Gabriela Stoppe: Editorial zum Themenheft “Psychotherapie und Palliativmedizin”

Psychotherapie und Palliativmedizin, geht das zusammen?

Als Astrid Riehl-Emde und ich bei einem informellen Gespräch das Thema für dieses Heft skizzierten, stand das Anliegen im Vordergrund, einerseits den Bereich der Palliativmedizin auf sein Verhältnis zur Psychotherapie zu untersuchen, andererseits Sinn und Unsinn einer psychotherapeutischen Arbeit in diesem Bereich kritisch zu beleuchten. Das Resultat liegt nun vor Ihnen und regt Sie, die Leserschaft, hoffentlich zu vielen konstruktiven Diskussionen an.
   Die Palliativmedizin hat sich ebenso wie die Hospizbewegung in den letzten 40 Jahren allmählich entwickelt. Hintergrund für beide war, dass die moderne medizinische Behandlung auch ein längeres Überleben mit schweren Erkrankungen – und entsprechend aufwändigeren Behandlungen – ermöglichte. Dies führte im Zusammenhang mit den Veränderungen von Familien- und Wohnstrukturen in den letzten Jahrzehnten zu dem Ergebnis, dass immer mehr Menschen im Spital oder in Altenpflegeheimen sterben. Noch nicht einmal ein Drittel der Menschen in Mitteleuropa stirbt dort, wo es fast alle wollen, nämlich zu Hause.
   Die Hospizbewegung setzt sich dafür ein, dass ein Sterben mit Krankheit auch außerhalb des Spitals stattfinden kann. Diese Bewegung hat inzwischen viele Anhänger gefunden. Hospize sind mittlerweile für fast jeden erreichbar.
   Die Palliativmedizin ist ein relativ junges Gebiet. Dieses Schicksal teilt sie durchaus zum Beispiel mit der Geriatrie und der Gerontopsychiatrie. Auch wenn heute die meisten Menschen alt werden können, ist die Palliativmedizin auf keine Altersgruppe begrenzt. Vor allem im Bereich der Onkologie und der Schmerzbehandlung spielt die Palliativmedizin in Deutschland eine große Rolle. In der Schweiz erkannte man früher als in Deutschland, dass es auch andere chronische Krankheitsverläufe gibt, die von einer palliativmedizinischen Behandlung profitieren können. Dies gilt vor allem für chronisch multimorbide und invalidisierende Erkrankungen im höheren Lebensalter, also auch für Demenzkrankheiten. In den Beiträgen des vorliegenden Hefts wird deutlich, dass in der Schweiz die nationale Strategie Palliative Care wesentlich dazu beigetragen hat, den Begriff zu verbreiten und zu schärfen. Dazu sei insbesondere auf die Beiträge von Stefanie Becker und Ursula Wiesli verwiesen.
   Kritiker mögen einwenden, dass damit auch das Sterben vermehrt medikalisiert wird. Am Lebensanfang, also im Bereich Reproduktion und Geburt, ist heute die Begleitung durch Mediziner (und Hebammen) fast selbstverständlich, Hausgeburten sind nicht mehr die Regel. Werden wir nun eine ähnliche Entwicklung am Lebensende beobachten können? Wenn also die Sterbebegleitung zur medizinischen Disziplin wird, dann wird es auch im Bereich der Sterbemedizin und der entsprechenden Begleitforschung immer mehr Beiträge geben, die zu einer individualisierten, möglichst angenehmen und sicheren Form des Sterbens beitragen sollen. Nach der Geburtsmedizin nach Maß nun also das Sterben nach Maß?
   Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Vision, die der Palliativmedizin zugrunde liegt, ebenso wie die Vision, die der aufwühlenden Debatte um die Sterbehilfe bzw. den assistierten Suizid zugrunde liegt, eigentlich sehr ähnlich sind. Es geht darum, dass der zunehmend selbstbestimmte Mensch der heutigen Zeit auch das Sterben (und den Tod?) kontrollieren will.
   Soll sich die Psychotherapie in diesen Bereich einbringen? Diese Frage wird in den Beiträgen unterschiedlich beantwortet. Es ist jedoch eindeutig, dass Psychotherapie in ihrer ganzen Breite – von den körper- und sinnesorientierten über die psychodynamischen, gesprächsorientierten und systemischen bis hin zu den verhaltenstherapeutischen Verfahren – den betroffenen Menschen auch hier helfen kann, Entwicklungsschritte zu machen. Und wenn es eben auch die letzten Schritte sind!
   Gesundheitsökonomen werden diskutieren, ob nun auch noch Psychotherapie am Sterbebett finanziert werden soll. Es gebe doch ohnehin zu wenig Ressourcen und zu wenig PsychotherapeutInnen. Dieses Argument ist gleichzeitig richtig und falsch. Auch wenn die Ressourcen aktuell vielleicht nicht reichen mögen, so geht es doch zunächst einmal darum, die gute Praxis zu definieren. Gute Praxis kann zum Beispiel auch dort gesehen werden, wo es darum geht, in diesem Bereich tätige Menschen, zum Beispiel das Personal in Alten- und Pflegeheimen, in ihrer belastenden Arbeit zu begleiten. Es kann um eine bessere Qualifikation dieser Menschen im Bereich von Psychiatrie und Psychotherapie gehen, es kann aber auch das regelmäßige Angebot von Supervisionen und Fallarbeit bedeuten, die keineswegs in all diesen Einrichtungen bereits Standard sind.
   Auch wenn das Sterben nicht nur im Alter stattfindet, so findet es doch in der heutigen Zeit immer mehr im Alter statt. Insofern ist es erfreulich, dass sich die Zeitschrift Psychotherapie im Alter jetzt diesem Thema stellt. Lassen Sie sich anregen!