9. Jahrgang 2012,

Heft 2: Eine Institution stellt sich vor

Klaus Fuhrmann:

Angebote für ältere KonsumentInnen illegaler Drogen über 40 Jahren

Aus- und Umbau der niedrigschwelligen Angebote von Condrobs e.V. München

Einführung

Seit einigen Jahren gewinnt die Situation älterer Süchtiger immer mehr an Aufmerksamkeit. So widmete sich die europäische Studie sddcare 2009–2010 intensiv mit diesem Thema (EU-Projekt Nr. 2006346 – Senior Drug Dependents and Care Structures). Die »Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz« der Hansestadt Hamburg veröffentlichte 2011 eine 114-seitige Broschüre zum Thema »Die Bedarfe älterer Konsumierender illegaler Drogen. Zukünftige Anforderungen an Versorgungskonzepte in der Sucht- und Altenhilfe in Hamburg«. Gerade hat die Bundesdrogenbeauftragte, Frau Dieckmann, die Situation älterer Süchtiger zum Schwerpunktthema für 2012 erklärt (Ärzteblatt vom 28.12.11).
   Seit 2005 widmet sich Condrobs e.V. intensiv der Frage nach den Bedarfen der älteren drogenkonsumierenden Klienten. In einer bundesweit beachteten eigenen Umfrage unter den älteren Suchtkranken, die die drei Kontaktläden von Condrobs in München besuchen, wurden im gleichen Jahr die sozialen Lebensverhältnisse, die körperliche und psychische Verfassung und die Wünsche und Vorstellungen für ein Leben im Alter erhoben. Seither werden in Teilbereichen von Condrobs e.V. niedrigschwellige Angebote konsequent auf die Bedarfe der älteren Klientel hin ausgerichtet und zielgruppengerecht aus- und umgebaut. Der Altersschnitt der Klienten, die diese Angebote annehmen, liegt bei 40 Jahren.

Die Angebote im Überblick

Im ersten Schritt wurde 18 Plätzen für Betreutes Wohnen angeboten. Mittlerweile werden hier 54 Plätze vorgehalten, davon 30 Plätze im betreuten Einzelwohnen und 24 Plätze in therapeutischen Wohngemeinschaften (TWG), wovon 6 Plätze für körperlich schwer beeinträchtigte KlientInnen vorgesehen sind. Zirka 90% der KlientInnen werden substituiert.
   Der Kontaktladen off, einer von 3 Kontaktläden von Condrobs im Stadtgebiet München, wird seit 2010 konzeptionell auf die Bedarfe der älteren Klientel ausgerichtet. Er heißt seither off+. Seit mehreren Jahren liegt der Anteil der über 40-Jährigen im off bei über 60% (bei ca. 350 KlientInnen jährlich).
   Die Hälfte der 40 Plätze in Beschäftigungsmaßnahmen ist Klienten vorbehalten, die über 40 Jahre alt sind (ü40). 15 befinden sich im off und sechs in dem extra für diese Zielgruppe konzipierten neuen Angebot Spendenladen, der seit Dezember 2010 besteht und direkt neben dem off+ angesiedelt ist. Unter dem Motto: »Sie spenden – wir helfen« werden Sachspenden akquiriert, aufbereitet und über einen Verkaufsladen und über ebay verkauft.
   All diese Angebote sind am Schwerpunkstandort Haidhausen, Rosenheimerstraße 124, in München angesiedelt und miteinander vernetzt.

Das Betreute Wohnen 40 plus

»Alte sind nicht gleich Alte«. Jede Klientin und jeder Klient haben eine eigene Geschichte, eine eigene Biografie mit Stärken und Schwächen, Besonderheiten und Bedürfnissen. Das macht die Arbeit mit ihnen höchst anspruchsvoll und stellt große Anforderungen an die MitarbeiterInnen im Projekt. Andererseits haben wir es mit lebenserfahrenen Menschen zu tun, die wissen, um was es für sie geht.
   Zu Beginn der Betreuung ist der Bedarf – wie nicht anders zu erwarten – höher. Kennenlernen, Eingewöhnen, Vertrauen Aufbauen und erste Krisen Bearbeiten braucht Zeit. Meist ergibt sich nach einem halben oder Dreivierteljahr eine ruhigere Phase, in der sich die KlientInnen nach den ersten erreichten Zielen zurücklehnen – oder auch wieder Rückschritte machen. Weitere »Vorhersagen« über den Betreuungsverlauf sind kaum möglich. Er gestaltet sich höchst unterschiedlich, ebenso wie die Problem- und Motivationslage des Klienten. Ein entscheidender Faktor dabei ist, ob der persönliche Kontakt zwischen ihm und den Betreuern gewachsen ist.
   Im Herbst 2007 startete mit dem Betreuten Wohnen für über 40-Jährige das erste spezielle Projekt für die ältere Zielgruppe. Vorausgegangen waren intensive Vorarbeiten in Fachkreisen und vor allem beim Zuschussgeber. Danach konnten die ersten KlientInnen aufgenommen werden. Innerhalb kurzer Zeit waren alle Plätze belegt und es entstand eine Warteliste. Nicht ganz ein Jahr später wurde ein weiterer Ausbau auf 30 Plätze bewilligt, 24 Plätze für Therapeutische Wohngemeinschaften (TWG) kamen mit je 12 Plätzen 2009 und 2011 hinzu. Für alle 54 Plätze ist ein Personalschlüssel 1 zu 6 genehmigt, d.h. ein Mitarbeiter ist für sechs Bewohner zuständig. Die Arbeit wird nach den Richtlinien des SGBXII finanziert.
   Die ersten Erfahrungen haben deutlich gemacht, dass es für diese Klientel extrem wichtig ist, von gut ausgebildeten und erfahrenen Mitarbeitern betreut zu werden. Die Betreuung findet überwiegend in der eigenen Wohnung statt. Neben den klassischen Zielen des Betreuten Wohnens kommen spezielle Themen, die Ältere betreffen, hinzu. Ein befriedigendes Leben im Alter können sich die wenigsten vorstellen. Es fehlen oft tragfähige soziale Bindungen. Schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen belasten das Leben zusätzlich.
   Die Ergebnisse der oben genannten Umfrage hatten gezeigt, dass es eine große Nachfrage nach Wohngemeinschaften gibt. Im Laufe des Aufbaus des Betreuten Einzelwohnens hatten wir immer wieder mit Menschen zu tun, die nicht willens oder in der Lage waren, einen eigenständigen Haushalt zu führen. Solch ein Bedarf entsteht nach der Entlassung aus Haft oder Therapie, bei Obdachlosigkeit, nach Unterbringung in Unterkünften und Pensionen, aber auch durch Verwahrlosung in der eigenen Wohnung. Einsamkeit, Isolation und nicht zuletzt massive gesundheitliche Probleme kommen oft hinzu.
   Zurzeit sind für diese Aufgabe drei Wohnungen und zwei Häuser angemietet. Schnell wurde deutlich, dass die älteren Klienten höchst unterschiedliche Bedürfnisse haben, je nachdem, ob sie clean/nicht clean, männlich/weiblich und gesund/schwer krank sind:

  • Es sind immer zwei MitarbeiterInnen für eine WG zuständig.

  • Eine Hausordnung wird mit den Bewohnern gemeinsam entwickelt und die Einhaltung kontrolliert.

  • Haustiere sind nach Vorgaben des jeweiligen Mietvertrags und im Einverständnis der Bewohner möglich.

  • Für die Ausweitung der Wohnangebote haben wir mittlerweile eine Kooperationsvereinbarung mit einem großen Wohnungsbauträger abgeschlossen.

  • Eine Kooperation mit einem ambulanten Pflegedienst wurde installiert.


Der weitere Ausbau

»Wenn wir jetzt anfangen, kommen wir etwas früher zu spät«. Immer mehr ältere Süchtige zeigen einen massiven körperlichen Verfall. Im Drogen-Suchtbericht der Bundesregierung 2008 wies die damalige Drogenbeauftragte Frau Bätzing darauf hin, dass: »… die Todesfälle unter den älteren Drogenabhängigen zunehmen. Viele von ihnen sind gesundheitlich geschwächt und psychisch vielfachbelastet. … Zunehmend wird es in den nächsten Jahren auch zu Todesfällen aufgrund von Folgeerkrankungen des Drogenkonsums wie Hepatitis-Infektionen kommen, durch eine Leberzirrhose, denn ein sehr großer Teil der Heroinabhängigen ist mit Hepatitis C infiziert«. Dazu füge ich an: Dem Sterben an den Langzeitfolgen geht eine lange Leidenszeit voraus.
   Ein weiteres Haus für körperlich stärker beeinträchtige KlientInnen (8 Plätze) wird gerade barrierefrei umgebaut. Der Start dieses Angebots wird im März 2012 sein. Für die notwendige Pflege im Haus kooperieren wir mit einem ambulanten Pflegedienst, mit dem wir schon in Einzelfällen beim Betreuten Einzelwohnen zusammenarbeiten. Absprachen zwischen unserem Team und Pflegekräften finden in 14-tägigen Fallbesprechungen statt. Die Pflegekräfte haben einen »guten Draht« zu den Klienten.
   Nicht so gut sind die bisher gemachten Erfahrungen mit den abgebenden Kliniken. Zum Beispiel wollte eine Klinik uns einen Klienten mit einem therapieresistenten Infekt (MRSA) zuschieben, bei dem auch die Pflegeverordnung nicht stimmte, eine Borderline-Diagnose verschwiegen wurde und die Folgesubstitution nicht geregelt war. Es war dort auch nicht bedacht worden, dass der Einzug bei uns in eine Wohngemeinschaft eine Wohnungsauflösung nach sich zieht.
   Überraschend schnell werden wir mit einem Bedarf konfrontiert, der sich umso mehr zeigt, je öfter wir mit Einrichtungen in Kontakt kommen, in denen diese KlientInnen bisher aufgelaufen sind und die nicht wissen, wohin mit ihnen. Um diese Probleme im Vorfeld anzugehen, haben wir eine Stelle beantragt, um ein Überleitungsmanagement zu installieren.

Grenzen des Betreuten Wohnens

Das Betreute Wohnen hat für viele Klienten zu hohe Zugangsvoraussetzungen. Es erfordert ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit und Veränderungsbereitschaft. Viele ältere Klientinnen und Klienten sind jedoch nicht bereit oder fähig, sich so weit einzulassen. Manchmal scheitert eine Antragstellung auch daran, dass bei der Abfrage der Einkommensverhältnisse von Angehörigen diese davon erfahren oder gar finanziell belastet würden.
   Ein Teil der KlientInnen hat nur einen geringen oder nur temporären Bedarf an Unterstützung. Trotzdem muss sich bei der zunehmenden Zahl der Älteren auch in weiteren Bereichen etwas bewegen.

Die Kontaktläden

Der Umbau - Aus dem Kontaktladen off wird off+

Die Kontaktläden bieten eine niedrigschwellige Anlaufstelle für die Zielgruppe. Im Wesentlichen besteht das Angebot aus 3 Elementen:

  • Der Versorgung: Aufenthaltsbereich, warmes Mittagessen und Getränke, Essen zum Mitnehmen, Spritzentausch und Kondommitgabe, Kleiderkammer, Wäscheservice, Postadresse und Internetzugang.

  • Der Beratung: Sozial- Rechts- und Gesundheitsberatung auch zu safer use, persönliche Beratung, Vermittlung und Krisenintervention.

  • Projekte und Freizeitmaßnahmen: Infoveranstaltungen, Sport, Kino und Konzertbesuche, Ausflüge etc. …

In Absprache mit der Landeshauptstadt München und dem Bezirk Oberbayern als Hauptzuschussgeber bleibt das off als Kontaktladen für alle Altersgruppen offen, etabliert jedoch zusätzliche Angebote für die ältere Zielgruppe. Das Konzept und die Leistungsbeschreibung wurden entsprechend angepasst. Ab dem 1. Mai 2010 wurde das neue Konzept umgesetzt und das + im neuen Namen off+ steht hier für die neuen Angebote für die Älteren:

  • Frei werdende Stellen wurden mit MitarbeiterInnen über 40 Jahre besetzt (jetzt 2/3).

  • Ein Fortbildungskonzept für die MitarbeiterInnen wird entwickelt und ein Teil des Budgets ist fest für spezielle Altersthemen vorgesehen.

  • Die bereits etablierten KISS-Gruppen (Kontrolle im selbstbestimmten Substanzkonsum) werden altersspezifisch angeboten.

  • Freizeitmaßnahmen sind auf die Möglichkeiten Älterer abgestimmt.

  • Eine Kochgruppe vermittelt altersgerechte und gesunde Ernährung.

  • KlientInnen, die vorübergehend nicht in den Kontaktladen kommen können, bekommen Lebensmittel nach Hause geliefert.

  • Die Kooperation mit einer Ärztin im Kontaktladen KL wurde erweitert. Sie bietet sowohl dem Team als auch den KlientInnen Information und Beratung zu altersspezifischen Gesundheitsthemen. Die KlientInnen werden zu Arztterminen begleitet.

Die Arbeitsprojekte

20 Plätze für über 40-Jährige: Die über Zuverdienstprojekte (§53 SGBXII) und über die Jobcenter und das Referat für Arbeit und Wirtschaft der LH München (1-€-Jobs) finanzierten Arbeitsprojekte sind überwiegend an das off angegliedert. Sie bieten einen niedrigschwelligen Zugang mit stufenweisem Einstieg von der stundenweisen Beschäftigung zur Arbeit über 1–3 Tage mit festen Zeiten und schließlich zu verbindlichem Arbeiten an bis zu 5 Tagen.
   Ein weiteres Arbeitsprojekt, in dem sechs Arbeitsplätze ausschließlich für Ältere angeboten werden, läuft seit Dezember 2010. Der »Spendenladen« ist direkt neben dem off+ angesiedelt. Unter dem Motto: »Sie spenden – wir helfen«, werden Sachspenden akquiriert, aufbereitet und über einen Verkaufsladen und über ebay verkauft.

Weitere Planungen

Aufsuchende Angebote

Hier sollen KlientInnen, die zeitweise immobil sind, aufgesucht, mit Lebensmitteln versorgt und der weitere Hilfsbedarf abgeklärt werden. Es wird ein Hol- und Bring-Service für Fahrten zu tagesstrukturierenden Maßnahmen angeboten. Zudem soll mit dieser beantragten Stelle, die pauschal finanziert werden soll, eine Schnittstellenfunktion zu ambulanten Pflegediensten, Substitutionspraxen und Kliniken erreicht werden.

Stationäres sozialtherapeutisches Haus

Für den längerfristigen Verbleib von Klientinnen, die gesundheitlich stark eingeschränkt und sozial schwer in eine ambulante Maßnahme zu integrieren sind, ist eine stationäre sozialtherapeutische Einrichtung geplant, in der die MitarbeiterInnen durchgängig anwesend sind und damit besser gewährleisten können, dass Regeln eingehalten werden wie: kein Konsum von illegalen Drogen im Haus, geregelter Alkoholkonsum, Beteiligung an häuslichen Aufgaben und Übernahme von Pflichten im sozialen Miteinander.

Ausblick

Der demografische Wandel macht auch vor DrogenkonsumentInnen nicht halt. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, die ähnlich wie in der »Allgemeinbevölkerung« in den nächsten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Es ist daher zu prüfen, ob es tatsächlich für diese Klientel zu Kooperationen mit der regulären Altenhilfe in der stationären Pflege und im Bereich Hospiz kommt. Die Berührungsängste beiderseits sind noch groß. Sollte es nicht gelingen, Suchtkranke mittelfristig in bestehende Versorgungsstrukturen zu integrieren, werden wir mittelfristig auch in diesen Bereichen spezielle Angebote aufbauen.