13. Jahrgang 2016, Heft 3: Eine Institution stellt sich vor
Sandra Dick, Andreas Häusler und Michael A. Rapp:
Professur für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Potsdam
Exzellenzbereich Kognitionswissenschaften Department Sport- und Gesundheitswissenschaften
Gründung des Lehrstuhls
Bei der Professur für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Potsdam handelt es sich um eine noch junge universitäre Abteilung. Sie ist seit 2013 Teil des Strukturbereichs Kognitionswissenschaften im Department für Sport- und Gesundheitswissenschaften.
Die Mitarbeiter des Lehrstuhls haben berufliche Verankerungen in der
Medizin, der Psychologie und Psychotherapie sowie in Sporttherapien und -wissenschaften. Spezialisierungen finden sich darüber hinaus in Bereichen der Gerontologie, der Gerontopsychotherapie sowie der Gerontopsychiatrie. Das fachliche Profil der Professur wird maßgeblich durch diesen professionellen Hintergrund charakterisiert.
Aufgabenschwerpunkte und wissenschaftliche Zielsetzungen
Die Professur für Sozial- und Präventionsmedizin beinhaltet verschiedene Aufgaben- bzw. Forschungsschwerpunkte, welche sich unter dem Überbegriff »public mental health« zusammenfassen lassen.
Ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt der Professur ist die Prävention seelischer Erkrankungen im Zeitraum der gesamten Lebensspanne. Unser Anliegen ist es, protektive Einflüsse und Risikofaktoren zu identifizieren, die für die Entstehung sowie das Fortschreiten psychischer Erkrankungen bedeutsam sind. Unser übergeordnetes Ziel besteht darin, mit den gewonnenen Erkenntnissen unter anderem einen Beitrag zur Verbesserung von Behandlungs- und Präventionsangeboten für Patienten mit psychischen Erkrankungen in allen Lebensabschnitten zu leisten. Aktuelle und bereits abgeschlossene Projekte hatten affektive, demenzielle und Abhängigkeitserkrankungen im höheren Lebensalter im Fokus. Neben wissenschaftlichen Projekten im Bereich der Versorgungsforschung entwickeln wir hierbei spezifische Konzepte zur Gesundheitsförderung, das heißt spezifische Präventions- und Vorsorgeprogramme, die ein möglichst hohes Maß an Praktikabilität und Ressourcenökonomie aufweisen sollen.
Unsere gerontopsychiatrische Perspektive richtet sich hierbei nicht nur auf die Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen, sondern auch auf eine Steigerung der Lebensqualität der pflegenden Partner bzw. Angehörigen. Dies erscheint uns deshalb wichtig, weil Faktoren wie Autonomie, Lebensqualität und pflegebezogene Probleme von uns als interaktionell bedingt betrachtet werden. Das heißt eine Bearbeitung der Sorgen und Nöte der Angehörigen zum Beispiel kann direkte Auswirkungen auf das Wohlergehen der Betroffenen haben.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich Plastizität im Alter. Zu den Möglichkeiten lebenslangen Lernens betreiben wir neben Grundlagenforschung auch Untersuchungen unter praxisrelevanten Gesichtspunkten. Im Hinblick auf die Bedürfnisse einer immer älter werdenden Gesellschaft bewegen wir uns auf Basis eines ressourcenorientierten Ansatzes, der seelische Gesundheit im Alter über einen kompensatorischen Ansatz hinaus auch im Rahmen des Neuerwerbs bzw. Ausbaus von Fertigkeiten und Fähigkeiten versteht. Wir untersuchen hierbei die neurobiologischen Grundlagen von plastischen Prozessen im Alter, zum Beispiel mithilfe von psychophysiologischen und neuropsychologischen Methoden (EEG, bildgebende Verfahren etc.), und nutzen die hier gewonnenen Erkenntnisse unter anderem zur Entwicklung von kognitiven und sensomotorischen Trainingsprogrammen für ältere Menschen.
Die Zugehörigkeit zur Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften ermöglicht es uns, den Einfluss von Sport und Bewegung sowohl auf Prävention als auch auf Plastizität zu untersuchen. Die Relevanz von körperlicher Aktivität in Bezug auf den Erhalt bzw. die Wiederherstellung seelischer Gesundheit ist gut belegt. Eines unserer zentralen Anliegen besteht daher in der Erforschung und Entwicklung zum Beispiel von alterssensitiven Bewegungsprogrammen, die die Bedürfnisse und Erfordernisse älterer Menschen berücksichtigen und eine gezielte Förderung von seelischer und körperlicher Gesundheit im höheren Lebensalter ermöglichen.
Unsere Professur bringt darüber hinaus spezifische Themen aus den Bereichen der Alternswissenschaften in das Lehrangebot des Departments ein. Unsere Seminare und Vorlesungen sind Teil des Lehrangebots im Bachelorstudiengang des Departments sowie des Masterstudiengangs »Integrative Sport-, Bewegungs- und Gesundheitswissenschaft« der Universität Potsdam. Wir zielen darauf ab, den Studierenden ein ganzheitliches Verständnis von seelischen Erkrankungen im Alter sowie von hierauf bezogenen Behandlungsansätzen (vor allem bewegungsorientierten) zu vermitteln, die sie in ihrem späteren Berufsleben effektiv und sinnvoll einsetzen können. Da die Einsatzorte der Studierenden unter anderem Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen sein werden, bei denen sie häufig auf ältere Menschen stoßen werden, halten wir eine praxisnahe Ausbildung für unabdingbar. Deshalb fördern wir diese Praxisnähe zum Beispiel im Rahmen von Hospitationen bzw. Praktika etwa in geriatrischen oder gerontopsychiatrischen Institutionen der Region Berlin-Brandenburg.
Ausgewählte altersspezifische Einzelprojekte
Die aktuellen Forschungsprojekte der noch jungen Professur stellen zum Teil wissenschaftliche Folgearbeiten dar, die von den Mitarbeitern der Professur bereits an anderen Einrichtungen abgeschlossen bzw. begonnen wurden. Daher möchten wir neben unseren gegenwärtigen Forschungstätigkeiten im Folgenden auch kurz auf diese Arbeiten verweisen.
Prävention seelischer Erkrankungen im Zeitraum der gesamten Lebensspanne
In der Arbeitsgruppe der Professur wird seit Anfang 2014 die Brandenburger DYADEM- Studie (Dyadisches Coping bei Demenz) durchgeführt, die ein Folgeprojekt der Berliner DYADEM-Studie ist. Beide DYADEM-Studien untersuchen ein Trainings- und Beratungsprogramm, das Menschen mit beginnender bis mittelschwerer Demenz und ihren Partnern dabei helfen soll, persönliche und gemeinsame Bewältigungsfähigkeiten zu stärken, um so Autonomie und Lebensqualität trotz einer demenziellen Erkrankung möglichst zu verbessern und möglichst lange zu erhalten (vgl. Häusler et al. 2014). Das im Rahmen der Studie entwickelte Unterstützungsprogramm beinhaltet bewährte Methoden der Verhaltenstherapie und der systemischen Beratung. Die standardisierten therapeutischen Module werden im eigenen Zuhause des Paars durchgeführt und umfassen neun Sitzungen mit einem psycho- und soziotherapeutischen Schwerpunkt. In der DYADEM-Brandenburg-Studie versuchen wir diesen Interventionsansatz auf ein strukturschwaches, ländliches Versorgungsgebiet zu übertragen.
Die ursprüngliche DYADEM-Studie war ein Teilprojekt des Berliner Forschungsverbundes »Autonomie trotz Multimorbidität im Alter (AMA)« und wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Dieses erste DYADEM-Projekt wurde zwischen 2011 und 2013 als Kooperationsprojekt vom gerontopsychiatrischen Zentrum der Charité im St. Hedwig Krankenhaus und dem Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaften der Charité Berlin (Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey) unter Leitung von Prof. Rapp durchgeführt. Das inzwischen vom Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP, Dr. Ralf Suhr) finanzierte Brandenburger Folgeprojekt ist nunmehr eine Kooperation der Professur für Sozial- und Präventivmedizin und dem Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaften der Charité.
Versorgungsforschung in der stationären Altenhilfe
Im Rahmen von Versorgungsstudien in Berliner Pflegeheimen konnten wir Defizite in der nicht-medikamentösen Behandlung ebenso identifizieren wie eine in weiten Teilen inadäquate Psychopharmakotherapie (vgl. Rapp et al. 2013). Einige nicht-medikamentöse Therapiemaßnahmen, beispielsweise die tiergestützte Therapie zur Behandlung von Verhaltenssymptomen bei demenziellen Erkrankungen, konnten hier implementiert werden und zeigten sich wirksam (vgl. Maji# # et al. 2013). Auch bei schwerer, fortgeschrittener Demenz konnte mit biografiebezogenen, ergotherapeutischen Interventionsansätzen die Teilhabe gefördert und die Motivation verbessert werden (vgl. Treusch et al. 2014).
Plastizität im Alter
Ein Teil unserer Grundlagenforschung ist seit längerer Zeit auf die Untersuchung der Arbeitsgedächtnis-Plastizität im Alter gerichtet (vgl. Heinzel et al. 2014a, 2014b, 2014c). Die Relevanz, sich der neuronalen Steuerung von Doppelaufgaben bzw. Multitasking im Alter zu widmen, zeigt sich unter anderem in dem mittlerweile gut belegten Zusammenhang von Sturzrisiko und Einschränkungen im Bereich der Aufmerksamkeit sowie den Exekutivfunktionen. Trainingsstudien in motorischen und kognitiven Doppelaufgaben haben gezeigt, dass diese Leistungen durch Übung verbessert werden können, was wiederum einen protektiven Effekt auf die Sturzprophylaxe zu haben scheint. Ein aktuelles von der DFG gefördertes Projekt (im Rahmen eines DFG-Schwerpunktprogramms) zu »Doppelaufgaben, assoziierten neuronalen Korrelaten und trainigsinduzierter Plastizität im Alter« untersucht (zusammen mit der Abteilung für Trainings- und Bewegungswissenschaft, Professor Dr. Urs Granacher) Mechanismen die altersbedingten Verringerungen in der gleichzeitigen Steuerung von Arbeitsgedächtnis und Gleichgewicht zugrunde liegen. Wir hoffen darüber hinaus, einen Beitrag zur Optimierung von Trainings- und Sturzpräventionsprogramme für ältere Menschen leisten zu können. Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen (Prof. Dr. Iring Koch), der Universität Bremen (Prof. Dr. Claudia Voelcker-Rehage) sowie der Professur für Allgemeine Psychologie der Universität Potsdam (Prof. Dr. Reinhold Kliegl) statt.
Weiterhin untersuchen wir mit der Alzheimer Demenz einhergehende neuronale Mechanismen, unter anderen mit neuropsychologischen Versuchsverfahren (letzteres projektiert). Ein besonderes Augenmerk legen wir hierbei auf die Erforschung des Zusammenhangs von Major Depression und der Alzheimer Demenz (vgl. Rapp et al. 2006) bzw. auf die Fragestellung, ob Alzheimer Demenz mit komorbider Depression auf eine andere neuronale Beteiligung verweist als Alzheimer Demenzen ohne komorbide Depression (vgl. Hofrichter et al 2014). Erste Ergebnisse aus diesem Forschungszweig verweisen bereits auf zusätzliche Einschränkungen im Bereich des episodischen Gedächtnisses bei gleichzeitigem Vorliegen beider Erkrankungen. Die Datenerhebung für diese Studien fand unter Beteiligung des gerontopsychiatrischen Zentrums des psychiatrischen Universitätsklinikums der Charité im St. Hedwig Krankhaus Berlin statt.
Literatur
Häusler A, Krause-Köhler K, Niemann-Mirmehdi M, Nordheim J, Rapp MA (2014) Psychosoziale Therapie bei beginnender Demenz. Frankfurt (Mabuse).
Heinzel S, Lorenz RC, Brockhaus WR, Wüstenberg T, Kathmann N, Heinz A, Rapp MA (2014a) Working memory load-dependent brain response predicts behavioral training gains in older adults. J Neurosci. 34(4): 1224–1233.
Heinzel S, Riemer TG, Schulte S, Onken J, Heinz A, Rapp MA (2014b) Catechol-O-methyl-transferase (COMT) genotype affects age-related changes in plasticity in working memory: a pilot study. Biomed Res Int: 414351.
Heinzel S, Schulte S, Onken J, Duong QL, Riemer TG, Heinz A, Kathmann N, Rapp MA (2014c) Working memory training improvements and gains in non-trained cognitive tasks in young and older adults. Neuropsychol Dev Cogn B Aging Neuropsychol Cogn 21(2): 146–173.
Hofrichter NA, Dick S, Riemer T, Schleussner C, Goerke M, Mell T, Heinz A, Rapp MA(2014) Impact of comorbid depression on serial position effects in Alzheimer ́s disease. Journal of Gerontopsychology and Geriatric Psychiatry 27 (4): 161–169.
Maji T, Gutzmann H, Heinz A, Lang UE, Rapp MA (2013) Animal-assisted therapy and agitation and depression in nursing home residents with dementia: a matched case-control trial. Am J Geriatr Psychiatry. 21(11):1052–9.
Rapp MA, Mell T, Majic T, Treusch Y, Nordheim J, Niemann-Mirmehdi M, Gutzmann H, Heinz A (2013) Agitation in nursing home residents with dementia (VIDEANT trial): effects of a cluster-randomized, controlled, guideline implementation trial. J Am Med Dir Assoc. 14(9): 690–695.
Rapp MA, Schnaider-Beeri M, Grossman HT, Sano M, Perl DP, Purohit DP, Gorman JM, Haroutunian V (2006) Increased hippocampal plaques and tangles in patients with Alzheimer disease with a lifetime history of major depression. Arch Gen Psychiatry 63(2): 161–167.
Treusch Y, Majic T, Page J, Gutzmann H, Heinz A, Rapp MA (2014) Apathy in nursing home residents with dementia: Results from a cluster-randomized controlled trial. Eur Psychiatry Mar 13. [Epub ahead of print]