Zur Bildmontage von Markus Hagen
Bertram von der Stein (Köln)
Berliner Wahrzeichen wie das Brandenburger Tor, die Mauer, das wieder errichtete Stadtschloss oder Bilder von der verminten deutsch-deutschen Grenze und Darstellungen mit Stacheldraht sind gängige Symbole der deutschen Teilung und Einheit. Derartige Motive schmücken in Coverbildern Abhandlungen über die jüngere deutsche Geschichte. Brüche, Traumata und die Sternstunden prägnanter politischer Ereignisse werden hier dramatisch skizziert.
Erst jetzt, 35 Jahre nach der Wende, werden die tieferen Dimensionen in den Biografien der Beteiligten dieser Ereignisse deutlich. Die damals jüngeren Alten zwischen 50 und 60 sind im Vierten Lebensalter angelangt, die damals jüngeren Erwachsenen im frühen Alter. Für viele eine Zeit der Bilanz. Bei derartigen Massenereignissen, die mit schweren Erschütterungen einhergehen, ist nach einer Zeit der Verleugnung, der traumatischen Latenz, oft erst verzögert eine publizistische und wissenschaftliche Bearbeitung möglich, wie ehemals bei den Folgen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Man hört von Zeitzeugen oft abwehrende Argumente, man wolle nicht mehr darüber sprechen, es beträfe ja viele und es sei nichts Besonderes. Ungerechtigkeiten und Verwicklungen von Tätern, Opfern, Mitläufern, Gewinnern und Verlierern haben noch nicht den Abstand des Plusquamperfekts. Noch zögern Zeitzeugen, sich zu offenbaren. Umso wichtiger ist es, einzelne alltägliche Lebenssituationen zu würdigen. Dabei sind uns Zwischentöne und Pastellfarben wichtiger als grelle Schlaglichter. Das soll auch im Titelbild deutlich werden: Nicht die Hauptstadt, sondern eine Stadt an der Peripherie, Werder an der Havel, soll andeuten, dass die Wende in Ost und West im Alltag der Menschen viel bewegt hat. Gerade Auswirkungen an der Peripherie und in unspektakulären Alltagsvollzügen zeigen die Bedeutsamkeit großer Ereignisse.
Werder ist der Geburtsort von Astrid Riehl-Emde. Werder, die Stadt der Baumblüte, war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg beliebter Ausflugsort der Berliner und steht für viele Entwicklungen in der ehemaligen DDR. Vom Bombenhagel verschont behielt die Stadt mit unveränderter Bausubstanz während der DDR-Zeit ihr historisches Antlitz, das – nach der Wende herausgeputzt – das Aushängeschild einer wachsenden Gemeinde im Speckgürtel Berlins ist. Andere Orte zeigen, trotz meist gelungener Restaurierung, erhebliche Strukturdefizite, die sich auf ganz Deutschland auswirken.
Aber auch im Westen sind Grenzen des Wachstums und marode Bausubstanz mittlerweile keine Seltenheit mehr, die von ehemaligen DDR-Bürgern nicht selten als Wiederkehr des Verdrängten und als Warnsignal empfunden werden. All das zeigt, dass die deutsche Einheit ein Prozess ist, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Nationalflagge Schwarz-Rot-Gold – lange verpönt – ist spätestens seit der Fußballweltmeisterschaft von 2006 zum immer noch ambivalent erlebten Symbol der deutschen Einheit geworden. Es gilt jetzt, Hintergründe aufzuarbeiten und damit das Glück einer einmaligen historischen Gelegenheit zu verinnerlichen und es nachhaltig und sorgsam für die Zukunft zu bewahren. Dies sollte zu einem gesunden Selbstbewusstsein führen, jenseits nationalistischer Überhöhungen und Geschichtsvergessenheit.
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Prof. Dr. Bertram von der Stein
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