9. Jahrgang 2012,
Heft 4: Eine Institution stellt sich vor
Ulrich Planken:
Mehrgenerationenhaus am Dreescher Markt in Schwerin
Das Mehrgenerationenhaus am Dreescher Markt ist eins von über 450 Häusern bundesweit. Es besteht nunmehr seit fast vier Jahren und befindet sich seit gut zwei Jahren in der Trägerschaft des Förderkreises der Bernogemeinde Schwerin e.V.
Durch den einen oder anderen Bericht in den Medien ist der Eindruck entstanden, dass Mehrgenerationenhäuser Wohneinrichtungen sind, in denen Menschen aller Generationen unter einem Dach leben. Natürlich gibt es auch solche Einrichtungen, aber die meisten Mehrgenerationenhäuser sind Orte der Begegnung. Hier begegnen sich Menschen aller Generationen, aber auch aller Kulturen, aller Geschlechter und alle mit ihrer eigenen Biografie und mit unterschiedlichsten Interessen und sozialen Hintergründen.
Die Arbeit wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, der EU und der Arbeitsagentur und durch zahlreiche Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert.
Vielfältige Angebote erwarten die Gäste im Mehrgenerationenhaus am Dreescher Markt. Niemand muss sich erklären, weshalb er oder sie ins Mehrgenerationenhaus kommt, oder die Gründe für die Nutzung bestimmter Angebote darlegen. Die Menschen entscheiden sich für Angebote, die ihren Interessen sehr nahe kommen, aber oft ist das Angebot auch ein Alibi, um der Einsamkeit zu entfliehen, andere Menschen zu treffen und mit anderen gemeinsame Stunden zu verbringen. So kann der gemeinsame Alltag zu einem Höhepunkt in der Woche werden, auf den sich die Gäste freuen. Wie viele solche Höhepunkte jemand braucht, entscheiden die Gäste selbst – jeder für sich oder in Absprache mit anderen Gästen. Alle Angebote sind grundsätzlich kostenlos, denn niemand soll am Kommen gehindert werden, weil die Rente oder das verfügbare Geld nicht ausreichen.
Die bunte Mischung der Gäste ist eine Chance und eine Herausforderung. Einerseits kann jeder die vorhandenen Angebote nutzen, andererseits kann aber auch jeder sich in die Vorbereitung und Gestaltung der Angebote mit einbringen. So ist denn auch der Klön- und Spielenachmittag nicht nur eine Geselligkeit, um einige nette Stunden miteinander zu verbringen. Er bietet die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Kuchen zu backen, Tische einzudecken, Servietten zu falten etc. Es gilt, nicht nur Konsument und Gast zu sein, sondern sich einbringen zu können, sich mit anderen auszutauschen, die sich auch in die Vorbereitung einbringen, um damit neue soziale Kontakte zu knüpfen. Oft führt der gedankliche Austausch über Alltäglichkeiten allmählich auch zum Gespräch über persönlichere Dinge. Außerdem fördert dies subjektiv und objektiv das Gefühl, dass man gebraucht wird. Gleichzeitig fordert und fördert es insbesondere bei den älteren Teilnehmern/innen die Nutzung ihrer Fähigkeiten.
Auch andere Angebote des Mehrgenerationenhauses zielen in diese Richtung. So laden das Frauenfrühstück, das gesellige Frühstück und der Mittagstisch der Generationen zu einem fröhlichen Miteinander in der Vorbereitung ein. Aus den geselligen Veranstaltungen entwickeln sich dann auch kleinere Gruppen, die sich zu anderen Terminen auf eine Tasse Kaffee im Mehrgenerationenhaus oder auch zu Hause treffen. Manche verabreden sich auch zu Ausflügen, Ausstellungs- und Kinobesuchen, sodass etwas entsteht, was nicht nur Höhepunkt im Alltag ist, sondern für manche ältere Menschen auch die Rückkehr zu einem Alltag bedeutet – eine Rückkehr zur Teilhabe am sozialen und selbstbestimmten Leben.
Dieses vielfältige Miteinander ist oft auch eine Herausforderung. Es sind nicht nur die »pflegeleichten« Menschen, die im Mehrgenerationenhaus einen Treffpunkt gefunden haben. Nicht jeder Kontakt ist von Harmonie geprägt, und die Mitarbeiter/innen des Mehrgenerationenhauses sind auch nicht um jeden Preis um Harmonie bemüht. Platzhirsche müssen dann auch mal den Druck der anderen ertragen.
Allerdings gibt es auch einige »geschützte« Bereiche. Hierzu zählen die »PC-Kurse von Frauen für Frauen«, die sich einerseits an Frauen richten, die Opfer häuslicher Gewalt waren, aber auch an Frauen, die weniger Scheu haben, Verständnisfragen zu stellen, wenn männliche »Alpha-Tiere« fehlen. Und dennoch ist es ein Bereich, eine Brücke, die insbesondere den von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen eine Chance bietet, sich im Umfeld von anderen Veranstaltungen im Hause auszuprobieren und selber zu entscheiden, wie viel sie ertragen.
Der »Oma-Opa-Service« des Mehrgenerationenhauses ist kein Babysitter-Service, wo Familien und Alleinerziehende mal nach billigen Möglichkeiten der Kinderbetreuung suchen können. Ähnlich einem Eheanbahnungsinstitut werden hier Kontakte zwischen den Generationen vermittelt. Erste Treffen finden im Mehrgenerationenhaus statt. Dann folgen gemeinsame Ausflüge, schließlich gegenseitige Besuche in der Häuslichkeit. Ziele sind die wechselseitige Inklusion in das soziale Leben und das Entstehen einer Beziehung zwischen mehreren Generationen. Natürlich darf am Ende des Weges auch die Beaufsichtigung der Kinder dazugehören, aber sie steht nicht am Anfang. Älteren Menschen vermittelt dieses Angebot das Gefühl, dass sie tatsächlich noch gebraucht werden. Kinder können so ein Generationen übergreifendes Miteinander erleben, was oft in unserer Gesellschaft fehlt.
Das Mehrgenerationenhaus ist nicht nur Begegnungsstätte. Mit 20 hauptamtlichen Mitarbeiter/innen bietet das Mehrgenerationenhaus für ältere Menschen außerdem eine Nachbarschaftshilfe, die neben einigen praktischen Hilfen (Begleitung zum Arzt, Einkaufen etc.) aber hauptsächlich der Prävention vor der Vereinsamung dient. Es geht darum, ältere Menschen Gesellschaft zu leisten und sie zur Teilhabe am sozialen Leben zu motivieren, indem sie diese zu geselligen, sozialen und kulturellen Veranstaltungen ermutigen und auch begleiten. Es können Veranstaltungen im Mehrgenerationenhaus sein, aber auch an anderen beliebigen Orten. Die 20 Mitarbeiter/innen in der Nachbarschaftshilfe realisieren monatlich ca. 5.000 Betreuungskontakte. Manche Betreuungen gehen über den ganzen Tag, manche dauern vielleicht nur eine Stunde, einige Menschen werden täglich betreut, andere nur sporadisch bei Bedarf.
Mit dem weiteren Projekt »FaiR« (Familien in Randzeiten) werden insbesondere berufstätige Familien in Randzeiten durch die Betreuung ihrer Kinder und/oder ihrer dementen Eltern entlastet.
Alle Aktivitäten des Mehrgenerationenhauses am Dreescher Markt zielen darauf ab, das Miteinander der Generationen zu ermöglichen, die Teilhabe älterer Menschen am sozialen Leben zu fördern und dabei stets die Option des Mitgestaltens zu unterstützen.
Durchschnittlich nutzen 450–600 Menschen wöchentlich die (Gruppen-)Angebote im Mehrgenerationenhaus. Diese Zahlen mögen verdeutlichen, wie groß der Bedarf ist. Mehr als die Hälfte dieser Nutzer sind älter als 65 Jahre. Das Miteinander der Generationen ist nicht immer realisierbar, weil die Menschen im berufstätigen Alter tagsüber eher nicht zur Verfügung stehen, während ältere Menschen gerne wieder zu Hause sind, wenn es draußen dunkel wird. Dieses Miteinander ist manchmal auch an Wochenenden mit einem gemeinsamen Brunch oder bei einem gemeinsamen Bowling.
Das Mehrgenerationenhaus am Dreescher Markt wird dieses Miteinander weiter ausbauen – viele Projekte und Ideen warten noch auf ihre Umsetzung.