12. Jahrgang 2015,
Heft 1: Eine Institution stellt sich vor
Werner Lechtenfeld:
»Sehen im Alter«
Eine Initiative des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V.
»Es gibt nichts Mächtigeres auf der Welt als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.«
Victor Hugo
Das Projekt »Sehen im Alter«, eine Initiative des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V . (DBSV), ist eine Einladung zum Dialog und zur Zusammenarbeit. Das Projekt wird von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, den Berufsverbänden der Augenärzte und Augenoptiker, Kliniken und Lehrstühlen aus dem Bereich Augenheilkunde und Gerontologie, Organisationen sowie Fachleuten aus dem Bereichen der Pflege unterstützt.
»Wenn es nur das schlechte Sehen wäre...«
Altersbedingte Augenkrankheiten sind Volkskrankheiten. Sie betreffen circa zehn Millionen Menschen in Deutschland: Altersabhängige Makuladegeneration, durch Diabetes bedingte Makula-Veränderungen, Glaukom, Katarakt. Einige sind medizinisch heilbar, andere nur im Verlauf zu beeinflussen. Es leiden nicht nur viele ältere Menschen an Augenkrankheiten, im Alter mehren sich auch die »normalen« altersbedingten Augenprobleme. Denn auch beim gesunden Auge lassen die Fähigkeiten nach, beispielsweise bei der Anpassungsgeschwindigkeit beim Wechsel von hellem zu dunklem Licht, bei der Wahrnehmung von Kontrastunterschieden und beim Umgang mit blendendem Licht. Der zunehmende Sehverlust in einer älter werdenden Gesellschaft wird weitreichende Folgen haben, wenn nicht dafür gesorgt wird, dass vermeidbare Sehverluste verhindert und Menschen mit Sehverlust besser unterstützt werden. Das Projekt »Sehen im Alter« hat zum Ziel, diese Probleme bewusst zu machen und Alltagshilfen zu vermitteln.
Viele einzelne Akteure, Initiativen und Projekte versuchen, die Situation zu verbessern. Dies betrifft vorrangig die Handlungsfelder Vorsorge, Früherkennung von Augenkrankheiten, augenmedizinische Versorgung, Beratung der betroffenen älteren und alten Menschen und ihrer Angehörigen, Aus- und Fortbildung des Pflegepersonals sowie die Grundrehabilitation. Das Wissen voneinander ist gering und die Informationen aus den jeweils anderen Fachgebieten werden bisher nur wenig wahrgenommen. Um diese Wissenslücken zu schließen und das gemeinsame Wissen zu bündeln, lädt die Initiative des DBSV unter der folgenden Zielsetzung zur Zusammenarbeit ein: »VermeidbarenSehverlustverhindern,MenschenmitSehverlustoptimalunterstützen.«
Das Projekt setzt an fünf Stellen an:
1. Datenbank und Website
Die Webseite www.sehenimalter.org liefert einen schnellen Zugriff auf umfassende Informationen zu Initiativen, Projekten, Studienergebnissen, Standards und Praxishilfen. Fachgruppen und Organisationen können durch die Website in einen Dialog treten.
2. Aktionstag 2013: Besuch von Pflegeheimen
Der Sehbehindertentag 2013 wurde für eine erste interdisziplinäre Initiative in Zusammenarbeit des DBSV und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands genutzt. Im Mittelpunkt stand eine Qualitätsoffensive für besseres Sehen in Alterseinrichtungen. Die Aktion wurde in Kooperation mit dem Projekt heimverzeichnis.de gestaltet. Dies ist eine Internetplattform mit Informationen über alle Pflegeheime, erstellt von der Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter und bei Behinderung (BIVA e.V .).
Alle Senioreneinrichtungen in Deutschland wurden zum Aktionstag angeschrieben und erhielten eine Broschüre mit Informationen zum Thema. Am Sehbehindertentag 2013 selbst fanden bundesweit 21 Schwerpunktaktionen statt, jeweils bestehend aus Heimbesichtigung, stichprobenartiger Untersuchung der Bewohner durch einen Augenarzt und abschließendem Runden Tisch (www.sehbehindertentag.de).
Zwei Themen wurden nahezu flächendeckend angesprochen:
Bei der Ausbildung und Sensibilisierung des Fachpersonals besteht in allen Einrichtungen ein erhebliches Verbesserungspotenzial.
Zwischen den Einrichtungen und der Augenmedizin, Augenoptik und dermöglichenRehabilitationscheintvielerortseineVersorgungslückezu klaffen.
Bei beiden Themen liegen die Standpunkte weit auseinander: Augenärzte verweisen in der Regel darauf, dass sie nur in der Augenarztpraxis vollumfängliche Untersuchungen durchführen können. Die Heimleitungen hingegen möchten ihren Bewohnern keine Wartezeiten in der Praxis zumuten. Bei bettlägerigen Patienten ist der Praxisbesuch gänzlich ausgeschlossen. Daher war nicht überraschend, dass die Augenärzte, die an der Aktion teilgenommen haben, oft einen schlechten Untersuchungsstand der Bewohner ermittelten und zahlreiche Erstdiagnosen zu Makuladegeneration, Glaukomen und Katarakten in fortgeschrittenen Stadien stellten.
3. InterdisziplinäreFachtagung»SehenimAlter«
In einer fachbereichsübergreifenden Fachtagung Ende Juni 2014 wurde das vorhandene Fach- und Erfahrungswissen gebündelt und es wurden aktuelle Lösungsansätze thematisiert.
160 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Pflege, Beratung, Altersforschung,Versorgungsforschung,Seniorenarbeit,Augenmedizin,Augenoptik und Rehabilitation informierten sich anhand fachübergreifender Impulsreferate. In fünf Workshops wurden die Aufgabenstellungen und Lösungsansätze der jeweils anderen Fachbereiche wahrgenommen und gemeinsame Aufgaben formuliert. Die Workshops behandelten die wichtigsten Handlungsfelder:
➢ Schnittstelle Patient – Pflege – Augenmedizin – Augenoptik
➢ die Grundrehabilitation als Komplexleistung
➢ die Situation älterer sehbehinderter Menschen in ihrem Wohnumfeld
➢ Wissen verbreiten: Prävention und Aufklärung, Aus- und Fortbildung
➢ Beraten und Begleiten
Am Beispiel des Workshops »Beraten und Begleiten« wurde deutlich, wie neu und wichtig der Gedankenaustausch mit anderen Ansätzen war. Aus dem Bereich Selbsthilfe wurden verschiedene Beratungsprojekte vorgestellt (u.a. Prof. Ines Himmelsbach für die Seniorenberatung Frankfurt, Franziska Diesmann für die integrative Seniorenberatung in Hamburg, Dana Lienert für die »Blickpunkt Auge«-Patientenberatung, Erika Ritter für die Patientensprechstunde in Bonn). Aus dem Bereich der Augenheilkunde wurden »Entlastende Versorgungsassistentinnen« (Dr. Friedel Lienert, Ärztekammer Westfalen) und die therapiebegleitende Beratung durch die Pharmaindustrie (Anita Major, Meditel) präsentiert. Es zeigte sich, dass die Beratungslandschaft momentan durch heterogene Beratungsansätze, teilweise unklare finanzielle Absicherung sowie teilweise fehlende Vernetzung zwischen den Akteuren und Beratungsangeboten gekennzeichnet ist.
Die Teilnehmenden haben Aufgaben formuliert und nach der Fachtagung in einer Expertengruppe begonnen, diese Aufgaben zu bearbeiten. Zu diesen gehören:
➢ Erstellen einer Beratungslandkarte, die Auskunft über Umfang, Qualität und Ort der jeweiligen Angebote gibt
➢ SicherungderlangfristigenFinanzierungfüreineflächendeckendeBeratung
➢ Informieren der medizinischen Fachwelt über die Beratungsangebote
➢ Öffnen des Beratungsansatzes für weitere Alternsthemen
4. Das Aktionsbündnis »Sehen im Alter«
Mit der Bonner Erklärung (sehenimalter.org/aktionsbuendnis/bonner-erklaerung) am Ende der Fachtagung formulierten die tragenden Verbände ihre Bereitschaft, die interdisziplinäre Zusammenarbeit fortzusetzen und benannten erste Handlungsfelder und Forderungen für die weitere gemeinsame Arbeit. Momentan wird ein gemeinsamer Aktionsplanerarbeitet. Außerdem werden zentrale und dezentrale Kampagnen gestartet.
Forscher und Praktiker aus den Bereichen Augenheilkunde, Altersforschung, Pflege, Rehabilitation und Selbsthilfe zeigen mit der Unterzeichnung der Erklärung, dass sie die politische Zusammenarbeit fortsetzen wollen.
5. Basisinformationen
Für Leitungen und Personal in Pflegeeinrichtungen wurden erste Handreichungen zur Verfügung gestellt. Die Broschüren informieren über die wichtigsten Augenkrankheiten und Veränderungen der Sehkraft im Alter, beschreiben Auswirkungen der Seheinschränkungen der Betroffenen und zeigen einfache Hilfen, Hilfsmittel und Veränderungswege auf. Die Broschüren werden im Bereich »Service« der oben genannten Webseite vorgestellt. Träger des Projekts ist der DBSV . Zur Fachtagung und dem daraus entstandenen Aktionsbündnis »Sehen im Alter« hat sich eine gemeinsame Trägerschaft mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) entwickelt. Zahlreiche Verbände und Experten unterstützen das Projekt und das Aktionsbündnis.
Die Startphase des Projekts und die Fachtagung wurden von BayerHealthCare, der Aktion Mensch, der DAK, der Stiftung Auge, Schweizer Optik und Zumtobel gefördert. Über die weitere Förderung wird derzeit noch verhandelt.