»Wer ist hier eigentlich arm dran?«

»Aber jetzt mal ehrlich: Hattet ihr denn wirklich gehofft, dass die Welt netter wird durch die Frauen? Dass wir eine rosa Schleife um die Probleme der Erde winden und alles Übel dann nicht mehr so weh tut?«
Maybrit Illner, 2012

Das vorangestellte Zitat stammt aus einem Streitgespräch des ZEIT-Redakteurs Patrik Schwarz mit Maybrit Illner. Schwarz zeigt sich, stellvertretend für viele Männer im Land, beunruhigt angesichts der vielen kompetenten Frauen, die zunehmend selbstverständlich Leitungsaufgaben übernehmen. Er fragt: »Verstehen Sie, wenn sich da mancher lang schlafende oder spät arbeitende oder gelegentlich versoffene Mann fragt: Welcher Platz ist noch für Leute wie mich?« Intellektuell stark und mit Humor kontert Maybrit Illner dem Mann nur ganz knapp: »Ihr Armen!« In Anspielung auf eine Vers-Zeile von Erich Kästner  erlaubt sie sich allerdings auch eine süffisante Anmerkung zu den Frauen im Übergang: »Nicht jede, die nach Indien fährt, entdeckt Amerika!« Für die Talkmasterin gilt dennoch das Jahr 2012 als ein besonderes Jahr der Frauen, weil diese in Deutschlands Politik und Wirtschaft nicht nur mitmischen, sondern nun auch immer häufiger in vorderster Reihe sichtbar sind.
   Wir Herausgeberinnen – Astrid Riehl-Emde und Angelika Trilling – meinen: Frauen stehen inzwischen nicht nur in Politik und Wirtschaft, sondern auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen in vorderster Reihe. Diese Entwicklung hat sich in den letzten 50 Jahren zwar im Schneckentempo, aber stetig und mit weitreichenden Folgen für unsere Geschlechterbeziehungen vollzogen. Und es ist noch kein Ende abzusehen – es geht längst nicht mehr um den »kleinen Unterschied« (Alice Schwarzer). Wir unterscheiden heute ganz selbstverständlich zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht und die traditionelle Geschlechterdichotomie ist längst überholt von Vorstellungen eines fließenden Übergangs zwischen Mann und Frau bzw. einer unbegrenzten Anzahl an Mischformen der Geschlechter (vgl. Schmidt 2005, 119ff). Solche Erkenntnisse haben weitreichende und vielfach konfliktträchtige Folgen für das Geschlechterverhältnis – bis hin zur Frage, wer nun den Müll runterbringt oder die Initiative beim Sex ergreift.
   Die Veränderungen der Frauen sind in der weiblichen Generationenfolge besonders offensichtlich, wenn ältere bzw. alte Frauen auf die jungen Frauen und Mädchen blicken, beispielsweise in der Achse von Großmutter – Mutter – Tochter – Enkelin, einschließlich eingeheirateter oder verpartneter Schwiegerkinder. Manch eine Mutter und Großmutter wird die Jungen wegen deren Wahlmöglichkeiten bewundern, vielleicht sogar beneiden oder auch bedauern wegen des damit einhergehenden Entscheidungsdrucks, der Kehrseite der Wahlmöglichkeiten. Andere Mütter und Großmütter trauern um die in der eigenen Jugend noch nicht vorhandenen Chancen. Wiederum andere freuen sich, dass der Kampf früherer Frauengenerationen um mehr Gleichberechtigung gefruchtet hat und wünschen sich vielleicht, sie wären früher noch mehr Risiken eingegangen und hätten sich noch vehementer für die eigenen Belange eingesetzt.
   Manch früherer Kampf der Frauenbewegten wirkt heute wie ein alter Hut. Denn vieles, um das frühere Generationen von Frauen gerungen haben, ist heute selbstverständlich geworden und wird außerordentlich erfolgreich genutzt, so z.B. die Zugangsmöglichkeiten von Mädchen zur höheren Bildung. Das ist aber nur die eine Seite! Andererseits hat der Kampf um Gleichberechtigung noch längst nicht sein Ziel erreicht, denkt man an aktuelle Debatten wie z.B. um die Elternzeit oder an die vielerorts zu beobachtende Verunsicherung des »modernen« Mannes. Vielleicht sind die Männer aber auch längst dabei, den Frauen nachzueifern? Zumindest die jüngeren Männer stellen sich schon als junge Väter mit Elternzeit und mit Söhnen im Pflegeurlaub auf die veränderte Welt ein. Trotzdem empfiehlt Miriam Gebhardt (2012) der in Deutschland dahinstolpernden Frauenbewegung, sich durch die Lektüre der US-amerikanischen Feministinnen wieder aufhelfen zu lassen und die Geschlechterdifferenz nur als eines von mehreren Kriterien für gelingendes Leben verstehen . Diese Empfehlung könnte auch den Genderdiskurs in der Gerontologie beflügeln.
   Kurze Vorbemerkungen zu diesem Themenheft »Frauen«: Bei Barbara Narrs Beitrag zum Titelbild handelt es sich um die Anmerkungen einer Tochter zur Tätigkeit ihrer alternden Mutter, ein Beitrag aus der Vertikalen. Auch die Beiträge von Christiane Schrader und Almuth Sellschopp haben überwiegend die Vertikale im Blick, vor allem aus therapeutischer Perspektive. Die Mehrzahl der Beiträge ist allerdings aus horizontaler Sicht geschrieben: Hier stehen Wohl und Wehe – Stärken und Schwächen – der älteren und alten Frau im Mittelpunkt, das Geschlechterverhältnis älterer Paare und die Geschlechterunterschiede im Alter.
   Einige Fragen, die uns bewegt haben und weiterhin bewegen: Ist es für ältere Frauen ein Statussymbol, wenn sie (noch) einen Mann haben? Werden sie in Beziehungen dominierender, wenn die vermeintlichen Vorrechte des Mannes – traditionell des Hauptverdieners – schwinden? Werden Frauen im Alter selbstbewusster? Wenn sie besser netzwerken können, wie wirkt sich das im Alter aus? Antje Schrupp (2007) zumindest sieht in ihrem Buch »Methusalems Mütter« die Chancen des demografischen Wandels gerade darin, dass jetzt die älteren Frauen zum Zuge kommen. Durch ihre angeborenen oder auch anerzogenen und vielleicht zugewachsenen Verhaltensweisen sind sie, nach den Überlegungen der Autorin, viel besser als die gleichaltrigen Männer gerüstet, in den unübersichtlich gewordenen Verhältnissen des 21. Jahrhunderts zu bestehen. Mit ihren gebrochenen bzw. unterbrochenen Karrieren – durch Kinderkriegen und Kinderaufziehen, das Zusammenhalten von Patchworkfamilien, die Pflege von Angehörigen – sind die jetzt älteren und alten Frauen zu den Protagonistinnen einer flexiblen Verantwortlichkeitskultur geworden. Sie können bei Bedarf zwar engagiert einspringen und zupacken, haben aber die eigenen Träume und Interessen vielleicht doch nicht ganz aus dem Blick verloren.
   Kann man überhaupt von älteren und alten Frauen sprechen, so als ob es sich dabei um eine einheitliche Gruppe handeln würde? Sind nicht gerade im Alter die Differenzen zwischen arm und reich, gesund und gebrechlich, flexibel und starr besonders stark – so wie insgesamt die Entwicklung beim Älterwerden heterogener wird? In Anbetracht der Entwicklung der letzten 50 Jahre ist jedenfalls überdeutlich erkennbar: Das Blatt hat sich gewendet. Dazu gehört auch, dass inzwischen sogar spezielle schulische Fördermaßnahmen für Jungen und Quotenregelungen für Männer diskutiert und teilweise sogar umgesetzt werden und mancherorts Männerhäuser entstanden sind. Kein Wunder, dass eine erfolgreiche Frau wie Maybrit Illner mit Humor auf die verunsicherten Männer blickt!
   Diejenigen, die das »Männer-Heft« noch in Erinnerung haben (PiA 9(1): 2012), haben sich vermutlich gefragt, ob nun auch bald ein »Frauen-Heft« erscheint. Hier ist es!

Literatur

Die Zeit (2012) »Ihr Armen!« Frauen übernehmen die Macht, in der Politik und allmählich auch in der Wirtschaft – müssen die Männer sich Sorgen machen? Ein Streitgespräch mit Maybrit Illner. Nr. 51, S. 6 v. 13.12.2012.
Gebhard M (2012) Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor. München (DVA).
Schmidt G (2005) Das neue Der Die Das. Über die Modernisierung des Sexuellen. 2. korr. Aufl., Gießen (Psychosozial).
Schrupp A (2007) Methusalems Mütter. Chancen des demographischen Wandels. Königstein (Ulrike Helmer Verlag).

Astrid Riehl-Emde & Angelika Trilling: Editorial zum Themenheft
“Frauen”