Christiane Schrader: Editorial zum Themenheft “Schlaf und Traum”

Schlaf und Traum im Alter, ein längst überfälliges Thema. Zum einen, weil Schlaf und Traum zumeist und nicht nur im Alter getrennt betrachtet und behandelt werden. Der Schlaf im Alter hat einen schlechten Ruf, er ist umgeben von Stereotypen (z.B. »senile Bettflucht«), die die Aussicht auf weniger guten Schlaf im Alter als bedrohliche und vielleicht auch unausweichliche Gegebenheit erscheinen lassen. Obwohl viele auch im Alter gut und nicht weniger schlafen als in früheren Lebensphasen, beschäftigen Schlafstörungen im Alter Hausärzt*innen regelmäßig, und sie sind ein Dauerthema in Alten-und Pflegeheimen. Da fragt selten jemand nach Träumen. Es geht vielmehr um den Schlaf, der möglichst verfügbar sein soll, obwohl das seinem Wesen widerspricht. Denn ob er wirklich gestört ist, kann erst der diagnostische Blick auf das Zusammenspiel des Erlebens und Verhaltens bei Tag und Nacht erkennen lassen. Psychotherapeut*innen interessieren sich dagegen zumeist für Träume, schenken aber wiederum dem Schlaf eher selten Aufmerksamkeit. Umso wichtiger erschien es uns bei der Vorbereitung des Kasseler Symposiums 2021, auf das die meisten Beiträge dieses Hefts zurückgehen, Schlaf und Traum in den Blick zu nehmen, denn sie sind miteinander verwoben.
   Dieses Heft beginnt mit einem Übersichtsartikel, der kulturgeschichtliche und neurobiologische Aspekte berücksichtigt und die wichtigsten Etappen der Traumdeutung seit Freud skizziert, bevor Charakteristika von Schlaf und Traum im Alter erläutert werden (Christiane Schrader). Über den »Schlaf im höheren Lebensalter« und die häufigste Schlafstörung, die Insomnie im Alter, ihre Diagnose, die Schlaf-hygienische und kognitiv-behaviorale Behandlung, berichten zwei auf diesem Gebiet ausgewiesene Experten, Helmut Fronhofen und Geert Mayer. Träume im Alter tragen zwei Psychoanalytiker bei, beide langjährige Autoren eigener Traumtagebücher und Forscher zum Thema: Helmut Luft widmet sich dem »Träumen im Alter« wie immer als aufmerksamer Beobachter seines eigenen Alternsprozesses und eingedenk der großen Rolle, die die Träume für ihn dabei spielen. Ralf Zwiebel, der den Diskurs über Gegenübertragungs-Träume früh in seiner beruflichen Laufbahn angestoßen hat und sich später der unbewussten Psychodynamik des Schlafes und des Rückzugsbedürfnisses des Analytikers bzw. der Analytikerin während seiner/ihrer Arbeit widmete, stellt ebenfalls einen »persönlichen Bericht« darüber zur Verfügung, welche Veränderungen und Themen er beim Träumen und in den Träumen eines alternden Psychoanalytikers feststellen konnte. Gertraud Schlesinger-Kipp führt in ihrem Beitrag die Entwicklungsperspektive von »Träumen im Lebenslauf von Frauen« aus, angereichert mit vielen klinischen Beispielen.
   Ein Gastbeitrag von Bertram von der Stein (Fallvignette zu Chorea Huntington), zwei kritische Zwischenrufe in Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine und ein Bericht über das Modellprojekt »Gemeindeschwesterplus« in Rheinland-Pfalz ergänzen dieses Heft der Psychotherapie im Alter.
Nachdem das Kasseler Symposium 2020 pandemiebedingt online stattgefunden hatte, waren wir froh, das Symposium im Dezember 2021 im Hybridformat durchführen zu können. Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich meiner Kollegin Almuth Sellschopp danken. Wir haben das Thema Schlaf und Traum und diese Veranstaltung gemeinsam entwickelt, vorbereitet sowie Verschiebungen, Absagen und Neuanfänge durchgestanden. Gemeinsam haben wir uns darin unterstützt, weiterzumachen. Leider war diese Arbeit wie auch das Symposium überschattet vom Tod von Hildegard und Hartmut Radebold im September 2021. Wir hatten uns gewünscht und gehofft, beide im Dezember in Kassel treffen zu können. Weil dies nicht mehr möglich war, haben wir auch im Rahmen dieses von Hartmut Radebold mitbegründeten Symposiums Zeit und Raum zum Erinnern und Gedenken an beide ermöglicht. Ihre Stühle in der ersten Reihe blieben leer, wir haben sie vermisst.
   Ich hoffe, wir können Sie, die Leserinnen und Leser, mit diesem Heft davon überzeugen, sowohl dem Schlaf als auch den Träumen Beachtung zu schenken – in verschiedenen Settings. In der Psychotherapie älterer und alter Menschen sollten wir sowohl den beeinträchtigten Schlaf als auch den erholsamen Schlaf im Blick haben – und Träume ohnehin. Gerade der erholsame Schlaf ist auch im Alter eine wichtige Ressource und Ausdruck der Fähigkeit zur inneren Bezogenheit auf gute Objekte und den daraus resultierenden Fähigkeiten zur Selbstregulation und Selbstberuhigung.
   Falls Sie noch kein Traumtagebuch führen – auch wenn Sie sich nicht so häufig an Ihre Träume erinnern können – gönnen Sie sich eines!