Leitung
In der Regel werden gerontopsychiatrische Abteilungen ärztlich geleitet. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel beschreitet einen anderen Weg. Alle Abteilungen verfügen neben der ärztlichen Leitung über eine therapeutische Abteilungsleitung, die durch einen Psychologen besetzt ist, sowie über eine pflegerische Leitung. Diese drei Personen bilden gemeinsam die Abteilungsleitung, die sich wöchentlich trifft, gemeinsam plant, Entscheidungen trifft, Informationen austauscht und sich dadurch in ihrer Arbeit eng abstimmt. Alle Abteilungsleitungen der Klinik treffen sich zwei Mal im Monat in der Abteilungsleitungskonferenz (ALK), in der auch die Forschungsabteilung und die Ergotherapie vertreten sind. Diese Konferenz wird vom ärztlichen Direktor oder seinem Stellvertreter geleitet. Inhaltlich werden Themen aus den Abteilungen sowie aus der Klinikleitung eingebracht, diskutiert und entschieden.
Therapeutische Abteilungsleitung
Da die Aufgaben der ärztlichen und pflegerischen Leitung bekannt sind, möchte wir hier auf die des therapeutischen Abteilungsleiters eingehen. Er ist Vorgesetzter der stationär in der Gerontopsychiatrie tätigen Psychologen und Sozialarbeiter sowie der Musiktherapeuten, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten. Mit den zuletzt genannten drei Berufsgruppen findet ein wöchentlicher Informationsaustausch statt. Hier werden neben Vertretungsfragen konzeptionelle Entwicklungen geplant, die die Rolle dieser Berufsgruppen stärken. Eine Besonderheit des kollegialen Umgangs zeigt sich in der berufsübergreifenden Vertretung bei Krankheit oder Urlaub. Von dieser Gruppe gehen außerdem Impulse für die Gesundheitsförderung der Mitarbeiter durch Angebote von Nordic Walking und meditativem Singen aus.
Die Sozialarbeiter treffen sich monatlich, wobei auch Mitarbeiter aus der Ambulanz (mobiles Team) und der Tagesklinik teilnehmen, was sehr vorteilhaft für den Austausch zwischen stationären, teilstationären und ambulanten Aufgabenfeldern ist. Für die Psychologen werden wöchentliche Fallkonferenzen angeboten, an denen auch der Assistenzarzt der gerontopsychiatrischen Depressionsstation teilnimmt.
Die Depressionsstation wird von der therapeutischen Abteilungsleitung gemeinsam mit dem zuständigen Oberarzt geleitet. Dort übernimmt der therapeutische Abteilungsleiter Patienten in Fallverantwortung und führt psychotherapeutische Gespräche insbesondere bei wahnhaften Störungsbildern durch.
Bei den monatlich stattfindenden Konzeptgesprächen auf allen drei Stationen (Depression, wahnhafte Störungen, Demenz) nehmen alle drei Mitglieder der Abteilungsleitung teil. Durch den Zuschnitt der Aufgaben der therapeutischen Abteilungsleitung wird dafür gesorgt, dass die Beobachtungen dieser therapeutischen Berufsgruppen in diesen Besprechungen stärkere Berücksichtigung finden. Durch die koordinierende Funktion lassen sich therapeutische Prozesse besser aufeinander abstimmen. Blinde Flecken in der Fortentwicklung der Therapien können auch leichter erkannt werden. Die Patienten profitieren von der koordinierten multiprofessionellen Zusammenarbeit.
Der Alltag des therapeutischen Abteilungsleiters ist durch häufige Rollenwechsel geprägt (Vorgesetzter, Behandler, Kollege, Organisator, Impulsgeber, Vermittler). Neben fundierter klinischer Erfahrung ist Leitungserfahrung, Erfahrung im Umgang mit klinischen Organisationen, Personalführung und fundiertes inhaltliches Wissen im betreffenden Fachgebiet notwendig. Inhaltlich sind Psychologen von der Ausbildung her hervorragend für diese Aufgabe gerüstet, sie sind in der Regel geschult in systemischen Denken, haben Erfahrung im Umgang mit Konflikten (z.T. durch eine Supervisionsausbildung) und können in ihrem Fachgebiet auch Wissen aus der Arbeits- und Organisationspsychologie sowie der Sozialpsychologie einbringen.
Struktur der Gerontopsychiatrie in Bielefeld
Die Gerontopsychiatrie in Bielefeld ist für ein Einzugsgebiet mit etwa 330 000 Einwohnern zuständig. Sie verfügt über drei Stationen mit insgesamt 53 Behandlungsplätzen. Daneben gibt es ein Gerontopsychiatrisches Zentrum mit Tagesklinik und Tagespflege sowie eine Ambulanz mit mobilem Team und Gedächtnissprechstunde. Hinzu kommt ein Konsiliardienst, der etwa 1000 Konsile im Jahr durchführt.
Im stationären Bereich werden die Patienten je nach Krankheitsbild der Depressionsstation (Depression und Angst), der Station für wahnhafte Störungen (chronische psychische Erkrankungen, akute Verwirrtheit, Delir im Alter) oder der Demenzstation (Gedächtnisstörungen, Verhaltensauffälligkeiten) zugeordnet. Die Aufnahmesteuerung erfolgt über eine erfahrene Pflegemitarbeiterin, wobei durch die Konsiliartätigkeit viele der angemeldeten Patienten bekannt sind, was die Aufnahmesteuerung erheblich erleichtert. Auf diesem Weg können auch Aufnahmen vermieden: Stehen bei Patienten somatische Erkrankungen im Vordergrund, werden diese gezielt an die zuständige Abteilung weiter vermittelt. Bei psychischen Erkrankungen werden von vornherein nach geeigneten alternativen Behandlungsangeboten (z.B. in der Tagesklinik) gesucht. Zusätzlich kümmert sich die Aufnahmesteuerung um die Koordination der apparativen Untersuchungen (EEG, MRT) und der Elektrokrampftherapie.
In der Tagesklinik werden Patienten ab dem 60. Lebensjahr mit dem gesamten Spektrum psychischer Erkrankungen (außer mit einer fortgeschrittenen Demenz) behandelt. Durch die gute Vernetzung und Kooperation in Bielefeld beträgt der Anteil der überwiesenen Klinikpatienten nur etwa 50%.
Im gleichen Haus befindet sich die Tagespflege, die aus einem Modellprojekt vor fast 25 Jahren hervorging. Eine Besonderheit dieser Tagespflege ist die Mischung des Klientels, deren Besucher neben Gedächtnisstörungen, anhaltende Depressionen oder wahnhafte Störungen aufweisen. Durch diese Mischung bestehen vielfältige Möglichkeiten der Gestaltung der Tagesstruktur.
In der gerontopsychiatrischen Ambulanz werden Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen behandelt. Es gibt aber auch eine Seniorensprechstunde, eine Gedächtnissprechstunde mit einer umfangreichen neuropsychologischen und neurologisch/psychiatrischen Diagnostik, eine pflegerische und sozialrechtliche Beratung und ein aufsuchendes multiprofessionelles mobiles Team, das Patienten zu Hause betreut. Es ist unser Ziel, mehr Patienten, die psychisch erkrankt sind, nach einem »Hometreatment«-Ansatz zu Hause zu betreuen. Dies ist uns in letzter Zeit jedoch nicht in dem gewünschten Umfang gelungen, da es an Ärzten fehlt, die diese Aufgabe übernehmen können. Auch wird diese gerade für ältere Patienten besonders geeignete Behandlungsform von den Kostenträgern nicht hinreichend unterstützt. Trotzdem bleibt dieses Ziel bestehen. Wir gehen davon aus, dass sich zukunftsweisende Ideen, die patientenorientiert und kostengünstig sind, letztlich durchsetzen.