Eva Kiesswetter & Dorothee Volkert: Editorial zum Themenheft “Essen und Trinken”

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen

Eine bedarfsgerechte Ernährung stellt in jedem Lebensalter eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden dar, im Krankheitsfall kann sie wesentlich zur Unterstützung der Genesung und Rehabilitation beitragen. Dies gilt insbesondere auch im höheren Lebensalter, wo Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden sehr häufig durch verschiedenste Umstände bedroht oder eingeschränkt sind.
   Aus physiologischer Sicht ist die Deckung des täglichen Bedarfs an Energie und allen lebensnotwendigen Nährstoffen das primäre Ziel der Ernährung, um so die Grundvoraussetzungen für optimale Stoffwechselabläufe und Organfunktionen zu schaffen. Ernährung ist jedoch wesentlich mehr als das. Essen und Trinken bedeuten Lust und Vergnügen und verschaffen uns Genuss, Wohlbefinden und Zufriedenheit, zum Beispiel durch ein Stück feine Schokolade oder ein gutes Glas Wein. Gemeinsame Mahlzeiten ermöglichen zudem Teilhabe, geselliges Miteinander und zwanglosen Austausch über Alltägliches. Die Wahl der Speisen und Getränke vermittelt soziale, religiöse und kulturelle Identität.
   Ernährung ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig geworden. An jeder Ecke lässt sich etwas Ess- oder Trinkbares erwerben und in allen üblichen Informationsmedien werden wir mit entsprechender Werbung und neuesten Ernährungserkenntnissen – nicht selten heilversprechend und widersprüchlich – konfrontiert.
   Da die Ernährung auch für ältere Menschen ein präsentes Thema ist, kommen Psychologen und Psychotherapeuten im beruflichen Alltag auch über die Ernährung mit älteren Menschen ins Gespräch und erfahren viel über persönliche Essensgewohnheiten, besondere Vorlieben oder auch Schwierigkeiten beim Essen und Trinken. Sie haben so die Möglichkeit, Probleme in diesem Bereich frühzeitig zu erkennen, gegebenenfalls auch nachzufragen und hilfreiche Informationen weiterzugeben – vorausgesetzt, sie verfügen selbst über ein gewisses Ernährungsbewusstsein und grundlegendes Wissen in diesem Bereich.
   Das vorliegende Heft ist daher dem Thema Essen und Trinken gewidmet, mit der Absicht, den Blick für die Einfluss- und Unterstützungsmöglichkeiten in diesem Bereich zu schärfen und wissenschaftlich fundierte Informationen diesbezüglich bereitzustellen.
Generell unterscheiden sich die Anforderungen an die Ernährung im Alter gar nicht wesentlich von denen in jüngeren Jahren, sodass auch für ältere Menschen die allgemeinen Grundsätze einer gesundheitsförderlichen Ernährung gelten, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) praxisnah in den zehn Regeln für eine vollwertige Ernährung, im Ernährungskreis und der dreidimensionalen Ernährungspyramide veranschaulicht sind.
   Die wichtigste Altersveränderung in diesem Zusammenhang ist der abnehmende Energiebedarf, sodass im höheren Lebensalter geringere Nahrungsmengen zur Bedarfsdeckung ausreichen und dementsprechend auch der Appetit altersphysiologisch reduziert ist. Durch vielerlei Begleiterscheinungen des (hohen) Alters ist der Appetitverlust jedoch oft übermäßig stark ausgeprägt mit der Folge einer ungenügenden Essmenge und einer Mangelernährung. Daneben macht das nachlassende Durstempfinden ältere Menschen, insbesondere Hochbetagte, anfälliger für eine ungenügende Wasseraufnahme und einen Wassermangel (Dehydrierung). Andererseits nimmt aber auch die Überernährung, mit der Folge von Übergewicht und Adipositas, in den ältesten Bevölkerungsgruppen zu und stellt ein zunehmendes Gesundheitsrisiko dar. In drei Übersichtsarbeiten werden diese zentralen Ernährungsprobleme älterer Menschen mit ihren Ursachen, Folgen und möglichen Gegenmaßnahmen im vorliegenden Themenheft ausführlich dargestellt.
   Sowohl bei der Entstehung als auch bei der Behandlung der genannten Ernährungsprobleme spielen psychische und psychosoziale Faktoren eine große Rolle – Essen ist eben nicht nur die Versorgung des Körpers mit essenziellen Nährstoffen und Energie, sondern hat darüber hinaus wichtige psychische, soziale und kulturelle Funktionen. Auch die Umgebung beim Essen leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, was und wie viel gegessen und getrunken wird. Eine weitere Übersichtsarbeit zeigt anhand diverser Studienergebnisse, dass sich bereits kleine Änderungen der Mahlzeitenumgebung positiv auf das Ernährungsverhalten und das Risiko einer Fehlernährung auswirken können.
   Eine empirische, qualitative Arbeit beschreibt anschließend die Wünsche und Visionen selbstständig lebender älterer Menschen zur Ernährung und ihrer zukünftig möglicherweise notwendigen Versorgung diesbezüglich. Sehr eindrucksvoll zeigen sich hier die bekannten Wünsche nach möglichst langer Selbstständigkeit und vor allem Selbstbestimmtheit sowie nach sozialer Teilhabe auch für den Bereich der Ernährung.
   Ein weiterer Beitrag ist dem äußerst spannenden Praxisprojekt GEniESseR Oberpfalz gewidmet, in dem der Ansatz des Empowerments zum Thema Ernährung erprobt und evaluiert wurde. Demnach können eine aktive Einbindung älterer Menschen und Motivierung zur Selbstgestaltung in der gemeindenahen Gesundheitsförderung helfen, Aktivitäten zu unterschiedlichen Ernährungsbedürfnissen anzustoßen.
   Abschließend wird mit der Vorstellung des Ernährungsalltags einer geriatrischen Krankenhausstation der Bezug zum klinischen Alltag und zur Umsetzung der theoretischen Empfehlungen in der Praxis hergestellt.
   Wir hoffen, mit diesem Themenheft und den gewählten Beiträgen Ihr Interesse am Thema Ernährung zu wecken und Ihre Aufmerksamkeit dafür zu steigern. Wir würden uns auch sehr freuen, wenn es dazu anregt, den interdisziplinären Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen – auf wissenschaftlicher Ebene, insbesondere aber im klinischen Alltag zum Wohle der älteren Patientinnen und Patienten – zu fördern.
   Last but not least möchten wir uns bei allen Autor*innen und Koautor*innen ganz herzlich für ihre Mitwirkung und die sehr angenehme Zusammenarbeit bei der Erstellung dieses Hefts bedanken