Zum Titelbild von Bertram von der Stein

Bertram von der Stein (Köln)

Das Titelbild zeigt einen älteren Menschen mit Rollator vor einer riesigen Treppe. Dieses Bild ist wirkungsvoll und wird häufig verwendet, um Alter, Behinderung und mangelnde Barrierefreiheit zu illustrieren. Insofern greift es Bekanntes auf, um zu Reflexionen und Assoziationen anzuregen. Das Bild klagt an: Ein hilfloser alter Mensch mit Rollator vor einer unüberwindlichen Treppe, keiner hilft ihm, unterstützende Infrastruktur wie ein Aufzug fehlt. Zur Hilflosigkeit gesellt sich Einsamkeit, die wiederum ohnmächtige Ängste und Aggressionen verstärkt. Ein solcher Teufelskreis wird auch in vielen anderen Kontexten als bedenkliche Tendenz in unserer Gesellschaft beschrieben, die ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben verhindern.

Egoismus in einer singularisierten Gesellschaft stellt die Sorge für sich selbst ohne Rücksicht auf Vorhergehende und Nachfolgende in den Vordergrund. In einer an Profit orientierten Gesellschaft werden Lebensphasen ohne optimale Funktionalität, wie Kindheit, Pubertät und Alter, oftmals entwertet. Attraktiv im Hinblick auf sexuelle und ökonomische Aspekte ist das aktive jüngere bis mittlere Lebensalter, das sich heutzutage bis ins frühe Alter ausgeweitet hat. Noch vor nicht allzu langer Zeit erschienen Stellenanzeigen, auch im öffentlichen Dienst, die Bewerber über 45 Jahre ausschlossen. Umso mehr werden Gebrechlichkeit, das Desinteresse und die Entwertung von außen im durch Verluste geprägten sog. Vierten Lebensalter spürbar. Barrieren weisen auf eine Altersfeindlichkeit im Außen hin. Häufige Hindernisse für Ältere sind u.a. unüberwindliche Treppen, Stolperfallen, defekte Aufzüge und Rolltreppen, geschlossene und schlecht erreichbare Toiletten, bedienungsunfreundliche Fahrkartenautomaten und schlecht lesbare oder zu schnell wechselnde Texte auf Anzeigetafeln. Schnell sind die Opfer und die Täter erkannt: Gegen Unterlassungen in Politik und Verwaltung finden sich im günstigen Fall Menschen zusammen, die durch Protest und Aktionen auf Missstände aufmerksam machen. Man denke an Stéphane Hessels Bestseller »Empört Euch« (Hessel 2011). Der engagierte Einsatz dieses hochaltrigen Autors für Menschenrechte und gegen Sozialabbau kann gut auf den feindseligen Umgang mit Älteren bezogen werden.

Aber reicht das Anprangern äußerer Missstände? Wie steht es mit der Internalisierung und Projektion solcher Strukturen, die unsere Einstellung zu uns und unseren Mitmenschen bestimmen? Diese Mechanismen kann man auch auf innere altersfeindliche Tendenzen beziehen: Eigene Ängste vor hohem Alter und Gebrechlichkeit werden auf nicht mehr fitte Alte projiziert, die durch ihre vermeintlich dysfunktionale Lebensweise selbst schuld an ihrer Immobilität sind. Die Fixierung auf optimale Funktionalität des mittleren Lebensalters kann zur autodestruktiven Selbstentwertung führen, die unerbittlich eigene Leistungsrückgänge im Alter brandmarkt. Die aktive und passive Entsolidarisierung von gebrechlichen Älteren, auch in der eigenen Alterskohorte, ist eine verdrängende und abwehrende Reaktion auf sichtbare Funktionseinbußen, die wie ein Menetekel auf Alter, Vergänglichkeit und Tod hinweisen.

Die Treppe, ein eingängiges und häufiges Symbol – oft als Traumsymbol verdichtet – steht für geistige Entwicklung, stufenweise Zunahme an Weisheit, als Weg nach oben, als Himmelsleiter. In umgekehrter Richtung symbolisiert sie die Abnahme an Fähigkeiten und Kraft im Alter und schließlich den Abstieg in die Unterwelt und das Unbewusste. Bezogen auf das Alter ist man schnell beim Erikson’schen Stufenmodell (Erikson 1994; 1998) und bei Überlegungen über Progression und Regression im Alter. Somit symbolisiert die Treppe mit Auf- und Abstiegsmöglichkeiten auch eine Integrationsaufgabe, bei der es gilt, das komplexe Zusammenspiel von einerseits Funktionseinbußen und Rückschritten und andererseits potenzieller persönlicher Reifung im höheren Alter besser zu verstehen. Wann aber wird es altersfeindlich? Vielleicht dann, wenn solche Symbole undifferenziert und vergröbert auf einzelne Individuen angewendet werden: etwa in der Forderung, dass mit hohem Alter Weisheit verbunden sein müsse, um milde und gelassen einen Ausgang aus dem Leben zu finden. Entsprechende Äußerungen von Joan Erikson (1998) zur »Gerotranszendenz« könnten missverstanden werden und Menschen, die sich mit dieser Entwicklung schwer tun, ausgrenzen. Gerade wenn die weise Altersmilde nicht erreicht wird und Verbitterung, Depression und Selbst- und Fremdbeschuldigungen über Misslungenes und verpasste Chancen im Vordergrund stehen oder jemand krampfhaft versucht, sein Alter zu verleugnen, ist es feindselig, diesen Menschen mit besserwisserischer Verachtung zu begegnen. Wenn Menschen im hohen Alter ihr Leben als sinnlos empfinden und sich schwertun, mit Niederlagen und verpassten Chancen milde umzugehen, kann dies soziale Entwertung, Selbstverachtung und Verzweiflung fördern. Deshalb ist es hilfreich, feindselige Einstellungen und Verhaltensweisen sowie Selbstverachtung Älterer zu erkennen. Sie sind gefährlich und können, insbesondere bei verinnerlichten Naziidealen, im Suizid gipfeln (von der Stein 2007). Insbesondere Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen sollten die Konfliktlinien spüren, ohne in aggressives Gegenübertragungsagieren zu verfallen. Dazu sollten Negativklischees über Ältere überwunden werden.

Eine Welt voller Barrieren ist abweisend und altersfeindlich. Hinter der passiven Aggressivität kann Gerontophobie stecken, die die Angst vor der Übermacht der Alten, eigene unbewältigte Elternkonflikte und die Angst vor dem eigenen Altern beinhaltet.

Deshalb gilt es – insbesondere in der Psychotherapie mit Alten – Altersfeindlichkeit als ein inneres und äußeres Konfliktgeschehen zu begreifen und die Konfliktlinien zwischen innerer und äußerer Altersfeindlichkeit bewusst zu machen. Moralismus, grenzenlos demonstrierter Altruismus, ignorante Gedankenlosigkeit und euphemistische Schönfärberei sind sublimierte Formen von Altersfeindlichkeit, die sich bis zum Hass steigern können. Dem kann durch Introspektion und Supervision entgegengewirkt werden. Konkrete Fragen wären: Wie gehe ich mit dem eigenem Alter, mit Vergänglichkeit und Tod um? Welche Konflikte mit Älteren (Eltern, Großeltern, Vorgesetzten etc.) haben mich nachhaltig geprägt? Wie gehe ich mit ungeduldigen und aggressiven Älteren um? Habe ich Verständnis für die oft ambivalente Gefühlslage von Partnern und Kindern älterer Menschen? Habe ich Verständnis für Angehörige von Berufsgruppen, die mit Älteren beschäftigt sind? Kann ich mich in die Situation Älterer hineinversetzen?

Literatur

Erikson EH (1994) Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a.M. (Suhrkamp).

Erikson EH (1998) The life cycle completed. Extended version with new chapters on the ninth stage by Joan M Erikson. New York (Norton).

Hessel S (2011) Empört Euch! Berlin (Ullstein).

von der Stein B (2007) Aggressive alte Männer: Zwischen Persönlichkeitsstörung, Naziideologie, Narzissmus und Identitätsstörung. Psychotherapie im Alter 4(1): 55–68.

Kontakt

Prof. Dr. Bertram von der Stein
Quettinghofstr. 10a
50769 Köln
E-Mai: Dr.von.der.Stein@netcologne.de

Äußere und innere Altersfeindlichkeit zum Themenheft:
“Altersfeindlichkeit in meiner inneren und äußeren Welt”