11. Jahrgang 2014,
Heft 4: Eine Institution stellt sich vor
Stella Shcherbatova und Irina Rabinovitch:
Die Begegnungszentren der Synagogen-Gemeinde in Köln-Porz und Köln-Chorweiler
Die jüdische Gemeinde Kölns gilt als die älteste nördlich der Alpen – bereits im vierten Jahrhundert lebten im Übergang von Spätantike zum frühen Mittelalter Juden in der Colonia Agrippinensis. Heute ist sie nach einer langen, wechselvollen Geschichte mit rund 5.000 Mitgliedern eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands. In den 1990er Jahren ist sie durch den Zuzug russischsprachiger Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sprunghaft gewachsen.
Die Synagogen-Gemeinde Köln vertritt und berät ihre Gemeindemitglieder in religiösen Belangen und fühlt sich verpflichtet, Menschen jüdischen und nicht-jüdischen Glaubens in allen psychologischen, pädagogischen, kulturellen und sozialen Fragen des Lebens zu beraten und zu unterstützen. Die Synagogen-Gemeinde Köln ist als Verband der freien Wohlfahrtspflege nach §5 Abs. 5 SGB XII durch die Stadt Köln, Amt für Soziales und Senioren, beauftragt, Dienstleistungen nach §10 SGB XII für alte, kranke und behinderte Menschen auf bezirklicher Ebene durch Fachkräfte zu erbringen. Dabei handelt es sich um Maßnahmen im Rahmen der Altenhilfe nach §71 SGB XII.
Aufgrund der besonderen Aufgabenstellung, Menschen zu betreuen, die pflegebedürftig oder von Pflegebedürftigkeit bedroht sind, sowie der Konzentrierung dieser in bestimmten Stadtteilen, haben wir uns entschlossen, eine Art »zugehende Beratung« anzubieten. In Köln-Porz betreibt die Synagogen-Gemeinde bereits seit zehn Jahren ein Begegnungszentrum. Dort fördern wir Begegnung in einer aufsuchenden Altenarbeit. Auch in Köln-Chorweiler, einer Ende der 60er Jahre erbauten Trabantenstadt im Kölner Norden, haben wir im Februar 2008 ein weiteres Begegnungszentrum eröffnet. Dort wohnen über 800 Gemeindemitglieder, wobei die Zahl der potenziellen Nutzer aufseiten der Migranten und Migrantinnen doppelt so hoch ist, da nicht alle jüdische Zuwanderer den Weg in die Mitgliedschaft finden und die Beratungsstelle auch für die Nicht-Mitglieder (z.B. Familienangehörige) zugänglich ist.
Begegnungszentren der Synagogen-Gemeinde Köln sind Orte des interkulturellen Dialogs auch zwischen Einheimischen und jüdischen Zuwanderern. Die Zentren in Chorweiler und Porz liegen in beiden Bezirken in einer zentralen Lage und sind gut zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Allen Ratsuchenden und insbesondere den Älteren werden längere Wege und Wartezeiten erspart. Die Begegnungsstätten sind nicht nur für Gemeindemitglieder offen. Sie tragen auch zum interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher ethnischer, kultureller und religiöser Herkunft bei und können einen wichtigen Beitrag zu einem interreligiösen Dialog leisten. Deshalb wurden beide Zentren als interkulturelle Zentren der Stadt Köln anerkannt.
Eine Kernaufgabe ist die Beratung rund um das Alter sowie Hilfen in sozialen, behördlichen und finanziellen Angelegenheiten. Die Mehrheit der Menschen, die psychosoziale Beratung der Sozialabteilung der Synagogen-Gemeinde Köln in Anspruch nehmen, sind Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion.
Diese Gruppe setzt sich aus allen Altersstufen und sozialen Schichten zusammen. 39,5% unserer Mitglieder sind 60 Jahre und älter. Das bedeutet, dass ein großer Teil unser Mitglieder in der Regel keine Arbeit und keine Aufgabe hat. Migranten wurden in der Seniorenberatung in der Vergangenheit nur am Rande wahrgenommen. Menschen mit Migrationshintergrund sind erhöhten Erkrankungsrisiken ausgesetzt. Zudem bestehen zusätzliche psychosoziale Faktoren, die bei Migranten krankheitsbegünstigende Wirkungen haben.
Die Seniorenberatung der Synagogen-Gemeinde ist ein fachkompetentes, wohnortnahes, schnell erreichbares, unbürokratisches und auf individuelle Bedürfnisse eingehendes Beratungsangebot. Sie bietet Information und Beratung in allen Lebensfragen sowie in Krisen und Umbruchsituationen älter werdender Menschen an. Sie berät ältere Migranten bei der Bewältigung bürokratischer Hürden, zum Beispiel bei der Beantragung von Hilfeleistungen. Gerade diese Bevölkerungsgruppe weiß wenig über präventive Möglichkeiten und hat zudem Schwierigkeiten, professionelle Hilfe außerhalb der Familie zu organisieren. Aufgabe der Seniorenberatung ist es, Transparenz hinsichtlich des Zugangs zu diesen Hilfsangeboten zu schaffen. Neben der Beratungstätigkeit zählt auch die Vermittlung von ambulanten, teilstationären, stationären und komplementären Hilfen zu diesem Aufgabenbereich. Die Seniorenberatung der Synagogen-Gemeinde ist gemeinwesenorientiert und stellt mit ihren niedrigschwelligen Angeboten ein unverzichtbares Segment des lokalen ambulanten Hilfesystems dar. Wir arbeiten individuell orientiert an Ressourcen, Wünschen, Interessen und Fähigkeiten der Klientel. Die Einzelfallbegleitung fördert die Integration sowie die Befähigung der Senioren zu selbstständigem Handeln.
Die Integration in die jüdische Gemeinde mit der Vermittlung von Kenntnissen über das Judentum sind die wichtigsten Ziele unseres Angebotes. Da viele unserer Gemeindemitglieder dem Judentum in der ehemaligen Sowjetunion entfremdet wurden, ist es wichtig, dass die Zuwanderer jüdisches Grundwissen erwerben.
Uns ist die Annäherung der verschiedenen Glaubens- und Kulturkreise in den Stadtteilen wichtig. Wir streben durch die Verbesserung der Kommunikation ein kooperatives Zusammenleben von Einheimischen und Migranten an. Wir bieten in Sprechstunden auch muttersprachliche psychologische Beratung an.
Die Begegnungszentren ermöglichen vielfältige Betätigungsmöglichkeiten für alle Geschlechts- und Altersgruppen: Familien- und Seniorenarbeit, Soziale, Psychologische und Rechtsberatung, Angebote zum Spracherwerb (Deutsch, Hebräisch und Englisch), muttersprachliche Angebote, Freizeitsport (Yoga, Karate, Aerobic, Schach für Kinder und Senioren, Tischtennis), Kreativangebote (z.B. Frauentheater), EDV-Kurse für Senioren, Angebote für Kinder (Chor, Malstudio, Puppentheater), Offener Treff (Kultur-Café), Tanzclubs, interkulturelle Elternarbeit, Begleitungshilfe, Krankenbesuche, ferner Konzerte, Ausstellungen, Ausflüge, Vorträge, Präsentationen, Infoabende und vieles andere.
Von diesen seien einige besonders erwähnt: Das Kultur-Café ist ein monatlicher interkultureller Nachmittag für jüdische und nichtjüdische, deutsche und russisch-sprachige Senioren. Es geht um die Entdeckung der Musik, der Literatur und der Bildenden Kunst in den Heimatländern der Zuwanderer, immer gespiegelt in deutschen Kulturtraditionen. Das Kultur-Café lebt aus dem offenen und lebendigen Zusammenwirken von Einheimischen und Zuwanderern. So trägt das Kultur-Café bei zu gegenseitigem Kennenlernen, zu Verständnis und Gemeinsamkeit unter Menschen verschiedener Nationalitäten, mit verschiedenen Schicksalen und Religionen bei. Zu jedem interkulturellen Nachmittag erscheinen ca. 45–60 ältere Menschen.
Aus der Sicht der betroffenen Individuen steht weniger die Integrationsproblematik, sondern zuerst die Bewältigungsfrage, der aktuelle Verlust der Handlungsfähigkeit im Vordergrund. Ältere Menschen, ob deutscher oder nicht-deutscher Herkunft, sind zunächst mit den gleichen biografischen Erfahrungen konfrontiert: Übergang ins Rentner-Dasein, altersbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustandes und Verlust des Ehepartners. Trotz dieser Gemeinsamkeiten unterscheiden sich ältere jüdische Migranten jedoch in vielerlei Hinsicht von deutschen Senioren.
Dabei soll auch eine wichtige Zielgruppe unserer Klienten – die Überlebenden des Holocaust – nicht vergessen werden, die im Alter häufig mit verdrängtem Leid aus der Vergangenheit konfrontiert sind, resultierend aus dem Verlust der Familie und Verwandtschaft, Bitterkeit aufgrund von Einsamkeit und tiefes Misstrauen anderen Menschen gegenüber aufgrund der Traumatisierung. In der Mehrheit sind das zugewanderte »Child Survivors«, aber auch ältere Ghetto- und KZ-Überlebende.
Erzählcafé für Holocaust-Überlebende
Eine der größten Herausforderungen bleibt deshalb die Betreuung der Überlebenden der Shoah und Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Überlebenden. Die jüdischen Feste und hohen Feiertage sind das Zentrum der kulturellen Aktivitäten der Begegnungszentren. Das Eingebundensein in das Netzwerk der Gemeinde, die Sicherheit, dass für die alten Menschen nach den Grundsätzen von »Zedakah« und »Gemilut Chassadim« Sorge getragen wird, dass ihr Schicksal, ihre Leiden und die Kraft, die sie aus ihrem Leben geschöpft haben, Respekt und Würdigung finden – dies sind die Grundlagen unserer Arbeit.
Auch wenn das Kriegsende schon fast 70 Jahre in der Vergangenheit liegt, ist das Überleben und der Umgang mit den Erinnerungen immer noch das zentrale Thema des Betreuungsprozesses. Hier gilt es, zunächst sehr sensibel aus den biografischen Erzählungen die Bewältigungsstrategien herauszukristallisieren und dann in Anlehnung an die Ressourcenorientierung zunächst die Stärken herauszufinden.
Menschen, die über Jahre hinweg an Leib und Leben bedroht waren und unter unvorstellbaren Bedingungen überlebt haben, geht es nur noch darum, dass ihr Schicksal angemessen gewürdigt wird und dass man sich bemüht, ihren aktuellen Bedürfnissen irgendwie gerecht zu werden. So wird den Überlebenden ein ideeller Raum gegeben, wo sie das ausleben können, was im Leben ihre Stärke war. Hierbei stehen Biografiearbeit sowie die Bearbeitung von Stereotypen und Klischees im Vordergrund.
»Warm home«
Gemeinsam mit unseren Projektpartnern JDC-Eshel (Israel) und mit Unterstützung des Bundesverbands Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V.,Köln konnten die Zentren in Chorweiler und Porz das »Warm home«-Projekt schaffen.
Das Typische eines solchen »warm home« ist, dass es, anders als zum Beispiel die Erzähl- und Begegnungscafés, nicht in öffentlichen, sondern in privaten Räumen stattfindet. Hier treffen sich nun seit 2009 in Chorweiler und seit 2013 in Porz in regelmäßigen Abständen Menschen aus den verschiedenen Teilen der früheren Sowjetunion.
Ziel des »warm home« ist es, zur Integration der sogenannten Kontingentflüchtlinge beizutragen. Diese Integration in die neue Gesellschaft und in deren kulturelle Gegebenheiten ist für diesen Personenkreis, der häufig vor 1945 geboren ist, also den Zweiten Weltkrieg und die Auswirkungen der nationalsozialistischen Diktatur miterleben musste, nur schwer zu leisten. Es ist daher wichtig, dass diese Menschen die Möglichkeit haben, sich ihrer Herkunft und ihrer kulturellen Wurzeln bewusst zu bleiben, ihre Identität zu bewahren, um sich so mit den entsprechenden Ressourcen in die neue Gesellschaft einzubringen.
Darüber hinaus entsteht unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des »warm home« ein Netzwerk, das dazu führt, dass sie sich untereinander helfen und beistehen. Dies soll helfen, neben den Veranstaltungen des »warm home« auch zahlreiche andere gemeinsame Aktivitäten zu entwickeln (Feiern, Ausflüge, Besuch kultureller Veranstaltungen).
Integrationsagentur der Synagogen-Gemeinde Köln
Integration ist ein gemeinschaftlicher Handlungsprozess von Einheimischen, Migrantinnen und Migranten sowie gesellschaftlichen Institutionen. Die Integrationsagentur hat die Aufgabe, diesen Prozess anzuregen, Potenziale zu aktivieren und interkulturell kompetent zu begleiten. Wie bei anderen Integrationsagenturen gehören die folgenden vier Eckpunkte zu unserem Aufgabenbereich: Bürgerschaftliches Engagement von/für Migranten, interkulturelle Öffnung, sozialraumorientierte und Antidiskriminierungsarbeit. Unser Personal besteht aus Menschen verschiedener Nationalitäten. 80 Ehrenamtliche sind in den beiden Zentren tätig, die meisten sind Senioren.
Unterstützung von Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement mit zahlreichen gemeinsamen Aktivitäten im Bezirk, wie zum Beispiel die konkrete Kontaktpflege in der Anonymität der Hochhäuser sowie die Teilnahme an Sitzungen verschiedener Gremien, ermöglichen uns, über aktuell bestehende Angebote und Veränderungen informiert zu sein. Sie bilden gleichzeitig die Grundlage für eine gute Vernetzung und konstruktive Zusammenarbeit.