Menschenrechte im Alter
»The field of human rights psychology is in its infancy« (APA 2016, 58), heißt es 2016 – sieben Jahre nachdem die American Psychological Association (APA) ihr Vision Statement publizierte, in dem sie formuliert, einen Beitrag leisten zu wollen, dass Psychologie zur Förderung von Menschenrechten, Gesundheit, Wohlbefinden und Würde eingesetzt werde (APA 2009). Menschenrechtspsychologie galt lange als ein Thema, das in Krisengebieten stattfindet – dort, wo Krieg herrscht oder Hungersnot, wo Naturkatastrophen die Lebensbedingungen zerstört haben – dort also, ganz weit weg und vor allem: nicht hier. Seit 2020 ist auch Europa – ist Deutschland Krisengebiet. Die Corona-Krise hat uns fest im Griff und in der Krise wird deutlich, dass Menschenrechtsverletzungen im Alter nicht erst seit Krisenbeginn stattfinden.
Schon vor Beginn der Corona-Krise ist zunehmend in den Fokus geraten, dass Menschenrechte im Alter geschützt werden müssen, da ältere Menschen sowohl durch Einschränkungen ihrer Rechte und Freiheiten als auch durch Missstände in der Fürsorge eine vulnerable Gruppe im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen darstellen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang unter anderem Verletzungen des Rechts auf Würde (z.B. durch Missstände in der Pflege), des Rechts auf Freiheit von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (z.B. durch Gewalt gegen ältere Menschen in der Pflege und Familie), des Rechts auf Anerkennung vor dem Recht (z.B. durch Zwangsbehandlung, begründet durch eine Demenzdiagnose oder eine andere psychische Erkrankung), des Rechts auf Freiheit von willkürlichen Eingriffen in das Privatleben (z.B. durch elektronische Überwachung der Gesundheit und Mobilität), des Rechts, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken (z.B. durch Ausschluss vom Wahlrecht aufgrund einer Demenzdiagnose oder einer anderen psychischen Erkrankung), des Rechts auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl gewährleistet (z.B. durch Altersarmut), des Rechts auf Teilhabe am kulturellen Leben (z.B. durch Mobilitätseinbußen).
Obwohl bereits 2012 die UNO-Generalversammlung entschieden hat, dass ein Vorschlag für ein rechtlich verbindliches Dokument zur Stärkung der Menschenrechte im Alter ausgearbeitet werden solle (UN-General Assembly 2012), liegt dieses bislang nicht vor. Noch immer lehnen einige Staaten die Forderung nach einer eigenen Konvention über die Rechte alter Menschen ab. Begründet wird diese Ablehnung insbesondere dadurch, dass es keine Rechte gäbe, die nur für alte Menschen gälten. Bei diesem Argument bleibt jedoch fraglich, inwiefern Menschenrechte, die für alle gleichermaßen gelten, für alte Menschen auch gleichermaßen geschützt werden. Diese Frage hat in der Corona-Pandemie besondere Aktualität erlangt.
Das Themenheft »Menschenrechte« beinhaltet Beiträge im Spannungsfeld von Menschenrechten, Alter und Psyche/Psychotherapie sowie deren Einordnung und Diskussion vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie. Hierbei werden sowohl einzelne Menschenrechte herausgegriffen, als auch Menschenrechte im Allgemeinen in Bezug auf spezielle Problemlagen betrachtet. Zudem werden Konzepte, Projekte und eine Institution vorgestellt, die darauf abzielen, diesbezügliche Missstände zu reduzieren und Lösungsansätze zu bieten.
Literatur
APA (2009) A stronger vision for APA: To keep APA robust during today’s economic turmoil, APA’s Council of Representatives adopts a new vision statement and trims the association’s expenses. Monitor on Psychology 40(4): 68.
APA (2016) What is ›human rights psychology‹? Monitor on Psychology 47(4): 58.
UN-General Assembly (2012) Resolution adopted by the General Assembly on 20 December 2012: 67/139. Towards a comprehensive and integral international legal instrument to promote and protect the rights and dignity of older persons. https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/67/139 (Aufruf 09.11.2020).