16. Jahrgang 2019, Heft 1: Eine Institution stellt sich vor

Barbara Keller:

»Musik auf Rädern«

Ambulante Musiktherapie

Der wachsende Bedarf nach einer über die Pflege des Körpers hinausreichenden Behandlung und Begleitung pflegebedürftiger alter Menschen hat dem Berufsfeld der Musiktherapie einen festen Platz in der Altenhilfe gesichert. Zwar werden die Leistungen in der Regel stundenweise und auf Honorarbasis abgerechnet, jedoch haben sich inzwischen viele freiberuflich tätige Musiktherapeuten auf dieses Arbeitsfeld spezialisiert (Muthesius 2007).
   Dieser Idee folgend bringt auch das Unternehmen »Musik auf Rädern« seit 15 Jahren Musiktherapie in Einrichtungen und Privathaushalte – insbesondere dorthin, wo Menschen leben, die nicht in der Lage sind, eine Praxis aufzusuchen. Was als Idee zu einer Diplomarbeit zum Berufsfeld »Musiktherapie mit alten Menschen« begann (Keller 2003), ist inzwischen ein Franchise-Unternehmen mit bundesweit agierenden Standorten und unterschiedlichen Zielgruppen geworden. Die ursprüngliche Idee, Musiktherapie als Pflege ergänzende Leistung in die ambulante Altenpflege zu integrieren, hat sich weiterentwickelt, ausgeweitet und dem Markt angepasst. Die Angebotspalette der »Musik auf Rädern« umfasst inzwischen mehr als 15 verschiedene musiktherapeutische Behandlungskonzepte zu unterschiedlichen Krankheitsbildern und für verschiedene Klientengruppen. Explizit zu nennen sind Angebote für Kinder und Jugendliche (z.B. entwicklungsverzögerte Kinder, krebskranke Kinder), Angebote für behinderte und kranke Menschen (Menschen mit Autismus, Menschen mit Behinderung, Menschen im apallischen Syndrom) und Angebote für alte Menschen (Menschen mit demenzieller Erkrankung, Menschen mit Aphasie, Menschen im Hospiz, Menschen in der häuslichen Alten- und Krankenpflege). Neben den klassischen musiktherapeutischen Angeboten der Einzel- und Gruppenmusiktherapie werden verschiedene dem Bedarf angepasste Veranstaltungen angeboten: offenes Singen, Abendsingen, Seniorenchor, Bandarbeit, Tanztee, Wunschkonzert, »konzert kreativ«, Gestaltung von Jahreszeitenfesten und Gottesdiensten, Beratung und Begleitung von Personal und Angehörigen.
   Indem wir als Musiktherapeuten Institutionen der Altenpflege aufsuchen, kompensieren wir die schwindende Mobilität unserer Klienten. Als ambulant tätige Musiktherapeuten arbeiten wir im stationären Bereich. Dieser Spannungsbogen zwischen ambulant und stationär bildet sich bisweilen als Widerspruch in der alltäglichen Arbeit ab: In gewisser Weise haben wir in den stationären Einrichtungen einen Gaststatus inne, der es uns erlaubt, mehr als andere »people who care« den Blickwinkel der Bewohner einzunehmen – gleichzeitig erleben wir aber nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit und des Alltags. In ähnlicher Weise diskrepant ist der Begriff der »Therapie« im Zusammenhang mit dem Krankheitsbild Demenz. Das unbeeinflussbare Fortschreiten der Krankheit und das in den meisten Fällen nahende Lebensende stellen die grundlegenden Prämissen des Therapiebegriffes und die Erwartungen an eine (psycho-)therapeutische Behandlung infrage (Muthesius et al. 2010). Insbesondere im Hinblick auf die Zielsetzung der therapeutischen Maßnahme muss sich der Behandelnde von der Forderung nach Verbesserung des Gesundheitszustandes gänzlich lösen und sich stattdessen auf den Moment und die Beziehungsgestaltung im Hier und Jetzt konzentrieren (Sonntag 2013). Diesen beiden Gedanken folgend bewege ich mich als Musiktherapeutin in der Institution Seniorenheim also mit dem Selbstverständnis eines Gastes, der »heile Momente« herzustellen versucht.
   Warum funktioniert das Modell »Musik auf Rädern« in dieser Zeit der knappen Kassen? Auch als Musiktherapeuten können wir von der aktuellen gesundheitspolitischen Situation profitieren. Zwar werden allerorts Stellen eingespart und gestrichen, doch rückt damit die Notwendigkeit, Musiktherapie anzubieten, nicht aus dem Blickfeld. Es müssen neue Wege beschritten werden: neue Wege, losgelöst aus der Verankerung der frustrierenden Suche nach offiziellen Kostenträgern. Institutionsleitungen sind – das zeigt die Praxis – in der Lage, andere Möglichkeiten der Finanzierung zu erschließen, wenn sie von dem Angebot überzeugt sind. Diese offenkundige Versorgungslücke im ambulanten Bereich bildet damit eine Nische für die ambulant angebotene Musiktherapie.

Literatur

Keller B (2003) Musik auf Rädern – Ambulante Musiktherapie in der häuslichen Alten- und Krankenpflege. Diplomarbeit Münster (Westfälische Wilhelms-Universität).
Muthesius D (2007) Betreuung mit Musik – Freiberufler als Anbieter niedrigschwelliger Leistungen. In: Sauer P, Wissmann P (Hg) (2007) Niedrigschwellige Hilfen für Familien mit Demenz. Frankfurt am Main (Mabuse) 95–110
Muthesius D, Sonntag J, Warme B, Falk M (2010) Musik – Demenz – Begegnung. Musiktherapie für Menschen mit Demenz. Frankfurt am Main (Mabuse).
Sonntag J (2013) Demenz und Atmosphäre. Musiktherapie als ästhetische Arbeit. Frankfurt am Main (Mabuse)