16. Jahrgang 2019, Heft 2: Eine Institution stellt sich vor
Michaela Obermeier:
Zehn Jahre Bildung für Großeltern und Enkelkinder im Katholischen Bildungswerk Berchtesgardener Land
Das Katholische Bildungswerk Berchtesgardener Land
Das Katholische Bildungswerk Berchtesgadener Land ist seit über 40 Jahren ein führender Bildungsträger für den Landkreis und die Region. Es sorgt für dezentrale Angebote der Erwachsenenbildung in allen Gemeinden des Berchtesgadener Landes. Darüber hinaus finden zu Themen von herausragender Bedeutung überregionale Veranstaltungen (z.B. Studiengänge in Regionalgeschichte oder Theologie) statt. Programmschwerpunkte sind »Sinn und Orientierung« sowie »(Groß-)Eltern und Kinder«.
Vorherrschende Lernform aller Veranstaltungen ist das Lernen in der Gruppe. Wenn möglich, wird ein Gemeinwesenbezug hergestellt. Wissensvermittlung ist nur ein Teil des Bildungsauftrages; die Unterstützung der persönlichen Entfaltung hat ebensolche Bedeutung.
Der Landkreis Berchtesgadener Land ist geprägt durch seine Randlage und seine hohe touristische Attraktivität. Die Bevölkerung hat – relativ zu anderen Regionen in Bayern – ein hohes Durchschnittsalter. Der demografische Wandel zeigt sich im Berchtesgadener Land besonders deutlich: Im Jahr 2014 lag der Anteil der 60- bis 75-Jährigen bei ca. 18,3%, der über 75-Jährigen lag bei 12%. Fast ein Drittel der Bevölkerung des Landkreises ist oder wird bald Rentner/in. Lediglich 16,8% der Einwohner/innen sind minderjährig. Durchschnittlich ist der/die Landkreisbewohner/in 43 Jahre alt. Die Prognose für 2032 geht von 37% über 60-Jähriger aus. Kaufkraft und Beschäftigungsmöglichkeiten sind dagegen unterdurchschnittlich. Diese Gegebenheiten und die so bedingte Lebenslage der Menschen im Berchtesgadener Land schlagen sich sowohl in den Programminhalten als auch in der formalen Gestaltung der Erwachsenenbildung (Ort, Zeit, Preisgestaltung) nieder. So werden z.B. einige Gesundheitskurse am Vormittag oder kulturelle Bildung auch nachmittags angeboten.
Bildung für Großeltern und Enkelkinder
Die klassische Familienbildung der Einrichtung, überwiegend als Elternbildung angelegt, erfuhr 2009 mit einem eigenen Programmangebot für die demografisch immer bedeutendere Generation der Großeltern eine notwendige Erweiterung. Eine gestiegene Lebenserwartung und aktives Altern bei guter Gesundheit haben die gemeinsame Lebenszeit von Großeltern und Enkelkindern deutlich länger werden lassen. Darüber hinaus ist lebenslanges Lernen für Ältere heute erstmals zur Selbstverständlichkeit geworden, während frühere Generationen noch davon ausgingen, dass es hauptsächlich Jüngere seien, die zu lernen hätten. Zugleich sind mehr Familien als je zuvor mobilitätsbedingt multilokal, das heißt, Großeltern und Enkelkinder wohnen nicht mehr in der gleichen Stadt oder Gemeinde, oft nicht einmal mehr im gleichen Landkreis. Und schließlich kommt Großeltern nach wie vor die Rolle von Wertevermittlern zu; sie sichern den »kulturellen roten Faden« im Generationengefüge.
Die Entwicklung von Bildungsveranstaltungen für Großeltern und Enkelkinder mit dem Ziel gemeinsamen Lernens tragen dem Rechnung – sowohl inhaltlich (Programmaktivitäten) als auch vom Format her (Anreise der Großeltern bzw. Kinder im Verhältnis zur Veranstaltungsdauer). Von Anfang an wurde dabei das Konzept des Miteinander-Lernens der Generationen verfolgt. Dies geschah und geschieht sowohl implizit wie explizit: Implizit, weil es sich fast wie in der Familie vollzieht; explizit, weil das jeweilige Lernthema von außen vorgegeben wird, weder Alt noch Jung sozusagen einen »Lernvorsprung« hat. Derartige »intergenerationelle extensionale Lernarrangements« (Franz 2010) sind insbesondere für Ältere und Kinder ideal.
Die einzelnen Veranstaltungsformate
Familientag: 2009 fand der erste Familientag für Großeltern und deren Enkelkinder (vier bis neun Jahre) statt. Mit »Brot – wo kommst du her?« wurde ein niedrigschwelliges Thema gewählt. In der Umsetzung boten Geschichten, Lebensmittelkunde und Backen von sogenanntem »Gebildgebäck« zahlreiche Ansatzpunkte für generationsverbindendes Lernen und Biografieorientierung. Die Form und Methodenwahl ermöglicht es den Teilnehmenden, sowohl für sich als Familie am Programm teilzunehmen, als auch mit den anderen Kindern und Senioren in Austausch zu kommen. Aufgrund guter Resonanz wird die Veranstaltung seither jährlich mit jeweils anderen Themen angeboten und erfolgreich durchgeführt. 2018 griff der zehnte Familientag mit »Weltenbummler – in unserer Welt zuhause« das aktuelle Thema der Migration auf.
Studienreise: Augsburg war das Ziel der ersten zweitägigen Studienreise für Großeltern und Enkelkinder. Dieses in seiner klassischen Ausprägung eher bei Senioren beliebte Format wurde durch den Besuch des Theatermuseums der Augsburger Puppenkiste (mit Vorstellung) sowie des Textil- und Industriemuseums zu einem Ermöglichungsraum gemeinsamen Lernens. Auch hier war in der inhaltlichen Gestaltung (z.B. bei der Auswahl des Führungsthemas) darauf geachtet worden, Anknüpfungspunkte in der Lebenswelt sowohl der Älteren als auch der Kinder anzubieten. Das gemeinsame Übernachten im Familienzimmer war zudem ein weiteres Element zur Stärkung der Großeltern-Kind-Beziehung.
Großeltern-Kinder-Uni: Kinder-Unis sind beliebt und weit verbreitet. Aber gibt es einen klassischen Wissenserwerb, von dem auch die Großeltern, also beide Generationen gleichermaßen, profitieren? Die Großeltern-Kinder-Uni, erstmals 2017 durchgeführt, wählte Themen und Vermittlungsweisen, die weder die einen überforderten noch die anderen langweilten. Die Vorlesungen und Seminare behandelten u.a. die Themen »Müll früher – Müll heute«, »Wie kommt das Böse in die Welt?«, »Chemie in der Küche« oder »Gibt es Wunder wirklich? Immer wieder?«. Wie auch bei der »Sendung mit der Maus« oder den Kinderseiten von Zeitungen wurde Wert auf eine voraussetzungslose, zugleich aber fachlich und didaktisch kompetente Wissensvermittlung gelegt. Bereits bei früheren Veranstaltungen war festgestellt worden, dass sich Ältere – als legitimierte Begleiter/innen der Kinder – bei diesen Veranstaltungen Wissenslücken nachzuholen trauen, die möglicherweise nicht leicht einzugestehen sind. Das Alter der Kinder war mit acht bis zwölf Jahren so festgelegt worden, dass sicheres Lesen als Voraussetzung für den Anspruch an Wissensvermittlung angenommen werden kann. Zugleich lag die Altersgruppe damit noch unterhalb des klassischen Jugendalters, indem andere intergenerationelle Lernarrangements passender wären. Die Teilnehmenden konnten bei der Veranstaltung frei wählen, ob sie sich als Familie oder als Einzelperson bei den Lehrveranstaltungen einschrieben. Auf diese Weise kam es vereinzelt tatsächlich auch zu tendenziellen »Kinder-« bzw. »Großeltern-Seminaren«. Grundsätzlich war aber eine große Bereitschaft erkennbar, sich Lernmethoden auszusetzen, die klassisch nicht zur eigenen Altersgruppe passten. Das heißt: Kinder besuchten Vorlesungen, ebenso wie Omas und Opas in Übungen/Workshops anzutreffen waren.
Kurzprogramme mit regionalen Bildungsinstitutionen: Zusammen mit dem Schülerforschungszentrum, der Berufsfachschule für Holzbildhauerei und dem Nationalpark-Bildungszentrum Haus der Berge (u.a.) werden auch halbtägige Seminare und Workshops durchgeführt, z.B. zu Geologie, Schnitzen oder über Fische. Diese finden als Exkursion bzw. vor Ort in der Institution statt. Dadurch wird einzelnen Familien die Möglichkeit gegeben, diese an sich nichtöffentlichen oder nur im Schulklassenverband zu besichtigenden Einrichtungen mit ihrem Bildungspotenzial zu nutzen.
Entwicklung und Herausforderungen für die Zukunft
Seit der Einführung der ersten Bildungsveranstaltung für Großeltern und Enkelkinder sind zehn Jahre vergangen. Wer als Kind beim Familientag 2009 dabei war, ist heute zwischen 14 und 19 Jahre alt. Manche Großeltern haben mit all ihren Enkelkindern die Angebote miterlebt; konnte die Älteste nicht mehr teilnehmen, rutsche der Jüngste nach. So war manche Familie in den zehn Jahren »Stammgast«, das heißt, es wurde eine hohe Kundenbindung erreicht. Das gilt auch für die langjährigen Sponsoren, ohne die dieses Programm nicht finanzierbar wäre.
Pädagogisch konnte in diesem Zeitraum ein weites Feld gemeinsamen Lernens erprobt werden. Stärkung der Bindung durch Beschäftigung mit Bildungsinhalten, die Alt und Jung gleichermaßen interessieren, ereignete sich durch diese Arrangements gleichermaßen wie kompensatives Wiedererinnern bereits vergessenen Wissens bei den Älteren.
Herausforderung für die Zukunft wird sein, für Jugendliche und Ältere passende Lernarrangements zu finden, will man diese Zielgruppe dauerhaft begleiten. Es kann davon ausgegangen werden, dass Jugendliche stärker ein Bewusstsein für die eigene Generation entwickeln und es dadurch in der Begegnung mit den Älteren durchaus zu »Irritation« und Gefühlen von »Fremdheit« (Franz 2010) kommen kann. Konzepte interkulturellen Lernens scheinen hier für die Weiterentwicklung eine lohnende Anregung.
Literatur
Franz J (2010) Intergenerationelles Lernen ermöglichen. Orientierungen zum Lernen der Generationen in der Erwachsenenbildung. Bielefeld (Bertelsmann).