11. Jahrgang 2014,

Heft 3: Eine Institution stellt sich vor

Michael Doh und Matthias Roos:

Das Europäische Filmfestival der Generationen  - Silver Screen beim Gesundheitsamt Frankfurt am Main

Das Drehbuch

Was bedeutet Gesundheit? Die Antworten auf diese Frage sind so individuell wie die Menschen, denen sie gestellt wird.
   Mit über 200 Mitarbeitenden bietet das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt am Main eine breite Palette von kostenlosen Beratungs-, Hilfs- und Serviceangeboten. Die Vielfalt reicht dabei vom Sozialpsychiatrischen Dienst über die Prüfung von hygienischen Standards in Schwimmbädern und Krankenhäusern bis hin zur sogenannten »Humanitären Sprechstunde« für Menschen ohne Krankenversicherung oder einer eigenen monatlichen Veranstaltungsreihe »Gesundheit im Alter – den Jahren mehr Leben geben«. Hier wurde auch ein ganz neues, ungewöhnliches Format zur Verbindung von sozialer Teilhabe, gelingendem Älterwerden, Kultur und Kino geboren – das Europäische Filmfestival der Generationen – Silver Screen.
   Ein Filmfest im Rahmen der Gesundheitsförderung einer lokalen kommunalen Behörde, wie kann das denn gehen? Genau diese Frage hatte sich das Gesundheitsamt zu stellen, als Anfang 2010 der Mediengerontologe Dr. Michael Doh vom Netzwerk AlternsfoRschung (NAR) der Universität Heidelberg mit dieser neuen Idee nach Frankfurt kam.
   Das NAR veranstaltet bereits seit mehreren Jahren öffentliche Seminare zu wissenschaftlichen Themen aus der Alternsforschung (Teichmann u. Beyreuther 2010). Zur Illustration und Unterhaltung werden solche Seminare mit einem passenden Kinofilm umrahmt. Im Anschluss an den Film findet mit Experten aus der Alternsforschung ein informatives Gespräch mit dem Publikum statt. Fakten und Inhalte zu Demenz, Wohnen, Technik oder Kreativität im Alter können über Spiel- und Dokumentarfilme transportiert werden. Die Diskussion verläuft dann offener und oftmals persönlicher als bei traditionellen Fachvorträgen in einer Universität. Dieser Wissenstransfer von Forschung und Praxis zur Zivilgesellschaft mittels Kino und Film kommt beim Publikum gut an und eröffnet neue Zielgruppen.

Die Produktion

Michael Doh und Matthias Roos erarbeiteten das bis heutige gültige Silver-Screen-Festivalkonzept : An drei Tagen werden parallel in Frankfurt und Heidelberg tagsüber mehrere Filme in barrierefreien Kinos zu fairen Preisen und mit Kaffee und Kuchen angeboten. Filme wie auch die Gespräche mit den Fachleuten aus der Alternsforschung, der Seniorenarbeit, aus kommunalen Einrichtungen und mit besonderen Filmgästen kommen mittlerweile bereits im fünften Jahr beim Publikum sehr gut an. Das Filmfestival, das alljährlich im Sommer stattfindet, steht unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Lehr, Bundesministerin a.D. und Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO). Inzwischen veranstalten neben Hanau und Mannheim noch mehr als 40 weitere Kommunen und Städte solche Festivals, darunter auch europäische Partnerstädte wie Brüssel, Lissabon, London und Manchester.
   Präsentiert werden Filme aus Deutschland und Europa über das Alter und das Älterwerden. Dabei wird darauf geachtet, dass die Filme den Bedürfnissen und Sehgewohnheiten älterer Menschen entgegenkommen. So werden zum Beispiel vorrangig deutschsprachige Filme ohne Überlänge ausgewählt. Besonders wichtig ist die inhaltliche Ausrichtung der Filme: Es soll ein vielfältiges Altersbild gezeigt werden, bei dem das Altern nicht nur als Verlust und Last gesehen wird, sondern ebenso als aktive Lebensphase mit Gewinn und Lust – und mit Möglichkeiten zu Selbstgestaltung, Kreativität, Lebensfreude und Glück. Und ebenso wichtig ist: Es soll im Film die Innenperspektive älterer Menschen gezeigt werden, wie sie denken und fühlen und die Welt wahrnehmen. Denn es gibt zwar immer mehr Filme mit Bezug zum Alter, doch meist aus der Sicht von jüngeren Generationen über das Alter und nicht mit den älteren Menschen aus deren Sichtweise.
   Immer wieder zeigen die Filme des Festivals, wie auch hochaltrige Personen trotz körperlicher Einschränkungen oder sozialer Verluste sich nicht unterkriegen lassen, Lebenswillen zeigen und sich neue Ziele setzen. Oftmals müssen auf der Kinoleinwand auch Selbstzweifel, Widerstände und Rückschläge überwunden werden, um auf neuen Wegen das Glück (wieder) zu finden, wie etwa von der über 80-jährigen Heimbewohnerin Magdalena Reisinger in dem Dokumentarfilm Das Lied des Lebens. Sie litt darunter, dass sie als schwangere Jugendliche von ihrer Mutter und ihrem Umfeld verachtet wurde. Innerhalb eines musikalisch begleiteten Biografieprojekts findet sie in dem Lied »Kann denn Liebe Sünde sein« ihr ganz persönliches »Lied des Lebens«. Am Ende fasst sie sogar den Mut, dieses ihr ganz besonderes Lied bei einem öffentlichen Bühnenauftritt vor großem Publikum zu singen, ein wirklich berührender Moment, der auf der Leinwand ganz hervorragend eingefangen wurde.

Die Dramaturgie

Ausgesuchte Film-Highlights, die ganz besonders für die Grundideen des Festival stehen, wurden in den vergangenen Jahren gezeigt: Vergiss mein nicht von David Sieveking über die Demenz-Erkrankung seiner Mutter, die Spielfilme Und wenn wir alle zusammenziehen? von Stéphane Robelin über das Savoir Vivre in einer bunt gemischten französischen Alters-WG und Das Labyrinth der Wörter von Jean Becker als Plädoyer für die Würde des Alters und die Kraft der Bücher mit Gerard Depardieu und der 95-jährigen Gisèle Casadesus sowie Herbstgold von Jan Tenhaven, ein das Herz berührender Dokumentarfilm über die intensiven Vorbereitungen von fünf europäischen Sportlerinnen und Sportlern im Alter zwischen 82 und 100 (!) zur Teilnahme an der Leichtathletik-Weltmeisterschaft im finnischen Lahti, dem Olymp des Seniorensports. Weitere Beispiele finden sich auf der Homepage, wo alle Filme und Programme seit 2010 auffindbar sind (www.festival-generationen.de).

Die Rahmenhandlung

Durch die Auswahl der Festival-Filme und durch die Gespräche im Anschluss daran gelingt es, ein Bewusstsein über den demografischen Wandel in der Gesellschaft, in der Kommune und auch über das eigene Altern zu fördern. Da zum Festival über eine Kooperation mit dem bundesweiten Wettbewerb »Video der Generationen« gezielt Schulklassen eingeladen werden, kann auch der Dialog zwischen den Generationen gestärkt werden. Zudem ermöglicht das Festival älteren Menschen, die zum Teil jahrelang nicht mehr im Kino waren, eine Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben. Hierzu besteht zum Beispiel in Mannheim ein Shuttlebus-Angebot, um speziell auch Heimbewohner zu einer Kinoveranstaltung zu bringen.
   2014 wird das Festival mobil werden und aufs Land gehen. In Kooperation mit dem Verband Region Rhein-Neckar werden kostenlose Filmvorführungen außerhalb des Kinos stattfinden, etwa in Bürgerhäusern, Theatern, Krankenhäusern, Seniorenzentren, Kirchen und Schulen. Damit soll zum einen die Bürgerschaft quartiersnah und niedrigschwellig einbezogen werden, zum anderen erhalten die Kommunen die Möglichkeit, ihrer Bürgerschaft durch moderierte Filmvorstellungen lokalspezifische Aspekte zum demografischen Wandel näherzubringen.

Der Abspann

Das Festival erhält immer mehr Zuschauer und positive Resonanz seitens Presse und Kommunen. Das Festival wurde bereits für den Deutschen Engagementpreis nominiert und 2013 mit dem dritten Preis beim Deutschen Alterspreis der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet. Mit dem Verband Region Rhein-Neckar erhielt es jetzt einen neuen starken Partner, der das Festival nicht nur in der Region, sondern auch in den europäischen Partnerstädten weiter ausbauen möchte.
   So wurde innerhalb von fünf Jahren aus einer Idee, die zunächst nur als zeitweise Begleitung des Kernprogramms der Frankfurter Gesundheitsförderung für Ältere gedacht war, ein Netzwerk mit vielen engagierten und mittragenden Partnern. Es handelt sich um ein bewährtes und nachahmenswertes Modell, das mittlerweile über Landesgrenzen hinweg europaweit Bestätigung und Anerkennung findet. Es wäre wünschenswert, wenn diese Anerkennung das Frankfurter Gesundheitsamt auf dem Weg zu einer »Pro Ageing City« unterstützt. Schritte in diese Richtung zeichnen sich bereits ab: Denn im Juli 2015 findet der renommierte Deutsche Seniorentag mit weit über 100 verschiedenen Veranstaltungen in der »Mainmetropole Frankfurt« statt, und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat schon für die Eröffnungsrede zugesagt.

Literatur

Teichmann B, Beyreuther K (2010) Das Netzwerk AlternsfoRschung (NAR) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Psychotherapie im Alter 7(3): 405–410.