13. Jahrgang 2016,

Heft 4: Eine Institution stellt sich vor

Silke Andermann:

Die Abteilung für lebensältere Gefangene der Justizvollzugsanstalt Detmold

Hintergründe

Mit der Gründung einer Abteilung für lebensältere Gefangene im Jahr 2007 begegnet die Justizvollzugsanstalt Detmold dem demografischen Wandel in der Gesellschaft, der sich auch im Strafvollzug in Deutschland sowie in Nordrhein-Westfalen wiederspiegelt und damit den spezifischen Bedürfnissen älterer Gefangener Rechnung trägt. Das Abteilungskonzept, welches Grundlage für diesen Beitrag ist, wurde von den Mitarbeitern der Abteilung für lebensältere Inhaftierte interdisziplinär erarbeitet.
    Hintergründe für die Gründung einer Spezialabteilung für lebensältere Gefangene waren neben den gestiegenen Gefangenenzahlen (2014 waren 4% der Inhaftierten in NRW über 60 Jahre alt) unter anderem theoretische Überlegungen zu speziellen Entwicklungsaufgaben im höheren Lebensalter, insbesondere die Bewältigung von Verlusten (von Familienangehörigen, Freunden, sozialen Rollen, eigener physischer und kognitiver Leistungsfähigkeit usw.). Ziel ist die Akzeptanz der Endlichkeit des Lebens und der eigenen, nur noch wenig veränderbaren Lebensgeschichte. Als Kernproblem des letzten Lebensabschnittes wird in Anlehnung an Erik H. Erikson (1964) das Erreichen von Integrität genannt. Es geht darum, die bisherige Entwicklung anzunehmen und die individuell gelebte sowie nicht gelebte Lebensgeschichte im Angesicht der Endlichkeit des Lebens zu akzeptieren.
   Ältere Menschen in Haft müssen zusätzlich zu diesen Entwicklungsaufgaben mit den Restriktionen des Strafvollzuges fertig werden (vgl. Mößle et al. 2007). Dadurch können angestrebte Selbstentwürfe und Lebensziele in unerreichbare Ferne rücken. Die Integration der Realität ins Selbstbild erfordert dann ein extrem hohes Maß an Flexibilität. Der Freiheitsentzug bedeutet für die älteren Erstinhaftierten häufig eine »biografische Katastrophe«. Der Verlust an noch verbleibender Lebenszeit kann kaum noch ausgeglichen werden. Darauf wird zurückgeführt, dass ältere Inhaftierte tendenziell introvertierter, depressiver, ängstlicher und passiver erlebt werden als jüngere Inhaftierte. Es gibt für die Älteren nur noch eingeschränkte Möglichkeiten der Orientierung auf einen Neuanfang in der Haft oder nach der Entlassung. Deshalb neigen ältere Inhaftierte häufig zu Rechtfertigungs- und Entschuldigungsstrategien. Dadurch verengt sich die Perspektive und die Haft wird vielfach als Ende des sozialen Lebens empfunden. Die erwarteten Reaktionen des sozialen Umfeldes und das Gefühl unwiederbringlich verlorener Zeit sowie die Sorge um die eigene Gesundheit (»komme ich hier noch lebend raus?«) wirken oft zermürbend (vgl. Görgen 2007).
   Die Justizvollzugsanstalt Detmold hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, mit der Abteilung für lebensältere Gefangene und ihren spezifischen Hilfs- und Behandlungsangeboten (spezifische Gesundheitsfürsorge, Schutz vor jüngeren Gefangenen, qualifiziertes Personal, selbstständigkeitsfördernde Betreuung, angemessene Beschäftigung und spezielles Übergangsmanagement (vgl. Fichte 2007)) auf diese Herausforderungen zu reagieren. Die lebensälteren Gefangenen werden hier möglichst altersgerecht unter wohngruppenähnlichen Bedingungen untergebracht und behandelt, ohne sie komplett zu separieren.

Zugangsvoraussetzungen

In die Abteilung für lebensältere Gefangene werden hauptsächlich Gefangene aufgenommen, die das 62. Lebensjahr überschritten haben. Grundsätzlich werden in dieser Abteilung nur lebensältere Strafgefangene aufgenommen, die gemeinschaftsfähig sind, bei denen von einem geringen intramuralen Gewaltpotential ausgegangen werden kann und die nicht mit Sicherungsmaßnahmen belegt sind. Stark pflegebedürftige und erheblich psychisch auffällige ältere Gefangene können in anderen spezialisierten Vollzugseinrichtungen besser versorgt werden.

Hilfs-undBehandlungsangebotederAbteilung

Im Strafvollzug wird grundsätzlich im multiprofessionellen Team gearbeitet. Die unterschiedlichen Professionen bringen unterschiedliche Schwerpunkte und Blickwinkel in die Arbeit mit den älteren Menschen ein.

Arbeit und Beschäftigung:
Ein Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ist bei älteren Gefangenen oft nicht mehr zu erreichen. Trotzdem sind ältere Gefangene bis zu ihrem 65. Lebensjahr zur Arbeit verpflichtet. Tatsächlich geht aber die Beschäftigungsquote mit zunehmendem Alter eher zurück, weil jüngeren Gefangenen der Vortritt gelassen wird. Da Arbeit und Beschäftigung von den meisten Menschen als lebenssinnstiftend und tagesstrukturierend erlebt werden, wird den lebensälteren Gefangenen in der JVA Detmold eine sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeit angeboten. Die Anforderungen werden dabei auf die Möglichkeiten der älteren Gefangenen angepasst (Pensum und Pausen).

Freizeit:
Die Gefangenen der Lebensälterenabteilung können an verschiedenen altersspezifischen Freizeitmaßnahmen teilnehmen. Das Freizeitangebot für die lebensälteren Gefangenen umfasst zum Beispiel: Badminton, Softtennis, Funktionsgymnastik, Tischtennis, Darts, Kicker, Billard, Schach, Backgammon, Gesellschaftsspiele, Kreativ-Gruppe, Kochgruppen, Angelgruppe und Spaziergängergruppe. Psychologische Angebote sind: Neben der standardmäßig durchzuführenden Diagnostik und Prognostik im Strafvollzug müssen insbesondere in Hinblick auf die lebensälteren Gefangenen Schwerpunkte auf die Erfassung von Demenzen und anderen geriatrischen Störungen gelegt werden. Dazu ist eine enge Zusammenarbeit mit einem Konsiliarpsychiater erforderlich. Der psychologische Dienst arbeitet rückfallpräventiv, indem die älteren Gefangenen für die Teilnahme an delikt- und störungsspezifischen Therapie- und Behandlungsangeboten motiviert werden und bietet einzelfallorientierte Entwicklungsberatung an.

Medizinischer Dienst und Suchtberatung:
Gesundheit nimmt bei älteren Menschen einen immer höheren Stellenwert ein. Die verfügbare Lebenszeit ist nicht mehr unendlich und ältere Menschen leiden vermehrt an hronischen und alterstypischen Erkrankungen, wie degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates sowie inneren Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen (Wirbelsäulenschäden,Gelenkverschleiß,Muskelschwund,Herzkreislauferkrankungen,Gicht, Diabetes und unterschiedliche Tumore). Deshalb kooperiert der medizinische Dienst der JVA Detmold eng mit anderen spezialisierten Justizvollzugseinrichtungen (Justizvollzugskrankenhaus und Pflegeabteilung). Ein Schwerpunkt wird auf unterschiedliche Kostformen und auf Physiotherapie (Funktionstraining, Gymnastik, Entspannungstraining, Rückenschule, Körperwahrnehmung, Aktivierung u.v.m.) gelegt. Suchtmedizinisch ist bei älteren Gefangenen besonders Alkoholabhängigkeit zu nennen. Es werden suchtpräventive Maßnahmen, Begleitung im Rahmen der Substitution und Therapievermittlung angeboten.

Seelsorgerische Angebote:
Alle Gefangenen haben Anspruch auf seelsorgliche Betreuung, unabhängig von ihren kirchlichen Bindungen oder religiösen Anschauungen. Die Seelsorger wenden sich im Rahmen ihres seelsorglichen Auftrags in ökumenischer Zusammenarbeit nicht nur den Gefangenen ihrer jeweiligen Konfession zu, sondern arbeiten auch konfessionsübergreifend. Angeboten werden Gottesdienste, seelsorgliche Einzel- und Gruppengespräche, religiöse Gruppenveranstaltungen und auch die Begleitung sowie Beratung von Angehörigen und Mitbetroffenen. Darüber hinaus pflegen die Seelsorger den Kontakt mit dem örtlichen »Freundeskreis für Gefängnisseelsorge e.V .«, mit der freien und insbesondere mit der kirchlichen Straffälligenhilfe (Schwarzes Kreuz, Verein für Bewährungs- und Straffälligenhilfe etc.). Die Seelsorger gewinnen und begleiten ehrenamtliche MitarbeiterInnen für die Gefängnisseelsorge und leisten Öffentlichkeitsarbeit, indem sie über den gesellschaftlichen Umgang mit straffällig gewordenen Menschen und das christliche Menschenbild informieren.

Entlassungsvorbereitung:
Rückfallpräventiv haben Entlassungsvorbereitungen eine große Bedeutung. Eine ganzheitliche Betreuung beinhaltet neben einer passenden Unterkunft auch die Kontaktpflege zu Angehörigen. Wenn keine tragfähigen Beziehungen mehr vorhanden sind, was häufig vorkommt, ist die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft oder in einem Heim notwendig. Dann wird es elementar wichtig, dass tragfähige soziale Beziehungen neu geknüpft werden, um sich letztlich einen neuen Bezugs- und Lebensmittelpunkt zu schaffen. Im Entlassungsfall müssen daher hinsichtlich der Kostenfrage rechtzeitig entsprechende Vorbereitungen getroffen werden. Wenn auf Altersheime zurückgegriffen werden muss, stellt sich die Situation als besonders schwierig dar. Im Zuge der demografischen Entwicklung sind diese Häuser häufig überbelegt und Aufnahmen müssen frühzeitig geplant werden, sonst hätten die Haftentlassenen kaum eine Chance dort unterzukommen.

Vernetzung mit anderen Institutionen und Personen:
Die Bewältigung der komplexen Aufgaben einer Abteilung für lebensältere Gefangene ist ohne Mitwirkung engagierter Personen und Institutionen außerhalb des Vollzuges nicht denkbar. Auf diese Vernetzung wird deshalb besonderer Wert gelegt. Kontakte werden unter anderem zu engagierten ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Anstaltsbeirat, dem Verein für Straffälligenhilfe e.V ., unterschiedlichen Medien, den AAGruppe(n) mit den beteiligten Personen bzw. Institutionen, spezifisch ausgerichteten unterschiedlichen Gesprächskreisen, Einrichtungen des Betreuten Wohnens, Altenheimen, kirchlichen Einrichtungen und Angeboten unterhalten. Das Projekt Kochen 5+5 (fünf Menschen aus dem Vollzug und fünf Ehrenamtliche kochen gemeinsam) wurde vom anstaltsinternen katholischen Seelsorger initiiert und bereits mit dem Pauline-von-Mallinckrodt-Preis der Caritasstiftung Paderborn gewürdigt.

Fazit

Zwischen Anstaltsklima und Rückfallgefährdung besteht ein direkter Zusammenhang. Dabei spielt insbesondere die Kommunikation mit den Gefangenen, das Erkennen von ihren Sorgen und Nöten und damit der menschliche Umgang des Personals mit den Insassen eine wichtige Rolle. Die Gründung einer Abteilung für lebensältere Gefangene kann in diesem Zusammenhang als Erfolg bezeichnet werden. Das Team der Abteilung steht immer wieder vor neuen Herausforderungen und auch die Konzeption wird in regelmäßigen Abständen überarbeitet.

Literatur

Erikson EH (1964) Identität und Lebenszyklus: 3 Aufsätze. Frankfurt am Main (Suhrkamp).
Fichte G (2007) Strafvollzug an älteren Menschen – ein Plädoyer für eine eigene Vollzugsform. Kriminalpädagogische Praxis 45: 33–36.
Görgen T (2007) Ältere und hochaltrige Gefangene – Herausforderung (und Entwicklungschance) für den Strafvollzug. Kriminalpädagogische Praxis 45: 5–12.
Mößle R, Greve W (2007) Gelingendes Altern im Strafvollzug – Überlegungen zu einer scheinbar paradoxen Konstellation. Kriminalpädagogische Praxis 45: 37–42.