15. Jahrgang 2018,

Heft 2: Eine Institution stellt sich vor

Doris Reinhard:

Beratungsstelle Demenz am Albertinen-Haus Hamburg

»Entlastung für Angehörige – Wohlbefinden für die Erkrankten«, so lautet das Motto der Beratungsstelle Demenz mit ihren Angeboten in Kurzform, ausgehend von der Überzeugung, dass es den Erkrankten nur gut gehen kann, wenn es den Angehörigen gut geht.

Bereits seit 1980, dem Baujahr des Albertinen-Hauses, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie in Hamburg (Lindner 2017), gibt es die Beratungsstelle für Angehörige. Sie war zunächst an die Memory Clinic angegliedert und unterstützte den Sozialdienst der Geriatrie, allein finanziert aus Mitteln des Trägers. Das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) veränderte die Grundlage. Seit 2003 konnten sogenannte »niedrigschwellige Betreuungsangebote für Menschen mit Demenz« gemeinsam von den Pflegeversicherungen und den Bundesländern finanziell gefördert werden. Das Albertinen-Haus stellte bei der zuständigen Behörde in Hamburg den Antrag auf Anerkennung. Dem Antrag wurde stattgegeben, sodass die Beratungsstelle seither im Rahmen dieser Fördermöglichkeit weiterbetrieben wird.

Die Angebote der Beratungsstelle Demenz im Albertinen-Haus

Angeleitete Angehörigengruppen: Für zwei Gruppen für Ehepartner sowie eine Gruppe für Kinder bzw. Enkel von Erkrankten findet einmal im Monat für jeweils zwei Stunden ein Treffen statt. Die Gruppen sind eine wertvolle Plattform für den Erfahrungsaustausch sowohl mit Fachkräften als auch mit anderen Angehörigen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden und daher Verständnis füreinander haben. Durch Teilnahme an diesen angeleiteten Gesprächsrunden, die zum Beispiel auch einer sozialen Isolation vorbeugen, schöpfen viele Angehörige Kraft.

   Demenzkurse für Angehörige und Interessierte in Kleingruppen: In Seminaren von zwölf Stunden lernen Angehörige und andere Interessierte die wichtigsten Grundlagen zum Umgang mit der Krankheit. Gleichzeitig lernen sie, mit den veränderten Verhaltensweisen der Erkrankten »richtig« – im Sinne von wenig belastend – umzugehen. Sie werden gestärkt im Bemühen, sowohl Verständnis für die Erkrankten zu haben als auch gleichzeitig auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten.

   Betreuungsgruppe für demenziell Erkrankte: Einmal wöchentlich wird eine Betreuungsgruppe für Erkrankte angeboten. Drei Stunden stehen für Kaffeetrinken, Klönen, Spaziergehen, Spielen usw. zur Verfügung. Die erkrankten Teilnehmer erfahren Freude und Stärkung ihres Selbstwertgefühls, denn die begleitenden haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden richten ihren Blick auf die noch vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen der demenziell Erkrankten. Während dieser drei Stunden erhalten die betreuenden Angehörigen ein wenig planbare freie Zeit für eigene Interessen oder einfach zum Durchatmen; häufig zum ersten Mal seit Langem.

   Ehrenamtlicher Helferkreis (Hausbesuchsdienst): In Ergänzung zu den Treffen der Betreuungsgruppe, die im Albertinen-Haus stattfinden, gibt es das Angebot des Hausbesuchsdienstes. Nach Absprache mit den Angehörigen kommt ein/e geschulte/r Helfer/in zu den Erkrankten nach Hause. Die Betroffenen sind also weiter in ihrem gewohnten Umfeld und die Angehörigen erhalten eine verlässlich planbare freie Zeit zur eigenen Gestaltung.

   Café Alberti: Vier Mal im Jahr findet das Gemeinschaftsangebot zum geselligen Beisammensein bei Kaffee und Kuchen mit beschwingter Musik und Tanz im Albertinen-Haus statt. Musik spricht alle Menschen an, und das Tanzen war ehemals für viele Kranke eine vertraute Bewegung. Das Zutrauen in das eigene Können fehlt jetzt allerdings oft. Die Freude, wenn es gelingt, das Tanzen wiederzubeleben, ist auf allen Seiten umso größer. Die Teilnahme gemeinsam mit betreuenden Angehörigen und/oder Freunden kann auch zum Abbau von Spannungen aus dem häuslichen Alltag beitragen.

   Vortragsreihe »Demenz geht uns alle an«: Jeweils im Winterhalbjahr werden einmal pro Monat sechs Abendveranstaltungen angeboten, in denen verschiedene Fachleute das Thema Demenz, seine Auswirkungen, Umgangsmöglichkeiten, die verschiedenen Aspekte und Facetten der Krankheit usw. von unterschiedlichen Seiten beleuchten und darüber informieren. Im Anschluss an die Vorträge ist jeweils Zeit zum Gespräch mit den Fachreferenten.

   Die Mehrzahl der Menschen mit Demenz wird zu Hause in den eigenen vier Wänden betreut und versorgt – irgendwann eine Aufgabe rund um die Uhr. Sowohl unsere Erfahrung als auch Erfahrungen anderer, ähnlicher Einrichtungen zeigen, dass pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz erheblich mehr psychische und physische Probleme haben als andere pflegende Angehörige.

   Psychosoziale Beratung: Ein erster wichtiger Schritt zur Entlastung ist das persönliche Gespräch. Angehörige erhalten Informationen zu allen Fragen rund um das Thema Demenz, zum Umgang mit den Erkrankten, zu Entlastungs- und Unterstützungsangeboten sowie zu weiteren Hilfsmöglichkeiten. Ihre Sorgen und Ängste finden ein offenes Ohr. Auch Menschen mit der Diagnose Demenz in einem frühen Stadium oder Menschen, die befürchten, an einer Demenz erkrankt zu sein, nehmen das Beratungsangebot an. Sowohl Einzel- als auch Familiengespräche werden angeboten. Bei kaum einer anderen Erkrankung sind die Familie und das unmittelbare Umfeld von der Erkrankung so stark mitbetroffen.

Wo und wie spielt die Angst in der Beratung eine Rolle?

Das Thema Angst begleitet unsere Arbeit wie ein roter Faden. Wenn wir zum Beispiel durch einen Informationsstand in der Öffentlichkeit über die Arbeit informieren, erleben wir sehr unterschiedliche Reaktionen: Manche Passanten wollen gar keinen Kontakt mit dem Thema haben und gehen schnell vorbei. Andere lassen sich zu einem Kommentar hinreißen wie »Wenn ich Demenz bekomme, dann weiß ich, was ich zu tun habe: Ich gebe mir die Kugel«. Zugegeben, das sind zwei extreme Beispiele, die uns jedoch häufig begegnen. Sie spiegeln die Angst der Menschen vor dem wider, was sie bisher über Demenz wissen.

Die in der Gesellschaft verankerte Angst spiegelt sich auch in einer Umfrage bei Senioren im Hamburger Bezirk Eimsbüttel aus dem Jahr 2012 wider; auf die Frage, welche Gedanken ihnen Sorge bereiten, wenn sie an ihre Zukunft denken, lauteten die häufigsten Antworten: auf fremde Hilfe angewiesen sein (78,3%); gesundheitliche Probleme (71,5%) sowie Demenz (52,4%) (Mehrfachnennungen waren möglich; siehe zur Umfrage Dapp et al. 2013, 40). Die Angst ist teilweise darin begründet, dass es zumindest bei der größten Gruppe der Demenzen, der Alzheimer Demenz, noch immer keine Heilungschancen gibt. Niemand will an Demenz erkranken, und Kinder, deren Elternteil an einer Demenz leidet, fragen voller Angst, ob Demenz vererbbar sei und sie auch erkranken werden.

   Die Angst zeigt sich in verschiedenen Formen, so zum Beispiel in den folgenden:

  • Die Ahnung, dass »etwas mit mir nicht stimmt«, besteht oft schon lange, aber es braucht Zeit und viel Mut, sich einer Diagnosestellung zu unterziehen. Die unangenehme Wahrheit möchte niemand gern hören.

  • Die Angst vor dem zunehmenden Verlust der kognitiven Fähigkeiten ist groß, Angst vor Ausgrenzung, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, dem Verlust der sozialen Stellung, der Autonomie, Angst vor dem Verlassenwerden, vor dem Verlust der Achtung und Liebe der Familie, vor Beschämung usw. Diese Ängste können zu depressiven Verstimmungen, zu Trauer, Wut und anderen emotionalen Reaktionen führen.

  • Die meisten Ängste haben die Ehepartner. Sie haben nicht nur mit den Ängsten des Erkrankten zu tun – sie haben auch eigene: »Was kommt noch alles auf uns zu?«, »Wie schaffe ich das« bzw. »Schaffen wir das überhaupt?« Diverse Fragen und das Wahrnehmen der zunehmenden kognitiven Leistungseinschränkungen beim erkrankten Ehepartner sowie das Abnehmen der Persönlichkeit lösen angstbesetzte starke Emotionen aus: Schmerz, Trauer, Verlust, Einsamkeit. Es handelt sich um Fragen wie »Was, wenn er/sie mich nicht mehr als den/die Ehepartner/in erkennt? Was ist, wenn er/sie aggressiv wird? Wenn er/sie die Wohnung nicht mehr findet? Wie kann ich mit den Ängsten des Erkrankten umgehen? Was ist, wenn ich selber krank werde? Ich habe versprochen, sie/ihn nicht ins Heim zu geben!«; das schlechte Gewissen als »mahnender Zeigefinger« und gleichartige Faktoren entfalten eine ähnliche Wirkung.
    Diese Mischung und Häufung von Ängsten hatte bei einigen der von uns betreuten Angehörigen zuvor schon zu einem Suizidversuch geführt. Manche ertränken ihre Sorgen abends im Alkohol.

  • Für Kinder von Erkrankten ist die zunehmende Veränderung der Rollen ein großes, zumeist angstbesetztes Thema. Was dürfen Kinder ihren Eltern sagen oder von ihnen verlangen? Sollen sie auf die Abgabe des Führerscheins drängen? Dürfen sie die Eltern zwingen, zum Arzt zu gehen? Verstehen die Eltern das Drängen auf Erstellung einer Vollmacht so, wie es gemeint ist – oder fühlen sie sich bevormundet? Wie weit kann ich als Sohn/Tochter bei drohender Verwahrlosung in die Souveränität meines Elternteils eingreifen? Wie lange muss/kann ich als Sohn/Tochter die Fassade des »kompetenten« Vaters aushalten? Soll ich zur Betreuung des Elternteils meine eigene Berufstätigkeit aufgegeben? Soll/kann der Elternteil in meine eigene Familie aufgenommen werden?

Letztlich ist es zum Abbau der Ängste für Angehörige hilfreich, sich gut zu informieren – und vor allem, sich helfen zu lassen sowie entsprechende Angebote wie zum Beispiel die unserer Beratungsstelle (siehe oben) anzunehmen. Bei den angesprochenen Hilfsmöglichkeiten ist die gesamte Bandbreite zu beachten. Von der begleitenden psychosozialen Betreuung über Informationen zu Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung und zu technischen Hilfsmitteln bis hin zu Tipps zur Anpassung des Wohnumfeldes an die Erkrankung: Die Palette der Unterstützungsangebote ist geeignet, Sicherheit zu vermitteln und Freiräume bzw. die Selbstständigkeit des Erkrankten möglichst lange zu erhalten.

   Letztlich ist das Milieu, die Umgebung, entscheidend für den Erkrankten. Wichtig bleibt aber generell die psychosoziale Unterstützung durch das Umfeld, durch Freunde etc., damit sich die Angehörigen nicht zurückziehen und aus Scham isolieren.

   Ein weiterer Leitgedanke ist die Selbstfürsorge, die als unerlässlich zur guten Bewältigung der Riesenaufgabe zu betrachten ist. Anknüpfend an das eingangs erwähnte Motto der Beratungsstelle heißt es, dass die Angehörigen unterstützt und dazu ermuntert werden sollen, auf sich selbst zu achten, damit sie stabil bleiben, um für zwei sorgen zu können. Dadurch kann das Ziel leichter im Blick bleiben, welches die meisten Paare erstreben: trotz Erkrankung noch lange gemeinsam in den eigenen vier Wänden zu leben. Wir erleben in unserer Arbeit ganz konkret, dass die Ängste der Betroffenen und vor allem die Ängste der Angehörigen im gleichen Maß abnehmen, wie sie Sicherheit durch Information und Unterstützung erlangen.

Fazit

Die Angst von Menschen im Anfangsstadium einer Demenz besteht häufig in der Ungewissheit, was alles auf sie zukommen wird, und in der Sorge, ob und wie sie das alles bewältigen können, ohne der Familie zur Last zu fallen.

   Der Ansatz der Beratungsstelle Demenz am Albertinen-Haus: Es ist hilfreich, die »Vorsorge« – Vollmacht, Testament, Patientenverfügung, eventuell Pflegeversicherung etc. – zu thematisieren. Auch das Aufzeigen des Unterstützungsnetzwerkes mit seinen verschiedenen Möglichkeiten kann zur Angstminderung beitragen. Man kann noch etwas tun und regeln und selbst bestimmen.

   Allein durch die Tatsache einer Diagnose endet das eigene Leben nicht abrupt. Eine frühzeitige Diagnose bietet die Chance, Pläne für die Zukunft zu entwerfen und diese danach nicht auf die lange Bank zu schieben, denn die Handlungsspielräume werden mit fortschreitender Erkrankung zunehmend eingeschränkt.

   Menschen mit Demenz sollen möglichst lange selbstständig am Leben in ihrem Wohnquartier teilhaben. Sie und ihre Angehörigen sollen so angstfrei wie möglich leben können. Nur wer über die Krankheit und deren Auswirkungen informiert ist, kann sensibel und »demenzgerecht« reagieren. Mit ihrer vielfältigen Arbeit leistet die »Beratungsstelle Demenz am Albertinen-Haus« einen Beitrag zur Unterstützung.

Literatur

Dapp U, Jacobsen W, Fischer B (2013) »Aktiv und gesund leben in Eimsbüttel«. Eine Befragung von Seniorinnen und Senioren im Bezirk Hamburg Eimsbüttel 2012 im Auftrag der Gesundheits- und Pflegekonferenz Hamburg Eimsbüttel. Abschlussbericht.

Lindner R (2017) Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie an der Medizinisch- Geriatrischen Klinik Albertinen-Haus in Hamburg. Psychotherapie im Alter 14(3): 343–348.