Zum Titelbild von Markus Hagen, Valentin von der Stein und Bertram von der Stein

Bertram von der Stein (Köln)

Atze Schröder ist mittlerweile eine in die Jahre gekommene Kunstfigur. Auch wir präsentieren im kleinen Kreis eine Kunstfigur. Plakativ virtuelle Figuren sind bildhafte und szenische Verdichtungen von Prägnanztypen (Weber 1904; Lindner 2006), die wiederum Kondensationsprodukte bekannter Phänomene sind. Diese sind meist überindividueller Natur und rühren an existenzielle Grundkonstellationen und Konflikte.

Ein solches existenziell wichtiges Thema ist grob skizziert die Frage nach der Persönlichkeit eines Menschen, deren Modifikationen im Lebenslauf aber auch Irrungen und Wirrungen der Persönlichkeitsentwicklung. Somit ist man thematisch immer wieder mit Idealtypen menschlicher Persönlichkeitsentwicklungen, aber auch dynamischer (Riemann 1961; Kohut 1976) und kategorialer Kriterien (Schneider 1943) für pathologische Entwicklungen konfrontiert, die von Leitbildern einer Epoche und von der Perspektive unterschiedlicher psychodiagnostischer Erkenntnishaltungen geprägt sind.

Die Entstehungsgeschichte des Bildes gibt Aufschluss zum Gegenstand des Themas. Es geht ja um Persönlichkeit, Persönlichkeitstheorien und Persönlichkeitsstörungen im Alter. Ein weites Feld, das bildhaft schlecht einzufangen ist, es sei denn, man versucht, mit einer bildhaften Vereinfachung verschiedene mit dem Betrachtungsgegenstand verbundene Aspekte zu kondensieren. Zunächst wollte ich verschiedene Affektzustände und Reaktionsformen als manuelle Gesten darstellen. Trieb- und Affektschicksale, deren Verarbeitung und Begrenzung hängen eng mit Persönlichkeitsfaktoren zusammen. Mein Schwager Markus Hagen konnte schnell die Brücke zu den allseits bekannten Emojis schlagen und erweiterte den Blick auf moderne Medien. Im Kontext mit Persönlichkeitsentwicklungen wies er auf das im Internet frei zur Verfügung stehende Programm »Aging booth« hin, mit dem man das äußere Erscheinungsbild eines Menschen künstlich altern lassen kann. Im Zusammenhang damit ist, nicht nur an Erikson orientiert, im Hinblick auf das Leitthema Persönlichkeit zu überlegen, wie sich ein Mensch auf seinem Weg durch die eigene Lebenszeit verändert. Vor vielen Jahren übernahm mein Sohn Valentin im Rahmen eines kleinen Theaterstücks die Rolle des Opas. Ihm wurde ein weißer Bart angeklebt und er musste sich, vielleicht etwas inspiriert durch Loriots Opa Hoppenstedt, in die Rolle eines alten Mannes im vierten Lebensalter einfühlen, was ihm mit sechs Jahren intuitiv gut gelungen war. Die Bereitschaft meines Sohnes, sich modellhaft zur Verfügung zu stellen, weist uns auf zwei grundsätzliche Pfeiler jeglicher Psychotherapie hin: sich in die Rolle eines anderen Menschen versetzen zu können und natürlich die eigene Situation zu reflektieren, also Empathie-, Mentalisierungs- und Reflexionsfähigkeit. Aus diesem Verständnis erwachsen immer wieder Leitfragen zum Thema Persönlichkeit, die in jeder Epoche aktualisiert von Neuem zu stellen sind:

–      Was ist an Persönlichkeitsmerkmalen angeboren?

–      Welche Rolle spielen frühe Erfahrungen?

–      Was ist überdauernd und was ist veränderlich, also was sind »States« was sind »Traits«?

–      Was ist identitätsrelevant, d.h. kann sich ein Mensch im Rahmen seiner Persönlichkeitseigenschaften in unterschiedlichen Lebensphasen als dieselbe Person empfinden?

–      Welche psychohistorischen Strömungen prägen Idealbilder von Persönlichkeit und Alter?

–      Wie kann man Menschen mit ihren Persönlichkeitseigenschaften und Zuspitzungen im Alter therapeutisch begleiten?

Literatur

Kohut H (1976) Narzißmus. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).

Lindner R (2006) Suizidale Männer in der psychoanalytisch orientierten Psychotherapie. Eine systematische qualitative Untersuchung. Gießen (Psychosozial-Verlag).

Riemann F (1961) Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. München, Basel (Reinhardt).

Schneider K (1943) Die psychopathischen Persönlichkeiten. Wien (Deuticke).

Weber M (1904) Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: Weber M (Hg) Gesammelte Werke zur Wissenschaftslehre. Tübingen (Mohr) 1983.

Kontakt

Prof. Dr. Bertram von der Stein
Quettinghofstr. 10a
50769 Köln
E-Mai: Dr.von.der.Stein@netcologne.de

Opa Valentin – Eine Kunstfigur. Zum Themenheft
"Persönlichkeitsstörungen: Neue Modelle, neue Therapie?”