Meinolf Peters & Reinhard Lindner: Editorial zum Themenheft
“In memoriam Hartmut Radebold”
Der Tod von Hildegard und Hartmut Radebold liegt nun schon einige Zeit zurück. Er hat uns, die Herausgeber dieses Heftes, die wir beiden beruflich wie persönlich nahestanden, sehr getroffen. Auch ist uns die bewegende Beisetzung im Friedwald in lebhafter Erinnerung und wird es wohl immer bleiben. Wir haben den Tod von Hartmut Radebold, neben Johannes Kipp einer der beiden Gründungsväter dieser Zeitschrift, bereits in einem Nachruf in Heft 1/22 gewürdigt. Nun ist einige Zeit verstrichen, und nach der akuten Trauer beginnt die eigentliche Aufarbeitung eines Verlustes, deren Aufgabe es ist, die Vergangenheit ein Stück in die Gegenwart zu holen, um aus ihr neue Impulse für die Zukunft gewinnen zu können. Der Würdigung der Bedeutung und der Leistungen Hartmut Radebolds soll dieses Heft von PIA, das sich in drei Teile gliedert, gewidmet sein.
Der erste Teil ist zunächst der Person Hartmut Radebolds gewidmet. Er beginnt mit einem Nachruf, den Martin Teising auf dem letztjährigen Symposium »Psychoanalyse und Alter« gehalten hat. Auch diese jährlich in Kassel stattfindende Veranstaltung wurde von Hartmut Radebold ins Leben gerufen. Dann folgt ein Interview zu seinem wohl persönlichsten wissenschaftlichen Thema, den Folgen der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges, das der Spiegel im Jahre 2005 mit ihm geführt hat und das sein Denken unmittelbar vor Augen führt. Dieses Interview drucken wir hier noch einmal nach, auch um ihn selbst zu Wort kommen zu lassen. Der zweite Teil umfasst persönliche Erinnerungen von teils langjährigen Wegbegleitern, Kolleginnen und Kollegen, Freunden und Bekannten, die wir eingeladen haben, etwas über Hildegard und Hartmut Radebold zu schreiben. Diese Sammlung kurzer Beiträge greift auf, was durch den Tod eines Menschen ausgelöst wird, nämlich Erinnerungen an Erlebnisse oder Begebenheiten – seien sie beruflicher oder persönlicher Art –, und führt noch einmal Bilder eines Menschen vor Augen, die sich im Laufe der Zeit geformt haben. Langjährige Beziehungen wachsen ja in privaten und beruflichen Begegnungen und gemeinsamen Erlebnissen, die dann in den persönlichen Erinnerungen erhalten bleiben. Dieses Sich-Erinnern ist Teil der Trauerarbeit und bedeutet für die, die weiterleben, sich ihrer eigenen Geschichte zu vergewissern, sich selbst zu verorten in einer Lebenskontinuität, die Teil unserer Identität ist. Ein solcher Prozess des Durcharbeitens kann auch Verborgenes oder Unbekanntes zutage fördern, und wir sind sicher, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in den kurzen Texten auch für sich Neues entdecken werden.
Der dritte und umfangreichste Teil dieses Heftes von PIA ist dem wissenschaftlichen Werk Hartmut Radebolds gewidmet. Seine Bedeutung ist nicht in erster Linie auf minuziös erhobene empirische Befunde zurückzuführen, sondern eher in seiner Persönlichkeit, seinem Charisma und seinem Engagement begründet. Dieses Engagement zielte immer auf die klinische Praxis und Versorgung älterer Menschen ab und schloss damit auch eine politische Dimension ein, handelt es sich bei Älteren doch um eine gesellschaftliche Gruppe, die trotz eines allmählich sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandels immer noch allzu häufig einem stigmatisierenden und diskriminierenden Umgang ausgesetzt ist, nicht zuletzt auch in der Psychotherapie. Glaubwürdigkeit erlangte diese Haltung durch seine persönliche Geschichte, mit der er sehr offen und transparent umging. Durch diese Mischung aber war er einzigartig und konnte eine nachhaltige Wirkung erzielen. Dies lässt sich in unterschiedlichen Handlungsfeldern nachverfolgen, wie in den fünf Fachbeiträgen dieses Heftes sichtbar wird. Diese zeigen noch einmal die Breite seines Wirkens, die vielleicht auch denen, die ihn kannten und erlebten, nicht gänzlich vertraut sind. Viele haben Hartmut Radebold im Zusammenhang mit den Themen kennengelernt, von denen die größte öffentliche Wirkung ausging, also der Alterspsychotherapie und als Mahner vor Krieg und dessen Folgen, einem Thema, das heute aktueller ist denn je. Einen nicht vorstellbaren erneuten Eroberungskrieg in Europa mitzuerleben ist ihm erspart geblieben. Aber in seinem Werdegang hat er auch die Themen Gerontopsychiatrie und soziale Gerontologie nachhaltig geprägt, was in den beiden Artikeln zu diesen Fachgebieten deutlich wird. Besonders diese Artikel zeichnen wichtige historische Linien nach, die es sich lohnt, wieder mehr ins Bewusstsein zu heben. Dass seine Positionen nicht immer unumstritten waren, wird besonders in dem Beitrag über »gutes Altern« deutlich, in dem die Kontroverse noch einmal nachgezeichnet wird.
Wir hoffen, dass wir mit diesem Heft der Bedeutung Hartmut Radebolds gerecht geworden sind. Wir alle haben viel von ihm gelernt.