Fallzentrierte Darstellungen zum Themenheft
“Tabus in der therapeutischen Beziehung”
Eike Hinze:
»Bis dass der Tod Euch scheidet«
Alte Ehen auf der Couch (Abstract) (PDF)
Aufgrund der ständig steigenden Lebenserwartung haben Ehepaare heute nach dem Auszug der Kinder aus dem Elternhaus die Möglichkeit, noch mehrere Jahrzehnte als Paar zusammenzuleben. Für dieses gemeinsame Leben in der postfamilialen Phase gibt es nicht viele gelungene Modelle aus den vergangenen Generationen, da die Menschen zu früh starben und diese Phase gar nicht mehr erlebten. Welche Chancen eröffnen sich durch diese neue Situation? Welche Konflikte treten dabei auf? Der Autor nähert sich diesem Thema auf dem Boden seiner Erfahrungen in psychoanalytischen Behandlungen mit älteren Patienten, in denen Fragen und Probleme aus lang dauernden Ehen in den Fokus der therapeutischen Arbeit rücken. Angesichts des gesellschaftlichen Neulands, das alte Ehepaare in dieser Phase betreten, erleben es ältere Patienten oft als eine Befreiung, über Fragen und Probleme ihrer Ehe in einer Therapie zum ersten Mal offen und frei reden zu können. Der Autor schildert damit verbundene Schwierigkeiten in der Handhabung der Gegenübertragung. Alte Ehen bieten oft eine perfekte Bühne für die Inszenierung projektiver Abwehrmanöver, die es dem Analytiker schwer machen können, seine neutrale analytische Haltung zu bewahren. Darüber hinaus besteht in solchen Behandlungen die Versuchung, in der therapeutischen Arbeit mit der Ehe des Patienten eigene unbewältigte ödipale Konflikte zu aktualisieren und illusionär über die eigenen Eltern zu triumphieren. Manchmal mögen Trennungen auch in höherem Alter eine angemessene Lösung in einer chronisch zerrütteten Ehesituation darstellen. Andererseits stellen in einem langen Zusammenleben gewachsene gegenseitige Dankbarkeit und Fürsorge sowie die Beschäftigung mit Enkelkindern starke Bindungskräfte dar.
Johannes Kipp:
Alleinsein im Alter - Begegnung in der Therapie? (Abstract)(PDF)
Einsamkeit wird mit dem Alter häufiger, aber nur 5% der Älteren geben an, unter Einsamkeit zu leiden. Einsamkeit im Alter ist nicht nur erlittenes Schicksal, sondern auch Ergebnis von Kontaktabbrüchen. Alleinsein wird hier aufgefasst als Fehlen einer Partner- bzw. Liebesbeziehung. An therapeutischen Begegnungen mit älteren Patienten, die allein sind, wird diskutiert, inwieweit therapeutische Interventionen helfen, Patienten für neue Beziehungen zu öffnen. Bei den vorgestellten Patientinnen und Patienten ist es so, dass ein Wiederholungszwang sie in der Möglichkeit einschränkt, neue Partnerbeziehungen aufzunehmen. Die Schwierigkeiten werden aus der Gegenübertragungsperspektive auch unter dem Gesichtspunkt beschrieben, wie befriedigend therapeutische Begegnungen für ältere Therapeuten sind. Zum Schluss werden einige Voraussetzunge für die Aufnahme neuer Partnerschaften angesprochen.
Stella Shcherbatova:
Ältere Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland
Zwischen Trauma, Tabu, Aporie und Aufbruch (Abstract) (PDF)
Die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990 hat die deutschen jüdischen Gemeinden verändert. Ungefähr 40000 der Zugewanderten (20%) waren schon über 65 Jahre alt. Sie sind aus wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen und weniger aus religiösen Gründen nach Deutschland gekommen. Obwohl es auch in Russland Verfolgung gab, haben viele von ihnen siegreich gegen Nazideutschland mitgekämpft. Da sie letztlich auf der Seite der Sieger standen, ist ihr Selbstkonzept deshalb nicht so sehr von der Rolle als Opfer geprägt. Dies führt aber zu Identitätskonflikten in den jüdischen Gemeinden teils einhergehend mit psychosomatischen Störungen und zu Tabus in der Benennung von Problemen im Gastland.
Bertram von der Stein:
Im Schatten der Eltern
Kinder von Holocaustüberlebenden im Dritten Lebensalter (Abstract) (PDF)
Die Schwierigkeit der Nachkommen von Holocaustüberlebenden, sich von den Schatten der Eltern zu befreien, wird anhand von Fallbeispielen aufgezeigt und unter dem Aspekt der transgenerationellen Traumatisierung eingeordnet.
Florence Kraus-Irsigler:
Körpternahe Beziehungen in der Physiotherapie mit alten Patienten (Abstract) (PDF)
Die psychosoziale Folge des Alterns und von Erkrankungen stehen am Ausgangspunkt eines therapeutischen Prozesses, der ein »Clinical Reasoning« erfordert. Im Text werden die speziellen Anforderungen an die Physiotherapeutin und das motorische Lernen als Basis für die Therapie skizziert und dargestellt, für welche Patienten naher Körpereinsatz in der Physiotherapie notwendig ist und wie er geleistet wird. Abschließend wird auf die erforderliche Nähe-Distanz-Regulierung bei körpernahen Beziehungen zwischen Patient und Therapeutin eingegangen und Puffertechniken beschrieben, mit denen, wenn nötig, Distanz hergestellt werden kann.
"Until death do you part" Old marriages on the couch (English Abstract)
Nowadays people live longer than in former generations. They have the opportunity to live together for many decades after their children have left their home. This creates a challenge to find new models for living together in long lasting and even lifelong marriages. The author investigates such long lasting marriages as they come into the focus of therapeutic work in the course of psychoanalytic therapies with elderly patients. Specific countertransference problems may be stimulated. Old marriages may offer a perfect stage for enacting projective defense manoeuvres. Preserving a neutral analytic stance in these cases can be very difficult. Another quite specific countertransference problem may arise when the therapist uses the patient’s marriage to enact own unsolved oedipal conflicts and to triumph over one’s own internal parental couple. For the patient it is a unique experience to speak freely about his marital problems without being inhibited by social taboos or ideological pressures. Sometimes separation even in old age may represent an adequate solution of long lasting conflicts. On the other hand, concern and gratefulness towards the partner of so many decades together and caring for grandchildren exert a strong binding force.
Being alone in old age - encounter in therapy? (English Abstract)
Loneliness increases with age, but only 5% of the elderly specify that they suffer from loneliness. Being alone in older age is not only a fate being suffered, but also a result of lost contacts. Here, loneliness is perceived as a lack of partner or loving relationship. This article discusses therapeutic encounters with older patients who are alone and to what extent therapeutic interventions help open up patients for new relationships. A repetition compulsion constrains the presented patients from the opportunity to start a new relationship. From the perspective of countertransference this article also depicts the difficulties from the point of view how satisfying therapeutic encounters are for older therapists. In conclusion, a few prerequisites for starting a new relationship are addressed.
Elderly Jews from the Former Soviet Union in GermanyBetween Trauma, Taboo, Aporia and Awakening (English Abstract)
The immigration of Jewish people from the former Soviet Union since 1990 has changed the German Jewish community. Approximately 40,000 of the immigrants (20%) were already 65 years old. They came to Germany more often due to economic, social and health reasons and less because of religious reasons. Even though there was also persecution in Russia, most of them victoriously fought against Nazi Germany. Due to the fact that they were victorious, their self-concept was not that of a victim. This leads to identity conflicts in Jewish communities along with psychosomatic disorders and taboos when identifying problems in the host country.
In the Shadow of Parents Children of Holocaust Survivors in the Third Age (English Abstract)
Descendants of Holocaust survivors face difficulties of freeing themselves from their parents’ shadows. This will be depicted by means of case studies and classified by the aspect of transgenerational traumatic experiences.
Body-orientated relationships in physiotherapy with elderly patients (English Abstract)
The psychosocial result of an illness and aging process is followed from the starting point of a therapeutic process in which »clinical reasoning« is necessary. In this article the special standards a physiotherapist has to meet in order to perform close contact during treatment are described as well as the principles of »motor learning« as a basis for the treatment. It is outlined for which kind of patients close body contact in physiotherapy is indicated or obviously necessary and how it is performed. The requirement to regulate the extent of detachment to limit the close relationship with the patient is pointed out. Finally, buffer techniques through which distance may be achieved are listed.