15. Jahrgang 2018,

Heft 4: Eine Institution stellt sich vor

Rüdiger Krauß-Matlachowski:

Projekt »Psychologische Beratung 60+« der Krisen- und Lebensberatung des Hauses der Volksarbeit e.V. in Frankfurt am Main

Das Haus der Volksarbeit

Der Verein Haus der Volksarbeit e.V. ist aus der 1945 gegründeten »Hauptstelle für Katholische Volksarbeit« hervorgegangen und Teil der Katholischen Stadtkirche Frankfurt am Main. Als ein karitativer gemeinnütziger Verein mit derzeit elf Einrichtungen unterstützen und begleiten dort circa 200 festangestellte MitarbeiterInnen Menschen aller gesellschaftlichen Gruppierungen in Frankfurt und der Region. Neben einer Krisen- und Lebensberatung & Telefonseelsorge finden sich im Verein u.a. auch eine Ehe- und Sexualberatung; eine Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche; Ambulante Hilfen zur Erziehung; Sozialpädagogische Tagesgruppen; Kindertagesstätten und ein Zentrum Familie. Das hier vorgestellte Projekt »Psychologische Beratung 60+« ist inhaltlich und organisatorisch an die Krisen- und Lebensberatung des Hauses angegliedert.

Vorgeschichte des Projekts »Psychologische Beratung 60+«

Bereits seit einigen Jahren geht man in der Krisen- und Lebensberatung des Hauses der Volksarbeit e.V. der Fragestellung nach, welche (krisenhaften) Themen alte und ältere Menschen beschäftigen, und aus welchen Gründen für diese in der Stadt Frankfurt zwar ein differenziertes Angebot von Sozialberatung, Pflegeberatung und krankenkassenfinanzierter Psychotherapie existiert, nicht jedoch das einer spezifischen »psychologischen Beratung«. In Gesprächen mit ExpertInnen zu Fragestellungen des Alters bzw. des Älterwerdens wurde zum einen deutlich, dass ein solches »psychologisches Beratungsangebot« auch in anderen Städten kaum vorhanden ist. Zum anderen betonten die jeweiligen GesprächspartnerInnen die aus ihrer Sicht dringende Notwendigkeit, alten und älteren Menschen ein entsprechendes Angebot zu machen. Aus diesem Grund wurde nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht, um im Rahmen eines Innovationsprojektes das Angebot der »Psychologischen Beratung 60+« entwickeln und evaluieren zu können. Nach langer Suche ermöglichte das Bistum Limburg durch fachliche und finanzielle Förderung die Durchführung des Projektes.

Rahmenbedingungen des Projekts

Das Projekt erstreckt sich über den Zeitraum von September 2016 bis August 2019 und beinhaltet eine 50%-Projektstelle; seit Januar 2018 ist zusätzlich eine freie Mitarbeiterin mit circa sechs Wochenstunden im Projekt tätig. Durch die erwähnte Anbindung an die Krisen- und Lebensberatung wird ein enger fachlicher Austausch gewährleistet. Dem Projekt steht ein eigener Beratungsraum im Flur der Krisen- und Lebensberatung zur Verfügung; durch die Lage im Erdgeschoss sind sowohl Barrierefreiheit als auch Erreichbarkeit gewährleistet.

Angebot des Projekts

Das Projekt bietet Menschen ab 60 Jahren sowie deren Angehörigen psychologische bzw. »psychotherapeutisch fundierte Beratung« an. Gedacht ist dabei an Menschen, die sich mit den Themen und Problemen des Älterwerdens und Alters beschäftigen und darüber mit anderen ins Gespräch kommen möchten. Die Beratung kann im Einzel-, Paar- oder Familiensetting erfolgen und beginnt jeweils mit einem klärenden Gespräch. Dieses dient der Orientierung, welche Fragestellungen und Schwierigkeiten die Betroffenen beschäftigen, und ermöglicht eine erste Vereinbarung über den weiteren Beratungsverlauf. An das erste Gespräch kann sich dann bei Bedarf eine weitergehende Beratung im Umfang von ein bis circa 25 Sitzungen anschließen. Sowohl die Anzahl der Sitzungen als auch die Sitzungsdauer orientieren sich an den Bedarfen und Möglichkeiten der Ratsuchenden. Konkret dauert eine Sitzung 60 bis 70 Minuten und findet im Abstand von ein bis drei Wochen statt. Für gewöhnlich wird die Beratung in den Räumlichkeiten des Hauses der Volksarbeit e.V. durchgeführt, allerdings sind in Ausnahmefällen auch telefonische Beratungen und Hausbesuche bei den Ratsuchenden möglich. Aktuell finden in zwei Fällen telefonische Beratungen und in drei Fällen Hausbesuche statt, zwei davon in stationären Wohn- bzw. Pflegeeinrichtungen.

Aufbau des Projekts

In der ersten Phase des Projektes (September 2016 bis ca. Januar 2017) ging es zunächst um eine Orientierung, welche Themen von zentraler Bedeutung für die psychologische Beratung von Menschen der Zielgruppe 60+ sind. Neben einer Internet- und Literaturrecherche begann auch der Austausch bzw. die Vernetzung des Projektes mit der in Frankfurt und Umgebung bestehenden Landschaft der Altenhilfe. Es wurden unter anderem Kontakte geknüpft mit Fachstellen und ExpertInnen aus dem Bistum Limburg, der Stadtkirche Frankfurt, der Stadt Frankfurt, freien Trägern der Altenhilfe, der Universität Frankfurt und anderen mehr. Mit diesen Kontakten einher ging bzw. geht ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit, mit deren Hilfe das Angebot des Projektes bei Multiplikatoren und der Zielgruppe selbst vorgestellt und bekannt gemacht wurde und wird. Außerdem wurde ein eigener Flyer erstellt und das Angebot auf der Homepage des Vereins veröffentlicht.
   Die derzeit laufende zweite Phase (Dauer ca. zwei bis zweieinhalb Jahre) stellt die Beratungsarbeit und deren fachliche Weiterentwicklung in den Mittelpunkt. Dabei werden – wie bereits beschrieben – Frauen, Männer und Paare im Alter von 60+ bzw. deren Familienangehörige vor allem rund um Schwierigkeiten und Krisen, die sich bei der Gestaltung von Lebensübergängen entwickeln können, beraten. Die Beratungsarbeit wird fortlaufend mithilfe von Supervision, Intervision und im Rahmen einer internen Arbeitsgruppe evaluiert. Fachliche Unterstützung erfährt das Projekt durch das Institut für Alterspsychotherapie und Angewandte Gerontologie in Marburg (vertreten durch Frau Dipl.-Psych. Christiane Schrader und Herrn Prof. Dr. phil. Meinolf Peters).
   In der dritten Phase des Projektes (etwa die letzten sechs Monate) wird es dann um die umfassende Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse aus der Beratungsarbeit gehen. Hierfür besteht schon jetzt eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Arbeitsbereich »Interdisziplinäre Alternswissenschaft« der Goethe-Universität Frankfurt (vertreten durch Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Gisela Zenz und Frau Dr. Tanja Müller, Koordinatorin des Frankfurter Forums für interdisziplinäre Alternsforschung). Aktuell wertet ein Studierender des Instituts für Psychologie (Arbeitseinheit Entwicklungspsychologie, Leitung Frau Seniorprof. Monika Knopf) im Rahmen seiner Bachelorarbeit die soziodemografischen Daten der ersten 40 Beratungsfälle des Projektes aus. Außerdem beschäftigt er sich mit dem »Auslösenden Moment« der Beratung; den von KlientInnen genannten »Anlässen für die Beratung« und den aus Sicht des Beraters identifizierten »Themen«, die in den ersten drei Sitzungen sichtbar wurden. In einer weiteren Forschungsarbeit sollen die bisherigen Beratungsverläufe und die damit verbundenen Ergebnisse bzw. Veränderungen ausgewertet werden. Alle im Projekt gewonnenen Erkenntnisse sollen dann abschließend dabei helfen, erfahrungs- und forschungsgestützte Impulse für eine zukünftige angemessene psychologische Beratung von Menschen der Zielgruppe 60+ zu entwickeln. Damit wird dann auch eine Empfehlung verbunden sein, in welcher Form eine eventuelle Weiterführung und Etablierung des Angebotes »Psychologische Beratung 60+« erfolgen kann.

Inhalte der Beratungsprozesse

Noch ist es zu früh, allgemeingültige Aussagen über die Themen der Zielgruppe 60+ aus den bisherigen Beratungsprozessen des Projektes abzuleiten. Allerdings zeichnet sich schon ab, dass – wie im Vorfeld des Projektes vermutet – KlientInnen dann gezielt das Angebot nachfragen, wenn sie alterstypische Übergänge krisenhaft erleben. Neben dem Übergang vom Beruf in den Ruhestand geht es oft um zunehmende körperliche Beeinträchtigungen und Erkrankungen, den Verlust des Partners oder der Partnerin durch Trennung oder Tod,familiäre Konflikte mit Kindern und Enkeln, die wiederkehrenden und belastenden Erinnerungen an Ereignisse aus der biografischen Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit bzw. Fragen rund um die (sinnhafte) Gestaltung des eigenen Lebens im fortgeschrittenen Lebensalter. Hinzu kommen Krisen ausgelöst unter anderem durch Vereinsamung und die Suche nach (erfüllenden) sozialen Kontakten. Auch finanzielle und materielle Sorgen der KlientInnen spielen häufig eine Rolle, weshalb immer wieder die Überweisung an dafür zuständige Institutionen notwendig wird.

Aktuelle Zahlen

In der Zeit von Januar 2017 bis November 2017 wurden die ersten 40 Fälle im Projekt aufgenommen. Mit fortschreitender Öffentlichkeitsarbeit nahm die Zahl der Anmeldungen deutlich zu. Im Zeitraum von Dezember 2017 bis Juni 2018 erfolgten bereits 46 weitere Anmeldungen. Neben der Tatsache, dass das Projekt in der Zwischenzeit in Frankfurt bekannt geworden ist, sorgten auch Artikel über das Projekt (u.a. in der Kirchenzeitung des Bistums Limburg und der Seniorenzeitschrift der Stadt Frankfurt) für eine deutliche Zunahme von Anmeldungen. Aktuell gehen mehr Anmeldungen ein, als die beiden MitarbeiterInnen übernehmen können, sodass inzwischen eine Warteliste geführt wird.
Das Gros der KlientInnen ist zwischen 60 und 74 Jahre alt. Etwa 10% waren Hochaltrige über 80 Jahre. In einem Fall erfolgte ein Hausbesuch wegen eingeschränkter Mobilität der Klientin, alle anderen waren in der Lage, selbst die Beratungsstelle aufzusuchen.

Setting und Anzahl der Sitzungen

Bis Ende Juni 2018 wurden im Projekt 86 Fälle beraten, von denen circa 50 abgeschlossen sind. Aufgegliedert nach den angebotenen Settings und den daraus resultierenden Beratungssitzungen ergibt sich folgendes Bild (Tab. 1):

Tabelle 1: Setting, Anzahl der Fälle und Sitzungen


Auffallend ist die hohe Verbindlichkeit der Sitzungen: Nur etwas mehr als 5% der angebotenen Sitzungen wurden von KlientInnen abgesagt. Absagegründe waren dabei am häufigsten akute oder chronische Erkrankungen von KlientInnen bzw. deren PartnerInnen. Außerdem wurden als Absagegrund Terminschwierigkeiten benannt, welche nicht selten mit der Koordinierung von Hilfen im häuslichen Umfeld zusammenhingen.

Beratungsdauer

Die Beratungsdauer ist sehr unterschiedlich: Es finden unter anderem Einmalberatungen statt, in denen z.B. die Zuständigkeit bzw. Vorrangigkeit einer anderen Form von Hilfe identifiziert wird (u.a. notwendige fachärztliche Diagnostik/Behandlung bzw. Pflege- oder Sozialberatung). Außerdem werden Kurzzeitberatungsprozesse von bis zu fünf Beratungsstunden durchgeführt, in denen von Beginn an eine Fokussierung auf eine klare Fragestellung möglich ist. Beratungsprozesse mit bis zu zehn Beratungssitzungen erlauben die Vertiefung einzelner Fragestellungen und einige Beratungsprozesse haben auch schon die angedachte Grenze von 25 Sitzungen erreicht.

Zwischenfazit und Ausblick

Nach etwas mehr als der Hälfte der Projektlaufzeit kann man bereits feststellen, dass die hohe Nachfrage nach einer »Psychologischen Beratung 60+« die im Vorfeld vermutete (und betonte) Notwendigkeit eines speziellen Beratungsangebotes für ältere Menschen zu bestätigen scheint. Die diversen Themen der Beratungsprozesse bilden ebenfalls die in den vorab erfolgten Konzeptüberlegungen identifizierten Themen ab und lassen ein Beratungsangebot speziell für ältere Menschen als sinnvoll erscheinen. Im den nun anstehenden nächsten Schritten wird es zum einen darum gehen, erste inhaltliche Schwerpunkte der Beratungen zu identifizieren und die dazu passenden konzeptionellen Überlegungen weiterzuentwickeln. Zum anderen werden schon in den nächsten Monaten Schritte unternommen werden müssen, um über eine mögliche Fortsetzung des Angebotes zu verhandeln. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn diese nachgefragte, notwendige und bereichernde Arbeit auch nach August 2019 fortgesetzt werden könnte.