Konzept- und fallbezogene Arbeiten zum Themenheft

“35 Jahre deutsche Einheit”

Eike Hinze:

Blühende Landschaften - Gibt es die? (Abstract) (PDF)

Der Ausspruch Helmut Kohls über die »blühenden Landschaften« nach der Wiedervereinigung hat viel Kritik und auch Spott nach sich gezogen. Der Autor stellt dar, wie die Wiedervereinigung nach 45 Jahren auseinanderstrebender Entwicklung eine Herkules-Aufgabe war, für die es kein historisches Vorbild gab. Fehler und Reibungen waren daher unvermeidlich. Mit Fallvignetten aus seiner psychoanalytischen Praxis, zum Teil von recht alten Patienten, zeigt er, wie sehr die Wiedervereinigung eingebettet ist in den Fluss der deutschen Geschichte. Die sich in diesen Vignetten manifestierenden Lebensgeschichten verdeutlichen, dass man sich auch vor dem tabuisierten Vergleich mit 1945 und den massiven Veränderungen nach dem Krieg nicht scheuen sollte. Nach Auffassung des Autors sind »blühenden Landschaften« nicht so sehr ein vielleicht illusorisches Wunschbild als vielmehr die Zukunftsvision eines wiedervereinigten demokratischen Deutschlands.

Jana Bastin:

Rückblick auf die Wendezeit bei älteren Arbeitnehmern zum Ende ihres Erwerbslebens (Abstract) (PDF)

35 Jahre nach dem Mauerfall erwachen Erinnerungen an die Zeit des Umbruchs. Aus anfänglicher Euphorie wurde später Skepsis und auch Unsicherheit. Dies war verbunden mit notwendiger Anpassungsleistung, bei den einen mehr, bei den anderen weniger ausgeprägt. Die Autorin reflektiert die Zeit nach der Wende unter zweierlei Gesichtspunkten: dem der eigenen ostdeutsch geprägten Betrachtungsweise und den Schilderungen Dritter im Rahmen der psychotherapeutischen Praxis. Der Artikel beschäftigt sich zum einen mit der ostdeutschen Identität aus sozialmedizinischer Perspektive, zum anderen mit der Auseinandersetzung im Hinblick auf typische Vorurteile zwischen Ost und West, geprägt durch die unterschiedliche Sozialisation.

Bernd Klose:

»Die Heimat meines Vaters bleibt gefälligst tabu!«

Identitätssichernde transgenerationelle Verwerfungen und aktuelle politische Radikalisierungen (Abstract) (PDF)

Ausgehend von einem persönlichen Beispiel werden Verunsicherungen in der eigenen Selbstund Identitätsregulation sowie nationale und internationale Radikalisierungen anhand konkreter aktueller Bezüge aufgezeigt. Die Kompensation von Identitätsverunsicherungen führt individuell und in Großgruppen zu regressiven Größenfantasien, Idealisierungen und Entwertung anderer. In zunehmender Ideologisierung schwächen sich rationale Bezüge bis hin zu Realitätsbrüchen. Als Grundlage dieser identitätssichernden Abwehrprozesse dienen auch aktivierte transgenerationelle, introjektiv vermittelte Inhalte, die Zugehörigkeit zu einer sichernden Großgruppe garantieren. In der ideologisierten Großgruppendynamik und der Abhängigkeit von Führungspersonen verringert sich die Steuerungsfähigkeit des Einzelnen, die Gefahr ausgehandelter Destruktivität nimmt zu. Unter Bezug auf das persönliche Beispiel wird die individuelle, mit konstruktiven primären Objekterfahrungen verknüpfte Bedeutung des territorialen Begriffs Heimat von ideologisierten Vorstellungen abgegrenzt.

Betram von der Stein:

Ehemalige DDR-Bürger in Westdeutschland - Oft verkannt und übersehen (Abstract) (PDF)

Der Autor beschreibt anhand von Behandlungsverläufen innere und äußere Konflikte älterer ehemaliger DDR-Bürger im Westen. Die im dritten und vierten Lebensalter stehenden Patienten sind sowohl vor als auch nach der Wende in die westliche Bundesrepublik gekommen. Psychohistorische Rahmenbedingungen resultierend aus der unterschiedlichen Entwicklung beider deutscher Teilstaaten und Debatten über mangelnde Wertschätzung beeinflussen aktuelle und repetitive Konfliktlagen.

Flourishing landscapes – Do they exist? (English Abstract)

Helmut Kohl’s statement about the »flourishing landscapes« after reunification has attracted a lot of criticism and even ridicule. The author describes how reunification after 45 years of divergent development was a Herculean task for which there was no historical precedent. Mistakes and friction were therefore unavoidable. Using case vignettes from his psychoanalytic practice, some of them from very old patients, he shows how deeply reunification is embedded in the flow of German history. The life stories manifested in these vignettes make it clear that one should not shy away from the taboo comparison with 1945 and the massive changes after the war. In the author’s opinion, »flourishing landscapes« are not so much an illusion but rather a vision of a democratic unified Germany.

A look back of older employees at the end of their working life to the time of re-unification (English Abstract)

35 years after the fall of the Berlin Wall, memories of the time of upheaval are awakened, accompanied by initial euphoria, later scepticism and also uncertainty. In each case, this is combined with the necessary adaptation, in some cases more, in others less pronounced. The author reflects on the time after the fall of the Berlin Wall from two points of view: that of her own East German way of looking at things and the descriptions of third parties in the context of psychotherapeutic practice. The article deals on the one hand with East German identity from a socio-medical perspective, and on the other hand with the confrontation with regard to typical prejudices between East and West, characterized by the different socializations.

»My Father’s home land must remain off-limits!«

Identity-securing transgenerational distortions and current political radicalization (English Abstract)

Based on a personal example, insecurities in one’s own selfand identity-regulation as well as national and international radicalizations are shown using concrete current references. The compensation of identity insecurities leads individually and in large groups to regressive grandiose fantasies, idealizations and devaluation of others. As ideologization increases, rational processes weaken and even break with reality. Activated transgenerational, introjectively transmitted content that guarantees belonging to a secure large group also serves as a basis for these identity-securing defense processes. In the ideologized large group dynamics and the dependence on leaders, the individual’s ability to control impulses decreases and the risk of acting out destructiveness increases. With reference to the personal example, the individual meaning of the term home land, linked to constructive primary object experiences, is distinguished from ideologized territorial designs.

Citizens of the former GDR in Western Germany. Often unrecognized and ignored (English Abstract)

Based on several courses of treatment the author describes internal and external conflicts of elder citizens of the former GDR in Western Germany. Those patients, aged between 60 and 85 years, have moved to Western Germany at different times. Psychohistorical framework conditions, resulting from the different development of the two German states and from different appreciation debates, influence current and repetitive conflict situations