10. Jahrgang 2013,
Heft 4: Eine Institution stellt sich vor
Mechthild Schoeter-Rupieper:
Trauerbegleitung und Trauergruppen für Ältere am Lavia Institut für Familientrauerbegleitung
Trauer durch einen Todesfall gehört in unser Leben wie die Freude über die Geburt eines Kindes. Einen Todesfall erleben zu müssen, der nicht in den typischen Ablauf unseres Lebenszyklus gehört, trifft uns meist in einem besonderen Ausmaß. Tritt der Tod absehbar oder wie ein Blitz in den familiären Alltag ein, benötigen Menschen häufig vorübergehend Unterstützung, um wieder langsam in ein neues Gleichgewicht zu kommen.
Jede Person muss einen neuen Platz finden, um eine lebenswerte Balance wieder herzustellen. Trauernden Menschen, besonders Kindern, Jugendlichen und Älteren, fehlen aber Ansprechpartner in diesen Grenzsituationen. Wer spricht nun diese Personen auf ihre Trauergefühle, Trauergedanken und Trauerreaktionen an? Mitschüler, Erzieher, Lehrer, Freunde, Verwandte oder Nachbarn? Manchmal, ja, oft ziehen sich diese wichtigen Menschen vorübergehend zurück. Vielleicht sind sie selber durch den Tod des Menschen betroffen oder haben anderweitig Befürchtungen, Familien in dieser schweren Zeit durch Besuche, Fragen oder Angebote zusätzlich zu belasten. Dadurch fühlen sich manchmal trauernde Menschen selbst in einem sozial gut strukturierten familiären oder sozialen Umfeld in der Trauer isoliert.
Hier setzte Mechthild Schroeter-Rupieper mit der Familientrauerbegleitung in gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung an. Seit 1992 bietet sie Seminare zu diesem Thema für unterschiedliche Berufsgruppen an. Aus dieser Arbeit ging 1998 die Gründung ihres Unternehmens für Familientrauerbegleitung hervor, das 2009 den Namen Lavia Institut für Familientrauerbegleitung unter ihrer Leitung erhielt. Seit vielen Jahren bietet sie in Gelsenkirchen und weiteren Ruhrgebietsstädten Trauerbegleitung an (siehe auch Schroeter-Rupieper 2012).
Ziele und Standards von Lavia Familientrauerbegleitung
Unser soziales Netz, das die Menschen im Regelfall absichert, reicht häufig nicht mehr aus. Hinterbliebene sind oft auf sich allein gestellt. Trauernde Menschen benötigen jedoch Beratung in Trauerzeiten, damit sie die unterschiedlichen Trauerreaktionen verstehen und aushalten können. Das Lavia Institut für Familientrauerbegleitung will durch qualifizierte Unterstützung einen wertvollen gesellschaftlichen Beitrag und Hilfe zur Selbsthilfe leisten:
Trauernde Menschen können ihren eigenen Trauerweg durch vielfältige Rituale finden. Trauer benötigt Rituale, die helfen, den Verlust zu begreifen, Abschied zuzulassen und das neue andere Leben in den Blick zu nehmen.
Trauer braucht immer Bestätigung, Respekt und Mitgefühl, jedoch kein Mitleid.
Trauernde benötigten Informationen über die Ursache des Verlustes und über Trauerreaktionen. Dies kann beispielsweise Informationen über die Todesursache und die zum Tode führende Krankheit und deren Verlauf beinhalten, wenn der Tod plötzlich eingetreten ist.
Trauernde sollen darin unterstützt werden, ihrer Trauer Ausdruck zu geben. Sie sollen Hilfen erhalten, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Trauernde in Gruppen können sich mit ähnlich Betroffenen austauschen und erleben sich nicht »anders« oder »falsch«.
In einem Raum von Information und Vertrauen wird die Selbstwirksamkeit gestärkt.
Trauernde werden durch geschulte und professionelle Familientrauerbegleiter beraten.
Trauernde erhalten notwendige und ergänzende Netzwerkadressen.
Trauerbegleitung wird bei den Mitarbeiter von Lavia hauptsächlich nach den Grundlagen von Worden (2010) praktiziert.
Es werden Schulungen, qualifizierte Ausbildungen und Vorträge für soziale Einrichtungen angeboten.
Die Grundhaltung im Institut für Familientrauerbegleitung
Trauer ist eine normale, psychohygienisch gesunde Reaktion auf den Verlust bedeutsamer Menschen, Gegenstände und Situationen.
Trauer ist keine Krankheit, kann aber krank machen oder Störungen hervorrufen, wenn sie nicht zugelassen, verarbeitet und in das eigene Leben integriert wird.
Trauernde dürfen nicht bewertet werden. Menschen trauern und leben unterschiedlich intensiv, unterschiedlich emotional und unterschiedlich lang. Wer Unterstützung in der Trauer anfragt, muss in der ihr/ihm eigenen Persönlichkeit wahrgenommen werden.
Trauer ist in der Regel nicht therapiebedürftig. Manchmal benötigen betroffene Menschen aber kurzfristig Hilfe zur Selbsthilfe (in einem Drittel der Fälle).
Die Trauerbegleiter von Lavia bringen die Erfahrungen ihrer pädagogischen, seelsorgerlichen oder pflegerischen Grundberufe mit in die Arbeit.
Trauergruppen können nur von Familientrauerbegleitern angeleitet werden, die über eine qualifizierte Familientrauerbegleiterausbildung von mindestens 200 Stunden verfügen. Zusätzlich erhalten sie bei Lavia regelmäßig Supervision und kollegiale Beratung. Unterschiedliche Nationalitäten und ethnische- und soziale Zugehörigkeiten werden selbstverständlich in der Trauerbegleitung berücksichtigt.
Mechthild Schroeter-Rupieper arbeitet im bundesweiten Netzwerk BAK bei der Erstellung von Standards einer qualifizierten Familientrauerbegleitung mit und ist in der Fortbildung in Institutionen in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Belgien tätig.
Derzeit arbeiten im Lavia Institut zwei Heilpädagoginnen, eine Krankenschwester, eine Hebamme, eine Sozialarbeiterin und ein katholischer Theologe auf Honorarbasis mit.
Angebote für Trauernde
Das Lavia Institut für Familientrauerbegleitung bietet neben Einzelbegleitungen auch Trauergruppen an:
Kindertrauergruppen und Jugendtrauergruppen,
Gruppen für junge Erwachsene,
Gruppen für junge Verwitwete mit Kindern,
Gruppen für Eltern, deren Kinder früh verstorben sind (von 0–25 Jahren),
Männer- und Frauentrauerstammtische,
Großelterntrauergruppe,
Trauergruppe für ältere Trauernde,
Kochen für Trauernde,
Neue Paare nach Verwitwung
Die Trauergruppen finden einmal monatlich meist über den Zeitraum eines Jahres statt. Die Dauer kann aber variieren. Am Sonntag vor Heiligabend findet außerdem der Gottesdienst »Weihnachten ohne dich« statt. Trauerbegleitung wird von Krankenkassen nicht finanziert. Die Kosten der Einzelbegleitung belaufen sich auf 60 € pro Stunde und der Gruppentreffen in der Regel auf 25 €.
Trauergruppen für ältere Menschen
Die Trauergruppen setzen sich aus 6–10 Trauernden zusammen. Über ein Newsletter und über Facebook machen wir Werbung im Internet und geben die Informationen an Ärzte, Hospizdienste und an die uns bekannten trauernden Familien und Einzelpersonen weiter.
Die Inhalte der Trauergruppen orientieren sich an dem Trauermodell von J. W. Worden, d.h., wir beziehen in die Themen und inhaltlichen Fragen immer folgende Gesichtspunkte mit ein:
Begreifen und Akzeptieren des Verlustes,
Zulassen der Vielfalt der Gefühle, auch des Trauerschmerzes,
Lernen, mit den Veränderungen zu leben und
Zuweisen eines Ortes für den Verstorbenen.
Die Trauergruppe beginnt mit einem kleinen Imbiss, da so das »Ankommen« und »Warmwerden« in einer Tischgemeinschaft besonders den männlichen Teilnehmern leichter fällt. Hierbei versuchen wir, alle Anwesenden anzusprechen und untereinander verbindene Gespräche anzuregen.
Das Anfangs- und Endritual nimmt Bezug auf »Gefühlswürfel«, auf denen sechs Symbole zu sehen sind: Smiley, Blitz, Träne, Herz, Sonne und bunte Punkte. Diese Symbole können eigenständig gedeutet werden, wir erklären das eingangs am Symbol der blauen Träne. Sie könnte bedeuten: »Ich bin heute sehr traurig«, »Ich habe in den letzten Tagen viel geweint«, »Ich kann nicht weinen«, »Ich habe Tränen gelacht«, »Es hat zu viel geregnet« oder auch »Das Blau der Träne erinnert mich an den Gardasee, wo ich letzte Woche im Urlaub war«.
Die Frage, die wir in der Eingangsrunde stellen, heißt immer: »Wie bin ich heute hier?« Es ist uns wichtig, dass die Trauernden sich bewusst werden, wie es ihnen jetzt im Moment geht, und dass sie nachspüren, wie es sich in ihnen anfühlt. Häufig wird im Alltag das eigene Gefühl unterdrückt, um sich selbst oder andere zu »schützen«. Trauernde benennen auch oft, dass niemand wirklich an ihren Gefühlen interessiert ist, man hofft eher darauf, dass schnell wieder alles seinen gewohnten Gang geht. Ältere Menschen sind oft nicht gewöhnt, eigene Emotionen und Bedürfnisse zu benennen. Traurigkeit wird häufig unterdrückt und »hinuntergeschluckt«. Sie kann sich auch in psychosomatischen Erkrankungen äußern. Die Teilnehmer erleben, dass die anderen in der Gruppe ähnlich wie sie, aber auch ganz anders fühlen, jedoch spürt jeder der Anwesenden Trauer. Bei diesem Einstiegsritual fragen wir Trauerbegleiter manchmal kurz nach: »Bauchschmerzen, weil Du was Falsches gegessen hast? Oder Traurigkeitsbauchschmerzen?« Die möglichen Antworten, wie: »Der Todestag meines Mannes ist nächste Woche« oder »Es ist ein Magendarminfekt« werden entweder mit einem Satz kurz kommentiert oder durch einen Blick akzeptiert und dann »bei Seite« gelegt. Solche Beschwerden können aber auch Grundlage für zusätzliche Fragen im Laufe der Gruppenstunde für alle sein.
Danach benennen wir ein Thema, das sich in der Regel an der Jahreszeit orientiert. Hier geht es auch um Alltagssituationen der Teilnehmer:
Januar: Jahresbeginn/Neuanfänge, Erleben von Silvester, kalte Jahreszeit/Gemütlichkeit,
Februar: Karneval/Masken tragen?
März: Frühlingserwachen/Schönheit/Kreislauf der Natur, Ostern/Auferstehung,
April: Aprilwetter-Stimmungsschwankungen usw.
Danach wird von den GruppenleiterInnen ein Lied oder ein Gegenstand zur Einstimmung eingebracht und mit Fragen, die auf einem Handzettel stehen, gehen die Teilnehmer ohne die Trauerbegleiter in Kleingruppen. Jeder soll dort zum Reden kommen, dabei aber auch darauf achten, dass keiner an der eigenen Geschichte zu lange hängenbleibt.
Nach ca. 30 Minuten kommt wieder die Großgruppe zusammen und es wird über Fragen oder Besonderheiten in den Kleingruppen gesprochen, wobei die Gruppenleitung thematische Anregungen einbringt. Die Diskussion endet immer damit, dass der Gruppenleiter den Abend zusammenfasst und dabei auf die Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Stärken in der Trauer hinweist. Dazu gehört, dass sich Männer und Frauen trauen, über ihre Gefühle zu sprechen.
Die Trauernden erhalten ein »Give-away« passend zum Thema, z.B. eine kleine Flasche Maggi als Zeichen, manchmal selbst für die Würze im Leben verantwortlich zu sein, wenn alles stiller um sie herum wird und kein Essen schmeckt. Die Gruppe wird dann mit dem Gefühlswürfelritual beendet. Dabei lautet die Frage: »Wie gehe ich jetzt nach Hause?« Bei dieser Frage ist es uns wichtig, dass die Teilnehmer wieder nachspüren und wahrnehmen, ob sich in der Zwischenzeit etwas verändert hat. Fühlen sie sich trauriger, weil Erinnerungen da waren, oder gelöster, weil sie reden und lachen konnten und Gemeinschaft erlebten usw. Dieses Ritual kann auf die Frage »Wie geht es dir?« die Floskelanwort unterbrechen: »Ach, immer gleich …« Die Symbole und deren Assoziationen bieten eine Vielfalt von Gefühlsausdrücken, die in Trauerzeiten vielleicht vorübergehend verloren gegangen oder aber auch vorher unbekannt waren. »Ach, immer gleich …« – das Gefühl gibt es sicherlich und Trauerbegleiter haben kein Recht, es zu negieren, es kommt nach Gesprächsrunden sehr selten vor. Etwas besser, gelöster, anders, ja auch schlechter fühlen alle, vieles ist möglich und wird auch so wahrgenommen und ausgedrückt.
Gruppenbeispiel zum Thema »Gefühle in Traurigkeit«
Auf dem Boden liegen DIN A 5-große Karten zu Gefühlen (von gefuehlsmonster.de). Die Teilnehmer suchen sich ein bis zwei Karten zur Frage: »Wenn ich traurig bin, in welchem Monster finde ich mich wieder?« Die Karten dürfen von mehreren Teilnehmern gleichzeitig gewählt werden. Haben alle eine Karte gefunden, benennen sie kurz in der Großrunde, warum sie die Karte ausgewählt haben. Dabei kennen alle die Regel, die wir immer wieder ansprechen: »Ich spreche nur über das, was ich benennen möchte und ich darf auch gar nichts sagen.« Danach sucht sich jeder eine Karte für einen (lebenden) Familienangehörigen, Nachbarn, Freund oder für sonst jemanden, mit dem er öfter Kontakt hat. Auch hier wird dann benannt, warum diese Karte gewählt wurde. Dieser Einstieg in die Gruppenarbeit ist meist amüsant, weil man sich in den Karten oder Erzählungen anderer wiedererkennt. Gleichzeitig ist es interessant, Gefühle von anderen mitgeteilt zu bekommen.
Anschließend gehen die Teilnehmer mit einem Fragenzettel in die Kleingruppen. Sie dürfen selbst entscheiden, welche Frage sie ansprechen wollen:
Wodurch erkennen andere an mir, dass ich traurig bin?
Möchte ich traurig »gesehen« werden?
Habe ich Traurigkeit gespürt oder vielleicht nichts gefühlt und nur funktioniert?
Erkenne ich bei anderen Menschen aus meinem Umfeld Traurigkeit?
Reden wir darüber … oder was tun wir/nicht?
Werde ich gerne getröstet … und wenn ja, wie?
Wenn ich nicht von anderen gerne getröstet werden möchte, wie tröste ich mich selbst?
Habe ich schon einmal einem anderen gesagt, dass er mir in der traurigen Zeit gut getan hat? Oder habe ich mich bei Anderen entschuldigt, weil ich traurig manchmal unausstehlich sein kann?
Hat sich seit dem Tod bis zu diesem Moment meine Traurigkeit verändert?
Zurück in der Großrunde wird nach der Rückmeldung (Gibt es was zu berichten? Kamt ihr alle miteinander ins Gespräch?) noch die Frage gestellt: Wer oder was tut mir gut in dieser schwierigen Zeit? Als »Give-away« dürfen die Teilnehmer ihre gewählte Karte als Geschenk mitnehmen, danach beginnt das Gefühlsstein-Abschlussritual.
Die Großelterntrauergruppe
Die Großelterngruppe ergab sich, nachdem ein verwitweter Vater nach einem Angebot für seine Schwiegereltern bat. Er sagte, die Großeltern würden keine eigene Form finden, ihre Trauer über den Verlust der Tochter auszudrücken. Sie würden ihre ganze »Trauerenergie« durch Hilfeleistungen zeigen und sich extrem in die Erziehung und das weitere Familienleben des Schwiegersohnes und der Enkelkinder einmischen. Zur ersten Gruppe erschienen vier Großelternpaare und eine verwitwete Großmutter. Die Gruppengröße besteht aus acht bis zehn festen Teilnehmern. Es gibt vier bis fünf Treffen je einmal monatlich. Der Ablauf entspricht dem oben beschriebenen: Ankommen, Abendimbiss, Gefühlswürfelritual, Gesprächsrunde, Kleingruppen.
In der Großelterngruppe geht es beim ersten Treffen um den Austausch von Großeltern, die sich um verwaiste Enkelkinder und Schwiegerkinder »kümmern«. Es geht um ein Kennenlernen ähnlich Betroffener und die Möglichkeit, durch angeleitete Fragen miteinander ins Gespräch zu kommen. Wir erzählen Beispiele aus der Praxis bezogen auf das Erleben von Großeltern, um eine gemeinsame Grundlage für den Gesprächseinstieg zu bieten. Wir berichten auch von Großeltern, die sich manchmal überfordert oder zu wenig gefragt und gesehen fühlen, und von Männern und Frauen, die unterschiedlich trauern. Wir fragen, wie die Trauer in der Kinder- und Enkelgeneration mit ihrem eigenen Erleben übereinstimmt.
Erst beim zweiten und dritten Treffen geht es um die persönliche Trauer der anwesenden Großeltern und um Trauergefühle, Fragen und Verarbeitungsstrategien. Wir erklären das Trauermodell von J.W. Worden und orientieren unsere Gesprächsfragen daran. Dazu überlegen wir im Team nach passenden Trauerritualen, die sich an den Haltungen und Möglichkeiten der Großeltern orientieren. Beim vierten Treffen geht es darum, nach Möglichkeiten zu schauen, in welchem Rahmen die Großeltern die jungen Familien unterstützen können und an welchen Stellen sie sich selber abgrenzen dürfen oder auch sollten. Bei Bedarf gibt es ein ergänzendes fünftes Treffen.
Literatur
Worden WJ (2010) Beratung und Therapie in Trauerfällen: Ein Handbuch. Bern (Huber).
Schroeter-Rupieper M (2012) Für immer anders – Das Hausbuch für Familien in Zeiten der Trauer und des Abschieds. Ostfildern (Patmos).