12. Jahrgang 2015,

Heft 1: Eine Institution stellt sich vor

Juliane Willuhn:

»Blickpunkt Auge — Rat und Hilfe bei Sehverlust«

Ein bundesweites Beratungsangebot des DBSV

Augenärzte gehen davon aus, dass deutschlandweit allein 1,6 Millionen Menschen an der Altersbedingten Makula-Degeneration (AMD) erkrankt sind und weitere 2,6 Millionen Vorstadien zeigen. Weitere wesentliche Auslöser für Seheinschränkungen sind das Glaukom und Diabetische Netzhauterkrankungen, mögliche Folgen des Diabetes im Auge. Durch die älter werdende Gesellschaft in Deutschland steigt die Anzahl von Menschen mit altersbedingten Augenerkrankungen stetig. Bis zum Jahr 2030 rechnet die Fachgesellschaft der Augenärzte mit einer halben Million AMD-Betroffenen mehr als heute.
   Immer mehr und dabei vor allem Menschen im höheren Lebensalter erleben infolge einer ernsthaften Augenerkrankung einen fortschreitenden Sehverlust. Diese Perspektive macht vielen Betroffenen Angst, da das Sehen einen herausragenden Stellenwert in der Bewältigung unseres Lebens einnimmt. Die Bedrohung, Selbstständigkeit einzubüßen, wirkt hier besonders stark. Den Menschen auf diesem Weg Begleitung anzubieten, um Selbstvertrauen zurückzugewinnen, Abhängigkeiten zu verringern, Selbstbestimmung und Aktivität wiederzuerlangen, hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V . (DBSV) ein Beratungs- und Unterstützungsangebot ins Leben gerufen.

Unter dem Namen »Blickpunkt Auge – Rat und Hilfe bei Sehverlust« werden Betroffene und ihre Angehörigen
➢ nach dem Schock der Diagnose einer Augenerkrankung mit Sehverlust so früh wie möglich aufgefangen,
➢ zu allen für sie bedeutsamen Fragen rund um die Sehbeeinträchtigung informiert, beraten und gegebenenfalls an weitere Fachleute vermittelt,
➢ auf der Suche nach ihrem ganz persönlichen Weg und bei der Umsetzung ihrer Vorhaben begleitet und ermutigt,
➢ auf die Angebote der Selbsthilfe aufmerksam gemacht, damit sie diese kennen und nutzen können.

Sehverlust stellt eine große Herausforderung für die Betroffenen, deren Freunde und Familie dar. Der DBSV hat hierzu Meinungsbilder unte rAMDBetroffenen (Anfang 2013) und seinen Mitgliedern (Anfang 2014) eingeholt. Als mit Abstand größte Beeinträchtigung durch den Sehverlust wird die eingeschränkte Mobilität genannt. Fahrrad- oder Autofahren ist nicht mehr möglich, was insbesondere in ländlichen Gebieten eine starke Einschränkung bedeutet. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wird immer schwieriger, Fahrpläne, Liniennummern und Informationen zu Fahrzielen, Verspätungen oder Ersatzverkehr sind nicht mehr lesbar. Dies alles kann dazu führen, dass Betroffene immer weniger aus dem Haus gehen.


Abbildung 1: Unter diesem Logo werden Angebote von
»Blickpunkt Auge - Rat und Hilfe bei Sehverlust« publiziert.

   Insbesondere Menschen, die unter dem Ausfall des zentralen und scharfen Sehens leiden, wie es beispielsweise bei der fortgeschrittenen Form der AMD der Fall ist, beklagen den fortschreitenden Verlust der Lesefähigkeit. Briefe, Bücher oder Zeitungen nicht mehr lesen, Formulare nicht ausfüllen, nicht mehr wie gewohnt am Computer agieren zu können, sind schwerwiegende Beeinträchtigungen. Das gleiche gilt für viele alltägliche Handlungen, wenn Betroffene nicht mehr sehen, ob beispielsweise Farben von Kleidungsstücken zusammenpassen oder ob sie fleckenfrei sind. Beim Einkaufen sind Produkte nicht auffindbar, Preise oder Haltbarkeitsdaten nich tlesbar ,Münzen und Geldscheine schwer zu unterscheiden. Freizeitbeschäftigungen wie Fernsehen, Fotografieren, handwerkliche Arbeiten, Spazierengehen, Wandern oder das Notenlesen fürs Musizieren sind aus oben genannten Gründen kaum oder gar nicht mehr möglich. Auch ehrenamtliche Tätigkeit ist aufgrund der beschriebenen Einschränkungen erschwert.
   Wesentlich beeinträchtigt ist auch die soziale Kontaktaufnahme. Gesichter und damit auch bekannte Personen nicht mehr zu erkennen, bedeutet, nicht mehr aktiv auf andere zugehen und Gespräche aufnehmen zu können. Daraus folgen häufig auch Missverständnisse, Betroffene werden als unhöflich wahrgenommen, weil sie auf der Straße nicht mehr grüßen oder der Blickkontakt im Gespräch fehlt. Viele ziehen sich dann aus ihrem sozialen Umfeld zurück oder müssen die Erfahrung machen, dass sich sehende Bekannte nicht mehr melden.
  Die zumeist selbst von einer Seheinschränkung betroffenen Beraterinnen und Berater können mit Zeit, Empathie und Wissen auf alle diese Themen eingehen. In einem umfangreichen Qualifizierungsprogramm sowie mit einem kontinuierlichen Angebot an Weiterbildung und kollegialer Beratung werden die Beratenden dafür aus- und weitergebildet.
Im Mittelpunkt der Beratung stehen zumeist
➢ grundlegende Fragen zu den häufigsten Augenerkrankungen,
➢ optische und elektronische Sehhilfen sowie weitere Hilfsmittel,
➢ rechtliche und finanzielle Ansprüche,
➢ Tipps und Tricks zur Alltagsbewältigung und Schulung in lebenspraktischen Fähigkeiten,
➢ Unterricht zur sicheren Orientierung im Straßenverkehr sowie ➢ psychosoziale Stabilisierung.

Bei Bedarf fungieren die Beraterinnen und Berater von »Blickpunkt Auge« auch als Mittler zu Fachleuten wie AugenärztInnen, Augenkliniken, spezialisierten AugenoptikerInnen, HilfsmittelherstellerInnen, RehabilitationslehrerInnen sowie weiteren Fachkräften rund ums Sehen und zu Behörden. Dabei ist es uns wichtig, ausgewogen und unabhängig zu den verschiedenen Anbietern und Herstellern zu informieren. Die Beratung erfolgt kostenfrei.
   »Blickpunkt Auge«-Beratungsstellen sind wohnortnah, um eine persönliche Beratung zu ermöglichen, und befinden sich an möglichst gut zugänglichen Orten, zum Beispiel in Augenkliniken, Gemeindeämtern, Mehrgenerationenhäusern oder Pflegestützpunkten. Aber auch telefonische und E-Mailberatung sind möglich.
   Um Betroffene in ländlich strukturierten Gebieten besser zu erreichen, werden derzeit drei Beratungsmobile erprobt. Mit einem modernen, mit zahlreichen Hilfsmitteln und Informationsmaterialien ausgestatteten Beratungsmobil werden in regelmäßigen Abständen Orte in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Bayern aufgesucht.
   Das Beratungsangebot wird durch Patienteninformationsveranstaltungen und Gruppenangebote, beispielsweise AMD-Treffs oder Glaukom-Stammtische, ergänzt.
   Um die Qualität dieses bundesweiten Angebots zu sichern, wird auf der Basis von Leistungsstandards gearbeitet, die vom Dachverband mit den Landesorganisationen vereinbart wurden. Ein konsistentes Wissensmanagementsystem ermöglicht zudem eine Beratung auf dem aktuellen Stand des Wissens. Dazu gehören eine interne Wissensdatenbank, ein Newsletter für Beratende und ein schneller Zugang zum Wissen von Fachleuten bei Spezialfragen. Ein interdisziplinärer Beraterkreis begleitet »Blickpunkt Auge«. Dieses Gremium ist mit namhaften Experten aus der Augenmedizin, Augenoptik, Psychologie und Alternsforschung sowie Vertretern der Selbsthilfe besetzt.


Abbildung 2: Derzeitige Verbreitung von »Blickpunkt Auge«-Angeboten in Deutschland


   »Blickpunkt Auge«-Angebote sind derzeit in den zwölf Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Berlin, Niedersachsen, SachsenAnhalt, Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern erreichbar. Bis 2018 wird das Angebot flächendeckend ausgebaut.
   Weitere Informationen finden Sie unter: www.blickpunkt-auge.de.