Kritischer Zwischenruf zum Themenheft
“Altersfeindlichkeit in meiner inneren und äußeren Welt”
Meinolf Peters (Marburg):
Plädoyer für eine empirische Öffnung der psychodynamischen Alterspsychotherapie
In Heft 1/24, dem Jubiläumsheft von PiA anlässlich des 20-jährigen Geburtstags der Zeitschrift, waren Rückmeldungen zur Entwicklung und Bedeutung der Alternspsychotherapie von Vertretern des Faches und ehemaligen MitstreiterInnen abgedruckt, darunter auch zwei Kommentare von Psychoanalytikern, von Martin Teising und Eike Hinze. Beide kenne ich gut und schätze sie sehr – zusammen gehören wir der Kasseler Arbeitsgruppe »Psychoanalyse und Alter« an. Die Kommentare der beiden haben mich besorgt gestimmt, aber auch irritiert. Sie sehen die Entwicklung von PiA kritisch, u.a. weil psychoanalytische Kasuistiken nur noch selten abgedruckt werden und die Psychoanalyse nicht mehr ausreichend vertreten sei. Dieses Warnsignal sehe ich ebenso, zumal in einer Zeit, in der die Psychoanalyse immer weiter marginalisiert wird, nicht nur, aber auch in der Alterspsychotherapie. Dies war zuletzt bei der Akademie für Gerontopsychiatrie zu beobachten, die bislang schulenübergreifend ausgerichtet war, aber nun eine extreme verhaltenstherapeutische Einengung erfahren hat. Bis dahin teile ich die Sorgen der beiden Kollegen vollauf. Doch gleichzeitig erlebe ich beide Stellungnahmen wie Stimmen aus einer vergangenen Zeit. Warum ist das so?
Eike Hinze, Martin Teising und ich haben lange dem Kreis um Hartmut Radebold (1935–2021) angehört, der zuvor Jahrzehnte die Alterspsychotherapie geprägt hat. Beide Autoren scheinen an dieser Zeit, gewissermaßen der »guten alten Zeit« festzuhalten. Eike Hinze schreibt, dass er sich nicht als Coach oder Helfer für ältere Menschen in schwierigen Lebenssituationen verstehe. Das ist eine bei Psychoanalytikern durchaus verbreitete Position, auch wenn sie auf manch andere befremdlich wirken mag. Aber führt eine solche Position, die Hartmut Radebold nie eingenommen hat, nicht zu einer Selbstmarginalisierung?
Etwas anderes erscheint mir im Hinblick auf eine Marginalisierung noch bedeutsamer, nämlich die Weigerung, sich für die empirische Forschung zu öffnen. Radebolds Auffassung von Wissenschaft knüpfte an das Freud’sche Junktim von »Heilen und Forschen« als zwei Seiten ein und derselben Medaille an, und so hat er es auch etwa in seinem Buch über die »Kriegskinder« gehandhabt (Radebold 2010). Das war auch der Geist, in dem PiA gegründet wurde. Zwar war die Verhaltenstherapie von Beginn an einbezogen, aber die Fallorientierung stand ganz im Vordergrund. Doch es fragt sich, ob immer mehr Falldarstellungen ein Fach auf Dauer weiterbringen. Für einen bestimmten Entwicklungsabschnitt mag ein solches Vorgehen angemessen sein, aber auf Dauer reicht das einfach nicht und wirkt dann immer stärker wie ein Abschottungsmanöver. Eine negative Konsequenz ist etwa, dass bis heute im deutschsprachigen Raum keine Evaluationsstudie zur psychodynamischen Behandlung älterer Patienten vorliegt, was uns immer wieder auf die Füße fällt.
Martin Teising verteidigt nun diese Position mit einigen, wie ich finde, recht populistischen Bemerkungen, so schreibt er:
»… es wird immer wieder so getan, als könne man die Psyche des Patienten wie ein Objekt vermessen. Die Tatsache, dass er in einem Fragebogen sein Kreuz an eine bestimmte Stelle gesetzt hat, sagt nur aus, dass er dieses Kästchen angekreuzt hat, was ja tatsächlich nachweisbar ist, wird aber in der Regel so interpretiert, als sei er tatsächlich z.B. besonders traurig, fröhlich oder was auch immer. Dies ist meines Erachtens ein fatales Missverständnis, das leider das gesamte Forschungsfeld dominiert« (Teising 2024, 22).
Man weiß gar nicht, ob das ernst gemeint ist, oder ob es sich um eine karikaturhafte Zuspitzung handelt.
Einige Überlegungen dazu: Es gibt eine ganze Reihe empirischer und experimenteller Forschungsmethoden sowie unterschiedlichste Erhebungsverfahren, was beispielhaft beim Thema »Theory of Mind«, mit dem ich mich in den vergangenen Jahren intensiv befasst habe, gezeigt werden kann. Henry et al. (2013) führen in ihrer Metaanalyse zur Theory of Mind bei älteren Menschen allein sechs Erhebungsmethoden auf, und keine hat etwas mit Kreuzchen, spricht Fragebögen, zu tun. Und selbst wenn es um Kreuzchen geht, womit ja wohl psychologische Testverfahren und Fragebögen gemeint sind, dann ist doch auf die ausgefeilte Methodik hinzuweisen, die es bei der Entwicklung solcher Verfahren zu berücksichtigen gilt, sowie auf die vielfältigen Strategien der Reliabilitäts- und Validitätsprüfung. Gerade dadurch wird der kritische Blick auf das empirische Prozedere und ein Bewusstsein von der Relativität gewonnener Befunde geschärft, sodass diese auch keineswegs eins-zu-eins interpretiert werden, wie Teising suggeriert. Im Grunde gibt es nach Karl Popper in der empirischen Forschung ja nur die Möglichkeit der Falsifikation, nicht die der Verifikation, d.h. alles ist als vorläufig zu betrachten, und nur in einem kontinuierlichen Forschungsprozess ist es möglich, sich der Realität anzunähern. Bestes Beispiel dafür ist auch hier die Forschung zu Theory of Mind, die sich auf ganz unterschiedlichen empirischen Wegen diesem Phänomen angenähert hat und immer wieder zu dem Ergebnis kam, dass sich diese Fähigkeit bei Älteren verschlechtert. Auf diese Weise hat dieses Ergebnis im Laufe der Zeit eine recht hohe empirische Evidenz gewonnen (Peters u. Schulz 2022). Der Vorteil empirischen Arbeitens besteht ja gerade darin, dass das Vorgehen nachvollziehbar dargestellt wird und somit überprüft werden kann. Jede Operationalisierung macht klar, wie der Autor ein bestimmtes Konzept versteht, was den Geltungsbereich von vornherein einschränkt. Dies unterscheidet sich wohltuend von häufig unscharfen Begrifflichkeiten in psychoanalytischen Arbeiten. Und übrigens: In jeder empirischen Arbeit ist gefordert, die Limitationen zu diskutieren, sich also mit den Defiziten und Grenzen der eigenen Arbeit auseinanderzusetzen; etwas, was in psychoanalytischen Arbeiten keineswegs selbstverständlich ist.
Wöller (2022) schreibt zur Situation der Psychoanalyse, es sei an der Zeit, den Zustand undisziplinierten Theoretisierens und überkreativer Neologistik zu beenden. Genau das lässt sich auch auf die psychoanalytische Alterspsychotherapie beziehen, für die es Zeit wird, sich der gerontologischen Grundlagenforschung zu bedienen[1]. Bezogen auf diese stelle man sich einmal die Entwicklung von hinten betrachtet vor: Mithilfe des gerontologischen Wissens können wir heute das Verhalten und Erleben älterer Menschen schon recht gut beschreiben. Hätte nun eine Haltung wie die, die Teising einnimmt, den Ausschlag gegeben, stünden wir heute bei null, eine geradezu groteske Vorstellung. Die wissenschaftliche Realität belegt, dass auch die verschmähten »Kreuzchen« (dabei sind es gar nicht nur Kreuzchen, das ist ein viel zu enger Blick auf die empirische Forschung) Sinnvolles hervorzubringen vermögen. Dies alles bedeutet keineswegs, kasuistischen Darstellungen ihren Wert abzusprechen, und auch in PiA sollten sie weiterhin ihren Platz haben. Aber es heißt eben auch, dabei nicht stehen zu bleiben, sondern der psychodynamischen Alterspsychotherapie eine empirische Basis zu verschaffen.
Die hier durchscheinende Auseinandersetzung ist nicht neu. Benecke (2014) oder Sandell (2012), zwei der führenden psychodynamischen Psychotherapieforscher, haben die von psychoanalytischer Seite immer wieder vorgetragenen Einwände gegenüber empirischer Forschung überzeugend widerlegt. Dennoch halten sich diese hartnäckig, sodass Sandell (2012) vor einer Spaltung innerhalb der Psychoanalyse gewarnt hat. Vor einer Spaltung in diejenigen, die auf der klinischen Kasuistik als einzigem Zugang zu psychischen Prozessen bestehen, und diejenigen, die auch die empirische Forschung für ein geeignetes Mittel halten, diese Prozesse aufzuhellen. Dieser Konflikt scheint sich auch in der psychodynamischen Alterspsychotherapie widerzuspiegeln. Was ist zu tun? Ich glaube, darauf kann es nur eine Antwort geben, die heißt – und das ist auch Sandells Schlussfolgerung – einen doppelten Blick beizubehalten, d.h. beide Zugangswege anzuerkennen, die dann auch in PiA vertreten sein sollten. Nur wenn wir diese Breite beibehalten, kann die psychodynamische Alterspsychotherapie einer weiteren Marginalisierung entgehen.
Literatur
Benecke C (2014) Die Bedeutung empirischer Forschung für die Psychoanalyse. Forum der Psychoanalyse 30: 55–67.
Henry JD, Phillips LH, Ruffman T, Bailey PE (2013) A meta-analytic review of age differences in theory of mind. Psychology and aging 28(3): 826–839.
Peters M, Schulz H (2022) Theory-of-mind abilities in older patients with common mental disorders – a cross-sectional study, Aging & Mental Health 26(8): 1661–1668, DOI: 10.1080/13607863.2021.1935461
Radebold H (2010) Abwesende Väter und Kriegskindheit. Alter Verletzungen bewältigen. Stuttgart (Klett-Cotta) (Erstauflage 1998).
Sandell R (2012) Über den Wert des doppelten Blicks. Forum der Psychoanalyse 28(2): 165–178.
Teising M (2024) Welche Entwicklung der letzten 20 Jahre halte ich für bedeutsam für die Alterspsychotherapie? Psychotherapie im Alter 21(1): 21–22.
Wöller W (2022) Psychodynamische Psychotherapie. Lehrbuch der ressourcenorientierten Praxis. Stuttgart (Schattauer).
Kontakt
Prof. Dr. phil. Meinolf Peters
Institut für Alterspsychotherapie und Angewandte Gerontologie
Schwanallee 48a
35037 Marburg
E-Mail: info@alterpsychotherapie.de
Replik zu Meinolf Peters »Plädoyer für eine empirische Öffnung der psychodynamischen Alterspsychotherapie«
Lieber Meinolf Peters,
es freut mich, dass meine Kritik an PiA gehört wird. Meinen Beitrag hatte ich als einen Geburtstagsgruß verstanden, verbunden mit einem Wunsch an den Jubilar, die Zeitschrift PiA, eigentlich nicht als Beitrag zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dennoch will ich Dir antworten.
Du teilst Eikes und meine Sorge »vollauf«, dass psychoanalytische Kasuistiken in PiA nur noch selten abgedruckt werden und die Psychoanalyse nicht mehr ausreichend vertreten sei. Allerdings fragst Du auch, ob immer mehr Falldarstellungen ein Fach auf Dauer weiterbringen. Ich meine, dass es auf die Art und Weise der Falldarstellungen ankommt, dazu unten mehr.
Du fragst Dich, ob meine Äußerung zu den »Kreuzchen« ernst gemeint sei oder eine karikaturhafte Zuspitzung ist. Du entscheidest Dich dann offenbar für die erste Variante und schreibst ein »Plädoyer für eine empirische Öffnung der psychodynamischen Alterspsychotherapie«.
Du schreibst: »Beide Autoren (Eike und ich) scheinen an dieser Zeit, gewissermaßen der ›guten alten Zeit‹ festzuhalten.« »Diese Zeit«, auf die Du Dich beziehst, ist in diesem Kontext die von Hartmut Radebold geprägte. Du charakterisierst diese Zeit dann als sich für die empirische psychodynamische Forschung öffnend und erinnerst an das Freud’sche Junktim von Heilen und Forschen. Mein Literaturhinweis verweist auf eine solche Forschungsarbeit, die wir mit Hartmut Radebold gemeinsam im Jahr 1987 veröffentlicht haben. Insofern ist ein Festhalten an dieser guten alten Zeit doch genau in Deinem Sinne.
Indirekt schreibst Du mir als Vertreter des scheinbar doch nicht ganz so guten Alten die Position eines petrifizierten Hinter-der-Couch-Hockers vergangener Zeit zu. Du benötigst diese Zuschreibung als Kontrapunkt für Dein Plädoyer.
Mein Wunsch, den ich geäußert habe, ist der, dass die Person des Psychotherapeuten, der Psychotherapeut als Wirkfaktor in einer interpersonalen Prozessdynamik, auch in der Alterspsychotherapie Berücksichtigung finden sollte. Ich habe geschrieben: »Für die Alterspsychotherapie stellt sich darum immer die Frage, wie die Beziehung zwischen einem älteren Patienten und seinem Therapeuten vom Lebensalter beider den damit verbundenen Erfahrungen beeinflusst.« Psychotherapieforschung müsste demnach Prozessforschung sein und keine Beschreibung des Objektes Patient und seiner »Störung«.
Du beziehst wissenschaftstheoretisch Stellung, allerdings ohne auf die hermeneutischen Aspekte psychoanalytischen Wissenschaftsverständnisses einzugehen, wie Peter Warsitz u. Joachim Küchenhoff es in »Psychoanalyse als Erkenntnistheorie – psychoanalytische Erkenntnisverfahren« beschrieben haben.
Als Beispiel für psychodynamische Forschung verweist Du wiederholt auf die theory of mind (ToM), bei der es ja um einen inneren interpersonellen psychischen Prozess geht. In Deinem Beitrag in PiA 1/24 »Theory of Mind und gesundheitsbezogene Lebensqualität im Alter« wird ToM als »Fähigkeitsdimension« älterer Patienten untersucht, übrigens auch, wenn auch nicht nur, mit Methoden, in denen Kreuzchen verwendet werden. Es geht um eine Beschreibung der Psyche von Patienten, die ich nachvollziehen kann und wertvoll finde. Hier geht es nicht um einen psychotherapeutischen Prozess.
Ich wünsche mir nach wie vor, dass in der Zeitschrift »Psychotherapie im Alter« Psychotherapie als Prozessgeschehen zwischen mindestens zwei Beteiligten untersucht und dargestellt wird, nicht mehr und nicht weniger.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Teising
Literatur
Radebold H, Rassek N, Schlesinger-Kipp G, Teising M (1987) Zur therapeutischen Behandlung älterer Menschen. Erfahrungen aus einer psychiatrischen Institutsambulanz. Freiburg (Lambertus).
Warsitz RP, Küchenhoff J (2015) Psychoanalyse als Erkenntnistheorie – Psychoanalytische Erkenntnisverfahren. Stuttgart (Kohlhammer).
Kontakt
Prof. Dr. Martin Teising
Ludwig Braunstr. 13
36251 Bad Hersfeld
E-Mail: teising@t-online.de
Replik zu Meinolf Peters »Plädoyer für eine empirische Öffnung der psychodynamischen Alterspsychotherapie«
Lieber Meinolf Peters,
in Deinem »Plädoyer für eine empirische Öffnung der psychodynamischen Alterspsychotherapie« kritisierst Du zwei Psychoanalytiker, Martin Teising und mich, die im Heft 1/24 der PiA zu der Frage Stellung genommen hatten: »Welche Entwicklung der letzten 20 Jahre halte ich für bedeutsam für die Alterspsychotherapie?« Du erlebst unser beider Stellungnahmen »wie Stimmen aus einer vergangenen Zeit« und siehst eine »Weigerung, sich für die empirische Forschung zu öffnen«.
Psychotherapeuten und natürlich auch Psychoanalytiker, die in ihrer Praxis ältere Menschen behandeln, sind die Empiriker par excellence, wenn es um die Alterspsychotherapie geht. Jeder Arzt bzw. Therapeut weiß, wie schwierig es ist, Prozesse in der ambulanten therapeutischen Praxis forschend sinnvoll zu erfassen. Die komplexen Studien, die Marianne Leuzinger-Bohleber und ihre Mitarbeiter über psychoanalytische Behandlungen durchgeführt haben bzw. noch durchführen, legen davon Zeugnis ab. Die Ergebnisse vergleichbarer Untersuchungen von psychoanalytischen Behandlungen alter Menschen sollen natürlich ihren Platz in der PiA finden. Wir praktizierenden psychoanalytischen Empiriker würden uns darüber freuen. Wie aber Rolf Sandel in der von Dir zitierten Arbeit sagt (2012, 165), braucht die Psychoanalyse beides, »die systematische und die klinische Forschung«. Er versteht offenbar unter relevanter empirischer Forschung nicht nur die Durchführung von randomisierten Studien. Deshalb würde ich es begrüßen, in der PiA zukünftig auch mehr klinische Beiträge über Psychoanalyse und Alter zu lesen.
Solche Beiträge müssten nicht nur, wie Du meinst, auf Kasuistiken reduziert werden. Hierzu fällt mir auch Deine Bemerkung über die »Stimmen aus einer vergangenen Zeit« ein. In Therapien mit alten Menschen tauchen wir in der Tat in vergangene Zeiten ein, die ein besonderes Einfühlungsvermögen in historische Prozesse erfordern. Du nahmst Anstoß daran, dass ich mich nicht »primär als ein Coach oder Helfer für ältere Menschen in schwierigen Lebenssituationen« erlebe. Meine Erfahrung mit alten Patienten lehrt mich in der Tat, dass im Laufe einer psychoanalytischen Behandlung das anfängliche Hilfe-Ersuchen einer aktiven Auseinandersetzung mit unbewussten Lebensthemen weicht, die zu sich ständig wiederholenden neurotische Wiederholungsschleifen geführt haben.
Als Beispiel einer fruchtbaren empirischen Forschung führst Du die »Theory of Mind (ToM)« an. Ich finde die Ergebnisse in diesem Forschungsbereich und auch diejenigen Deiner Arbeit sehr interessant. Ich frage mich nur, wie relevant sie für die Psychotherapie Älterer sind. Ich denke da eher an Martins Hervorhebung des »Prozessgeschehens zwischen zwei Beteiligten«. Wenn wir drei, Du, Martin und ich, als ältere Analytiker in unseren Praxen älteren Patienten gegenüber sitzen, sind wir damit konfrontiert, dass sich bei uns allen, Analytikern und Patienten, diese Fähigkeit verschlechtert hat, wie Du schreibst. Wie gehen nun alle Beteiligten damit um? Die Stärke der Psychoanalyse besteht gerade darin, solche Wechselspiele im therapeutischen Paar mit all den zugrundeliegenden unbewussten Determinanten zu untersuchen.
Das entwertet überhaupt nicht Deine Untersuchungen über »ToM«. Ich möchte aber darauf hinweisen, wie wünschenswert es wäre, auch regelmäßig Artikel über die psychoanalytische Arbeit mit alten Menschen zu lesen. Dass empirische Forschung sich vieler Methoden bedienen kann, zeigt ein jüngst erschienenes Buch (Tuckett et al., 2024), das sich mit der Beziehungsdynamik in Psychoanalysen befasst und auf den Ergebnissen einer mehr als zwanzigjährigen Untersuchung von mehreren hundert Psychoanalysen sehr unterschiedlicher Analytiker fußt. Ich glaube, auch eine derartige qualitative Forschung ist unverzichtbar, wenn wir psychotherapeutische Prozesse erforschen.
Mit herzlichen Grüßen
Eike Hinze
Literatur
Sandell R (2012) Über den Wert des doppelten Blicks. Forum der Psychoanalyse 28(2):165–178.
Tuckett D, Allison E, Bonard O, Bruns GJ, Christopoulos AL, Diercks M, Hinze E, Linardos M, Sebek M (2024) Knowing What Psychoanalysts Do and Doing What Psychoanalysts Know. Lanham, Boulder, New York, London (Rowman & Littlefield).
Kontakt
Dr. Eike Hinze
Kaiserdamm 9
14057 Berlin
E-Mail: e.f.hinze@t-online.de
[1] Ich selbst arbeite derzeit an einem Buch, dass im kommenden Jahr bei Kohlhammer erscheinen wird, in dem ich genau dies tun werde.