14. Jahrgang 2017,

Heft 1: Eine Institution stellt sich vor

Alexis Matzawrakos & Carina Bischof:

Das Geronto Psychiatrische Zentrum in Graz

Das Geronto Psychiatrische Zentrum (GPZ) in Graz wurde 2007 als erste extramurale Anlaufstelle für ältere, psychisch kranke Menschen in Graz eröffnet. Unser Konzept basiert auf der deutschen Psychiatrie-Enquête, die für ein Standardversorgungsgebiet von ca. 200.000–250.000 Einwohnern (Bevölkerung von Graz, 31.12.2014: 276.526, so die »Bevölkerungsstatistik der Landeshauptstadt Graz. Stand: 01.01.2015«) die Einrichtung eines gerontopsychiatrischen Zentrums empfahl.
   Es ist die konsequente Fortsetzung eines im Jahr 2000 gestarteten Modellprojekts zur gerontopsychiatrischen Versorgung in Graz, von dessen mobilen Gerontoteam 2003 im Auftrag der Stadt ein umfassendes Gesamtkonzept zur Versorgung psychisch kranker, älterer Menschen entwickelt wurde (GGPM – Grazer Geronto Psychiatrisches Modell, vgl. Klug et al. 2004). Das GPZ Graz lehnt sich an das erste Geronto Psychiatrische Zentrum in Österreich, das sich in Wien befindet, an.
   Das GPZ ist eine Einrichtung der Gesellschaft zur Förderung Seelischer Gesundheit (GFSG) und ist ein Beratungszentrum für seelische Gesundheit im Alter, das sich sowohl den unmittelbar betroffenen Kranken als auch deren Angehörigen gegenüber verpflichtet fühlt.
   Unser multiprofessionelles Team besteht aus einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, einer Sozialarbeiterin, einer Diplomierten Psychiatrischen Gesundheits- und Krankenschwester (DPGKS), zwei Klinischen- und Gesundheitspsychologinnen, einer Sekretärin und einer Juristin. Insgesamt handelt es sich um 3,68 Vollzeitstellen (38 Std. pro Woche).

Leitbild – Altersbild – allgemeine Grundsätze

Das Team des GPZ fühlt sich einem speziellen Altersbild, dem Prinzip der Niederschwelligkeit, dem Erhalt der Häuslichkeit, der Verbesserung der Lebensqualität und seinen Fördergebern der öffentlichen Hand gegenüber verpflichtet.
   Respekt vor dem gelebten Leben, Achtung der fünf zentralen Kategorien für ein gutes Leben im Alter – Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, Selbstaktualisierung, Mitverantwortung, bewusst angenommene Abhängigkeit (vgl. Kruse 2005) –, Berücksichtigung zunehmender existenzieller und archaischer Ängste im Alter und In-Betracht-Ziehen von Entwicklungsmöglichkeiten bis zum Ende des Lebens gehören zum selbstverständlichen Umgang mit älteren Menschen. Gleichzeitig ist die Achtung derselben »Geheimnis unseres Erfolges« und unseres guten Zugangs zu den Älteren unter Schaffung eines Klimas, in dem Hilfe gerne angenommen und nicht als Bedrohung (weil Offenbarung von Schwäche) angesehen werden kann.
   Um jedem Hilfesuchenden die Möglichkeit zum Erstkontakt zu geben, achten wir Prinzipien der Niederschwelligkeit wie Kostenlosigkeit, Vertraulichkeit und Anonymität. Wir machen aus denselben Überlegungen heraus Hausbesuche in großem Ausmaß und benötigen keinen Überweisungsschein von einem Arzt.

Das Angebot des GPZ

Das Angebot des GPZ wendet sich an Menschen über 65 Jahre (bei Demenzverdacht auch unter 65 Jahre), die aufgrund ihrer alterspsychiatrischen Problemsituation an erheblichen Einschränkungen in der Lebensqualität leiden und nicht in Institutionen leben (stationär in einem Krankenhaus bzw. untergebracht in einem Heim oder in einem Betreuten Wohnen). Lebensqualität und Wohlbefinden können bedroht sein als Folge von Verwirrtheitszuständen, Depression, Wahnerkrankungen, dementiellem Abbau, Sinn- und Realitätsverlusten, wenn das Leben in der häuslichen Umgebung aus diesen Gründen nicht mehr alleine bewältigt werden kann, Selbst- oder Fremdgefährdung gegeben ist oder Vereinsamung droht. Es ist dann unsere Aufgabe, eine dementsprechende Hilfe zur Stabilisierung zu organisieren und das soziale Umfeld (Angehörige, NachbarInnen, FreundInnen), zu entlasten. Eine große Herausforderung an uns ist auch gegeben, weil der benötigte Hilfebedarf nicht immer erkannt wird. Das Angebot des GPZ gilt gleichermaßen für die betreuenden Angehörigen!
   Das Case Management des GPZ umfasst Erstabklärung mittels »biopsychosozialem Blick«, das gerontopsychiatrische Basisassessement, eine psychiatrisch-neurologische Abklärung durch den Facharzt, welche mit den psychosozialen Erhebungen in Beziehung gesetzt wird, interne Fallkonferenzen (Teambesprechungen) zur Festlegung der weiteren Vorgehensweise, eine fallspezifische Hilfeplanerstellung und bei komplexen Fällen Helferkonferenzen. Insgesamt kann die Abklärung einen bis mehrere Termine in Anspruch nehmen. Insbesondere bei Demenzerkrankungen werden erneute Kontrolltermine alle sechs Monate angeboten. Das GPZ bleibt auch nach der Abklärung Ansprechpartner für Betroffene, Angehörige und HelferInnen, besonders bei neuerlicher Änderung der bestehenden Situation. Seit 2011 bieten wir zusätzlich eine Rechtsberatung in unseren Räumlichkeiten an. Dazu gehören Themen wie Vorsorgevollmacht, beachtliche und verbindliche Patientenverfügung, Angehörigenvertretung, Sachwalterschaft als österreichische Spezifika der rechtswirksamen Erledigung von erforderlichen Entscheidungen durch Andere bei psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung, Pflegegeld als österreichisches Spezifikum der Pflegevorsorge sowie Unterstützungen bei Beeinspruchungen vor Gericht.
   Die Stellung der psychosozialen Beratungsstelle GPZ innerhalb der Angebotslandschaft der psychosozialen/sozialpsychiatrischen Versorgung unserer Region (Care Management des GPZ) ist die einer dezentralen Einrichtung mit Zuständigkeit für eine definierte Region, welche in die allgemeinmedizinische Versorgung eingebunden bzw. mit dieser vernetzt wird. Dies erfordert eine interdisziplinäre Orientierung und Sicherstellung der Zusammenarbeit mit anderen vor Ort tätigen KooperationspartnerInnen. Die Vernetzung erfolgt mit allen informell Beteiligten sowie formellen Institutionen. Das GPZ bietet sich für die Betreuungssysteme als zentrale Anlaufstelle mit Rückkopplungsfunktion an, etwa wenn durch eine Veränderung der Situation eine neuerliche Koordination der erforderlichen Hilfsmaßnahmen notwendig wird. Die Vernetzung findet zu allen relevanten Einrichtungen statt. Mit der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie des Landeskrankenhauses Graz Süd-West als sehr häufigem Kooperationspartner erfolgt die Vernetzung bereits strukturiert und fallbezogen. Es ist vereinbart, gegenseitig im konkreten Anlassfall Kontakt aufzunehmen. Öffentlichkeitsarbeit ist zur Sensibilisierung für die Belange psychisch belasteter älterer Mitmenschen und zur Gesundheitsprävention äußerst wichtig. Neben dem Einsatz von eigenem Know-how dient das GPZ für alle beteiligten HelferInnen, Trägerorganisationen und Betroffenen als Forum für Austausch und Wissensvermittlung. In Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen der SeniorInnenarbeit werden immer wieder Veranstaltungen sowie Fortbildungsreihen zu Themen der psychosozialen Betreuung und Versorgung älterer Menschen organisiert.

Alterspsychiatrisches Versorgungsnetz in Graz und Umgebung

In Graz und umliegenden Bezirken in der Steiermark entsteht gerade (unter tatkräftiger Mitwirkung des GPZ) ein sehr buntes alterspsychiatrisches Versorgungsnetz:

  • Abklärung (GPZ)

  • Angehörigenberatung (GPZ)

  • Angehörigengruppe für pflegende Frauen von Demenzerkrankten

  • Beratung (GPZ)

  • Enge Vernetzung mit einer Kombination GPZ/mobilen Betreuung im Bezirk Deutschlandsberg (Trägerverein: Rettet das Kind)

  • Enge Vernetzung mit einer Kombination GPZ/mobilen Betreuung im Bezirk Leibnitz (Trägerverein: GFSG)

  • Unterstützung beim Aufbau einer Kombination GPZ/mobilen Betreuung im Bezirk Feldbach (Trägerverein: Hilfswerk Steiermark) durch Organisation einer Fortbildung und eines Praktikums

  • Enge Zusammenarbeit mit zwei Demenztagesstätten in Graz (Diakonie/Caritas)

  • Enge Zusammenarbeit mit der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie des Landeskrankenhauses Graz Süd-West

  • Enge Zusammenarbeit mit einer Selbsthilfegruppe für Angehörige Demenzerkrankter (SALZ)

  • Konsiliarbetreuung eines Pflegeheims

  • Netzwerk von (für den Altersbereich »handverlesenen«) PsychotherapeutInnen (inklusive in Ausbildung und Supervision)

  • Vermittlung einer mobilen Betreuung: SOPHA (»Sozialpsychiatrische Hilfe im Alter«)

  • Vermittlung von Betreuung durch ins SOPHA-Team eingebettete Ehrenamtliche (PIA, »Partner im Alter«)

  • Zuweisung zu einer Gruppenpsychotherapie für depressive Ältere (»Gespräche Lebenserfahrener«)

  • Zuweisung zu einer (für den Altersbereich spezialisierten) Kunsttherapeutischen Gruppe

  • Zuweisung zur einer psychoanalytischen Gruppe für betreuende Angehörige Demenzerkrankter

Das GPZ ist SOPHA, dem zweiten großen Standbein der GFSG in der alterspsychiatrischen Versorgung von Graz, vorgeschaltet und weist nach entsprechender Abklärung zur mobilen sozialpsychiatrischen Betreuung zu.

Literatur

Klug G, Hermann G, Fuchs-Nieder B, Stipacek A, Wallner B, Götz S, Zapotoczky HG (2004) GGPM – Grazer Geronto Psychiatrisches Modell. Neuropsychiatrie 18/S1.
Kruse A (2005) Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, Selbstaktualisierung, Mitverantwortung, bewusst angenommene Abhängigkeit. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 38: 273–287.